Eine innerdeutsche Begegnung

Wenn Deutschland und die Türkei um den Einzug ins Finale der EM antreten, dann ist das fast wie ein Spiel im eigenen Haus. Im Fußball lernen Türken und Deutsche endlich ihre Ähnlichkeiten kennen. Christiane Schlötzer kommentiert.

Türkische Fußballfans feiern in Frankfurt am Main; Foto: AP
Angekommen in der deutsch-türkischen Normalität: Türkische Fans in Deutschland freuen sich auf das Halbfinale

​​Es gab Zeiten, da wurden türkische Teams in deutschen Fußballstadien mit wehenden Aldi-Tüten begrüßt. Das ist lange vorbei. Heute spielt Hamit Altintop bei Bayern München, und der Mann erklärt in fehlerlosem Deutsch, warum er seinen Namen zu Recht trägt: Altintop, das heißt wörtlich "goldener Ball".

Schon bei der Weltmeisterschaft 2002 hatte die Türkei einen Traum: einmal im Finale gegen Deutschland spielen! Damals hatten sich die Türken schon bis in ein Halbfinale vorgearbeitet, aber zum Kräftemessen mit dem Lieblingsgegner Almanya reichte es nicht mehr. Nun kommt es zu dem historischen Match - und die Türken empfinden dies zunächst einmal als ganz besondere Ehre.

Der Fußball zeigt die Ähnlichkeiten

Das deutsch-türkische Verhältnis war immer speziell, wahrgenommen wird dies gewöhnlich aber nur von den Türken. Es ist eine Beziehung, in der die Bewunderung eine große Rolle spielt. Bewundert werden die Aufbauleistungen Deutschlands, sprich die Wirtschaftskraft, ein meist reibungslos funktionierender Alltag und ja, auch der deutsche Fußball.

Von deutscher Seite ist es eine eher schwierige Beziehung. Die Türkei gilt als politisch kompliziertes Land. Die Türken hierzulande sind für viele Deutsche auch nach fast einem halben Jahrhundert Zuwanderung aus Anatolien und vom Bosporus Fremde geblieben.

Wie ähnlich sie sich sind, das könnten Türken wie Deutsche gerade jetzt begreifen. Sie teilen dieselben Eigenschaften, die sie an ihren Nationalspielern bewundern. Motivation und Teamgeist werden bei der deutschen Mannschaft gepriesen, und die türkische Equipe kann sich nicht retten vor Komplimenten, weil sie einfach nicht aufgeben will und kann.

Das Match im eigenen Haus

Politiker in der Türkei haben daraus schon die Hoffnung destilliert, dies könnte auf das eigene Land abfärben, das sich auch deshalb im Taumel befindet, weil seine Eliten ständig foul spielen.

Deutsche Fans schützen sich mit der Flagge vor dem Regen; Foto: picture alliance/dpa
Um Haaresbreite wäre es bei der WM 2006 zu einem deutsch-türkischen Finale gekommen - jetzt treffen die beiden verwandten Teams im EM-Halbfinale aufeinander.

​​Aber man sollte vom Fußball auch nicht zu viel verlangen. Auch das reicht: Das deutsch-türkische Match am Mittwoch markiert schon deshalb einen Einschnitt, weil das Massenphänomen Fußball unmissverständlich klarmacht, wo die Türken angekommen sind. Nicht bei der "Zweiten Belagerung Wiens", wie das Boulevard-Blatt Hürriyet trommelte, sondern in der deutsch-türkischen Normalität.

Viele Türken hierzulande sehen in dem Spiel eine quasi innerdeutsche Begegnung, und wer sich als Teil einer Familie empfindet, kann auch Niederlagen im eigenen Haus besser ertragen. Wenn die türkische Elf verliert, dann werden viele zwar die rot-weißen Fahnen senken, aber sie werden trotzdem wieder auf die Straßen strömen und mitfeiern. Und wenn die deutschen Fans klug sind, werden sie Sportsgeist zeigen wie der türkische Torwart Rüstü nach dem Sieg über Kroatien. Rüstü umarmte einige seiner kroatischen Fußball-Kollegen.

Die EM führt vor, es gibt Aufsteiger, mit denen niemand rechnet. Auch Russland steht in einem Halbfinale. Europas Grenzen werden gerade neu gezogen - zumindest im Spiel.

Christiane Schlötzer

© Süddeutsche Zeitung 2008

Dieser Artikel wurde am 23. Juni 2008 in der Süddeutschen Zeitung publiziert.

Christiane Schlötzer ist seit 1992 Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Sie berichtete von 2001 bis 2005 als Korrespondentin aus Istanbul. Seit 2005 ist sie stellvertretende Ressortleiterin Außenpolitik.

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