Wissenschaft im Schatten des Krieges

Der Nahostkonflikt sorgt seit Jahrzehnten für negative Schlagzeilen in den internationalen Medien. Weniger Aufmerksamkeit wird solchen Initiativen in der Region zuteil, die konkret und ganz bewusst Menschen der Konfliktparteien zusammenführen, wie das Beispiel eines wissenschaftlichen Projektes deutscher, israelischer und palästinensischer Pflanzenforscher zeigt. Von Thomas Krämer

Von Thomas Krämer

Prof. Jörg Kudla will die internationale Ausrichtung der heutigen Wissenschaft nutzen, um israelische und palästinensische Forscher zusammenzubringen. "Genau das haben wir mit unserem Projekt bereits erreicht", betont der Projektleiter vom Institut für Biologie und Biotechnologie (IBBP) der Pflanzen an der Universität Münster. Diesen Eindruck hat er auf vorbereitenden Reisen und bei Meetings im Nahen Osten gewonnen, bei denen sich israelische und palästinensische Forscher nicht nur über ihre wissenschaftliche Arbeit austauschten.

Den Forschern geht es darum, vertiefende Einblicke in die Reaktion von Tomatenpflanzen auf sogenannte abiotische Stressfaktoren wie Hitze und Trockenheit oder zunehmende Bodenversalzung zu erhalten. Kooperationspartner sind Dr. Omar Darissa von der Universität Bethlehem (UNESCO Biotechnology Educational and Research Center) und Prof. Shaul Yalovsky von der Universität in Tel Aviv (Department of Molecular Biology and Ecology of Plants).

Gerade die Antwort der Pflanze auf Hitze steht im Fokus des Interesses. