Tödliche Träume vom Paradies

Der Deutsche Denis Cuspert, der sich der Terrormiliz des selbsternannten Islamischen Staats angeschlossen hatte, ist nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums getötet worden.
Der Deutsche Denis Cuspert, der sich der Terrormiliz des selbsternannten Islamischen Staats angeschlossen hatte, ist nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums getötet worden.

Denis Cuspert gilt als der wohl ranghöchste Deutsche in den Reihen des IS. Der Berliner reiste bereits 2012 über Ägypten nach Syrien aus und tauchte später mehrmals in brutalen Propagandavideos auf. Nun soll er tot sein. Informationen von Katja Riedel

Von Katja Riedel

Kurz bevor Denis Mamadou Gerhard Cuspert Deutschland gen Ägypten und Syrien verlässt, sitzt er in einem Bus, grauer Kapuzenpulli, schwarze Kappe. Dabei hat er eine schwarze Umhängetasche, darauf der Schriftzug "alqaida" und ein Flugzeug, das in das berühmte Drei-Streifen-Logo eines Sportartikelherstellers hineinfliegt.

Das ZDF strahlt die letzten authentischen Bilder des angehenden Terroristen auf deutschem Boden aus; alles, was danach kommt, werden Propagandavideos sein, Drohbotschaften. "Merkel, Außenminister", wird er wenig später agitieren. "Ihr führt Dschihad in unseren Ländern. Wir werden ihn in Eure Länder bringen." Es wird nicht die letzte, ja bei Weitem nicht die brutalste Botschaft sein, die Cuspert von nun an regelmäßig an die Heimat, später an die ganze Welt richtet.

Jetzt mehren sich seit mehr als einer Woche die Hinweise, dass Denis Cuspert, der wohl ranghöchste Deutsche in den Reihen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS), wahrscheinlich nicht mehr am Leben ist. Nicht nur Anhänger des IS, sondern auch Oppositionelle wie die Aktivisten von "Rakka is Slaughtered Silently" melden, dass Cuspert am 16. Oktober, zwei Tage vor seinem 40. Geburtstag, bei einem Luftangriff der Anti-IS-Koalition ums Leben gekommen sei.

Eine Bombe aus Flugzeugen der Anti-IS-Koalition habe Cusperts Pick-up auf der Straße zwischen der IS-Hauptstadt Raqqa und Tabqah in Syrien ins Visier genommen. Dabei sei er gemeinsam mit einem Kämpfer namens Abu Othman-al Libi gestorben.

Auch Szenebeobachter wie der deutsche Blog Erasmus-Monitor berichten über die Gerüchte. Und schließlich meldet eine IS-nahe Seite den Tod Cusperts. Allerdings: Eine offizielle Bestätigung der Terrormiliz gibt es nicht. So bleibt eine Unsicherheit, zumal Cuspert nicht zum ersten Mal totgesagt worden ist.

Galionsfigur der Dschihadistenszene

Im Herbst vergangenen Jahres soll er nach eigenen Aussagen eine schwere Kopfverletzung erlitten und im Koma gelegen haben, in den sozialen Medien wurden Bilder verbreitet, auf denen der vermeintlich tote Cuspert totenblass auf einer Trage liegt. Doch Anfang des Jahres tauchten neue Propagandavideos auf, mit einem höchst lebendigen Cuspert, der brutaler auftrat denn je.

Cuspert in einem IS-Propaganda-Video
IS verliert seine deutsche PR-Waffe: Für die Terrorgruppe IS nahm Cuspert eine ganz besondere Rolle ein: als Propagandawaffe, als das bekannteste, das zugleich unbarmherzigste wie erfolgreichste Gesicht des deutschen Dschihad.

Die USA setzten ihn auf ihre Terror-Fahndungsliste, als "globalen Terroristen". Grund dafür war ein Video aus dem Herbst 2014, auf dem er den Kopf einer Leiche auf dem Torso des Ermordeten drapierte. In einem anderen Video hatte er bei einem Ölfeld nahe der Stadt Homs augenscheinlich Leichen geschändet, erschossene Menschen in Zivilkleidung.

Im Juni 2012 legt sich der Berliner Cuspert, der Ex-Rapper "Deso Dogg", einen Kampfnamen zu: Abu Talha al-Almani, der Deutsche. Aus dem radikalen salafistischen Prediger, der die inzwischen verbotene Organisation Millatu Ibrahim mit anführte, wird der Terrorist und Kämpfer. Sicherheitskreise schreiben ihm bald Kontakte zur IS-Spitze zu.

Im Frühjahr 2014 soll er den Treueeid auf den selbsternannten Kalifen Abu-Bakr al-Baghdadi geschworen haben. Cuspert ist zu dem Gesicht des deutschen Dschihad geworden. Und zu jener Propagandawaffe, mit der die Terroristen Jugendlichen den Weg aus ihren Kinderzimmern in die Kriegsgebiete schmackhaft machen - auch als Weg des schnellen, des gottgewollten persönlichen Aufstieges. Dafür steht Cusperts eigene Geschichte. Er war ein Verlierer, ein echter Loser und Kleinkrimineller. Als Salafist und IS-Terrorist aber wird er ernst genommen - als Bedrohung der inneren Sicherheit, als Feind des gesamten Westens.

