Bratwurst in Alanya

Während in Deutschland die Integration türkischer Migranten kontrovers debattiert wird, strömen jeden Sommer hunderttausende sonnenhungrige Deutsche ins türkische Alanya. Doch wie kommen dort eigentlich die Einheimischen mit ihren deutschen Gästen zurecht? Von Antje Bauer

Während in Deutschland die Integration türkischer Migranten kontrovers debattiert wird, strömen jeden Sommer hunderttausende sonnenhungrige Deutsche in die südanatolische Hafenstadt Alanya. Doch wie kommen dort eigentlich die Einheimischen mit ihren deutschen Gästen zurecht? Antje Bauer hat nachgeforscht.

Noch in den siebziger Jahren war Alanya eine verschlafene Kleinstadt, in die sich nur gelegentlich ein paar ausländische Abenteurer verirrten. Schon zehn Jahre später hatten Neckermann und TUI die langen Sandstrände entdeckt, sie in den Rang der "türkischen Riviera" erhoben, und seither werden jedes Jahr anderthalb Millionen Touristen dort "abgeladen".

Die Einwohner des konservativen Provinzstädtchens staunten zunächst nicht schlecht über die Angewohnheiten der Fremden. "Die Deutschen kaufen häufig nur eine einzige Tomate oder eine einzelne Gurke", sagt grinsend Izzet Turgut, Leiter des Kale-Supermarkts. "Am Anfang fanden wir das sehr seltsam. Bei uns kauft man wenigstens ein, zwei Kilo."

Anderthalb Millionen Touristen

Seltsam fand man anfangs auch, dass die Deutschen diszipliniert vor der Kasse Schlange standen, während in der Türkei die Drängler schneller sind. Aber die Händler von Alanya passten sich an. Schließlich waren die Touristen zahlende Kunden.

Die Regale füllten sich mit Käsescheibletten, Dr.-Oetker-Puddingpulver und Wella-Shampoo, und im Kale-Supermarkt versuchte man, den Türken das Schlangestehen beizubringen. In der Markthalle machte ein Metzger auf, der Schweinefleisch verkauft. Dort werden jetzt Schnitzel, Schweinebauch und Bratwurst angeboten.

In der Anfangszeit gab es deshalb ein bisschen Ärger mit den Einheimischen, räumt der Angestellte Ömer Aksoy ein: "Die Leute haben gesagt, in einem muslimischen Viertel darf man doch kein Schweinefleisch verkaufen. Aber man verdient mit dem Tourismus Geld. Deshalb darf man auch nichts dagegen haben."

Schnitzel, Bratwurst, Schweinebauch

Obwohl die Europäer in der Türkei allgemein geschätzt werden und deshalb die Bürger von Alanya, dem Gebaren der Ausländer recht gutmütig gegenüber standen, stellten sie doch schnell fest, dass vor allem die Deutschen, auch Angewohnheiten hatten, die ihnen nicht so positiv erschienen.

Hasan Hazar etwa, der in der Markthalle Fisch verkauft, beklagt sich: "Der Unterschied zu den türkischen Kunden ist, dass die Deutschen heftig feilschen, obwohl es ihnen wirtschaftlich besser geht als uns." Zu feilschen, auch wenn man es nicht nötig hat, gilt in der Türkei als kleinlich und wird auch ein wenig verachtet.

Die Urlauber leben in Alanya weitgehend in einer Parallelwelt. Sie wohnen größtenteils in den Touristenkomplexen in Sichtweite des Strands und gehen dort essen und einkaufen, wohingegen die Einheimischen landeinwärts wohnen, ihre eigenen Cafés und Lokale haben, anders essen und andere Zeitungen lesen.

Nebeneinander in zwei Welten

Man verlangt von den Ausländern nicht, Türkisch zu lernen. Dagegen bemühen sich die Einheimischen, Deutsch oder Englisch zu lernen – schließlich geht es ums Geschäft.

Öffentlicher Alkoholgenuss ist in dem Provinzstädtchen zwar verpönt, dennoch dürfen sich Ausländer in den strandnahen Kneipen schon am frühen Morgen das ein oder andere Gläschen genehmigen – das trägt ihnen zwar nicht gerade die Hochachtung der Einheimischen ein, aber es stört soweit auch niemanden – und es fördert das Geschäft.

Wo sich die beiden Welten überschneiden, erregen die Ausländer aber auch schon mal Ärger. Safiye Avci ist in Deutschland aufgewachsen. Sie trägt ein Kopftuch und ist mit dem Vizevorstand der islamischen Partei AKP in Alanya verheiratet.

Sie ärgert sich über den Aufzug mancher Touristen in der Stadt. "Es ist nicht schön, wenn Frauen auf der Straße im Bikini herumlaufen", meint sie. "Sie könnten doch wenigstens ein T-Shirt überziehen. Es ist nicht schön, dass sie in einem anderen Land Dinge tun, die sie zu Hause womöglich nicht tun."

Überhaupt: die Frauen. Am Verhalten der ausländischen Frauen entzündet sich die meiste Kritik. Das ist der Punkt, an dem bei den Türken am häufigsten Zweifel an der "Überlegenheit" der Europäer aufkommen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele ausländische Frauen mittleren Alters in die Türkei – also auch nach Alanya – reisen, um sich dort einen jüngeren Liebhaber zuzulegen.

Christen müssen eine Kirche haben

"Besonders in den letzten Jahren haben viele ausländische Frauen Türken geheiratet", sagt Remzi Avci, der Vizevorsitzende der AKP. "Wir finden es seltsam, wenn eine 70jährige mit einem 20jährigen zusammen ist. Das ist dann so, dass die alten Frauen glücklich sein wollen und die jungen Männer hinter dem Geld her sind, anders kann man das nicht nennen."

Junge Frau am Badestrand; Foto: AP
Am Strand kein Probem, aber in der Stadt bitte mit T-Shirt, meint nicht nur Safiye Avci.

​​Der Fischhändler Hasan Hazar spricht offen aus, was Remzi Avci so nicht sagen würde: "Die deutschen Männer haben Angst vor ihren Frauen. Die Frauen machen mit ihnen, was sie wollen. Denn in Europa ist jeder wirtschaftlich unabhängig. Vermutlich sind die ausländischen Männer deshalb sehr passiv."

Überhaupt machen Ausländer in Alanya, insbesondere die Deutschen, nicht immer den Eindruck, als wären sie besonders wohlhabend. Studiert haben die Bürger von Alanya vor allem diejenigen Touristen, die sich in der Stadt eine Wohnung gekauft haben – allein viertausend Deutsche haben das inzwischen getan.

"Europäer, die hier in einem Appartmentblock wohnen, bekommen dauernd von ihren Nachbarn Hilfe angeboten", erklärt Nüvit Özkan von der "Stiftung Alanya Kennen lernen". "Die bringen Essen vorbei, erkundigen sich, wie es geht, helfen, wenn einer krank ist, bringen ihn vielleicht mit dem Auto ins Krankenhaus. Den Europäern ist das fremd."

Özkan sieht die Anwesenheit der Fremden dennoch als Bereicherung. "Es gibt kein hundertprozentiges Miteinander, aber es gibt eine große Nähe. Wenn hier so viele Christen leben, dann müssen die auch eine Kirche haben. Es muss Bibliotheken für sie geben, da müssen wir mehr tun. Das braucht natürlich seine Zeit, man muss sich ja auch erst mal daran gewöhnen, aber so wie es bisher läuft, erscheint es mir positiv."

Antje Bauer

© Qantara.de 2008

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