Der Berliner Verfassungsschutz widmet seinem verkorksten Leben einen 25-seitigen "Lagebericht". Endlich wird todernst genommen, was er sagt und singt. Immer wieder spricht Cuspert in seinen Botschaften von der Sehnsucht nach dem Tod. Davon, für Allah sterben zu wollen, andere mit in den Tod zu reißen, um als Märtyrer ins Paradies zu gelangen, nach Jannah. 2013 stellt er den Kampfgesang "al -Jannah al-Jannah" ins Netz: Ich wünsch mir den Tod und kann ihn nicht erwarten, bewaffnet mit Bomben und Granaten, (...) in die Kaserne der Kreuzzügler, drück' auf den Knopf, al-Jannah, al-Jannah" In seinen Videos hat Cuspert ein hartes Gesicht und stechende Augen, er hat durchaus etwas Faszinierendes. So wie seine Nashids, die Kampfgesänge, die nur aus Männerstimmen bestehen; Instrumentalmusik ist nach salafistischem Glauben haram, Sünde. Die Nashids begleiten die Dschihadisten zum Kampf.

Auch Arid U. hörte 2011, bevor er am Frankfurter Flughafen zwei Amerikaner erschoss, die Musik von Abu Maleeq. So nennt sich Cuspert in einer Zwischenphase. Da hat er bereits zu einem radikalen Islam gefunden, den er überall in Deutschland propagiert, im Umfeld salafistischer Prediger, auch im Namen der Koranverteilungsaktion "Lies!". Da ist er nicht mehr "Deso Dogg", der Outlaw, der vor dicken Autos posiert. Seine Jugend in Berlin-Kreuzberg hat ihn in die Straßengang Araber Boys gebracht. Sie hat ihn auch in den Knast gebracht, wegen Diebstahls, wegen Waffen, Gewalt und Drogen, zuletzt 2004.

Vom Rapper zum Dschihadisten: Denis Cuspert
Vom Rapper zum Dschihadisten: 2002 begann Cuspert seine Karriere als "Gangsta-Rapper". In seinen Texten verarbeitete "Deso Dogg" persönliche Erfahrungen mit Diskriminierung. Er sei zwar wenige Jahre später innerhalb der deutsch-sprachigen Hip-Hop-Szene bekannt gewesen, der große Durchbruch sei ihm aber nicht gelungen, schreibt der Verfassungsschutz.

Der Junge ist kein Dummkopf, im Gegenteil. Aber er ist ein Wütender, ein Radikaler. "War die letzte Option nur Gewalt und Emotion/Auf dem Schulhof war ich nur der kleine Nigga-Junge/mit kaputter Jeans, dem bösen Blick und frecher Zunge" - so geht Cusperts Rap: "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann", aus der Zeit, als er noch mit finsterem Blick rappt.

Später hat er selbst eigene zerrissene Familien gegründet

Cuspert ist, wie viele spätere Terroristen, in zerrissenen Verhältnissen aufgewachsen; später hat er selbst eigene zerrissene Familien gegründet, hat mindestens zwei Söhne in Deutschland. Sein Vater, ein Ghanaer, soll die Familie verlassen haben, als Denis ein Kleinkind war. Mit dem Stiefvater, einem US-Amerikaner, soll es Probleme gegeben haben. In den Rap-Größen und den Jungs von der Straße findet er Vater- und Mutterersatz. 2008 hat er einen Autounfall. Denis verletzt sich am Kopf, hat monatelang mit den Folgen zu kämpfen.

Und wird sich fortan stark verändern. Viele, die ihn kennen, sehen in dem Unfall ein Erweckungserlebnis. Spätestens 2010 besucht Denis Cuspert regelmäßig die Berliner Al-Nur-Moschee. Und dort trifft er auch denjenigen, der ihn endgültig in die Salafistenszene einführen wird. Es ist der Konvertit Pierre Vogel, ein Hassprediger, der sich selbst für einen Friedensfürsten hält. Ein Video zeigt die beiden, einander tief zugewandt. Sie tauschen Telefonnummern, er sei ja oft im Rheinland, wo Vogel lebt, sagt Cuspert. Es wird eine enge Verbindung.

Nur wenig später wird Cuspert mit harter Stimme sprechen, er wird vor einem Lies!-Plakat sitzen und sagen, dass die Scharia die Medizin sei, "gegen die Demokratie, Integration, gegen diese westliche Ideologie". Was bleibe, sei der Dschihad. "Das werde ich machen, bis ich sterbe." Der Tod, das eigene und das Sterben der anderen als Sinn eines schwierigen Lebens. Offenbar ist es vorbei.

Katja Riedel

© Süddeutsche Zeitung 2015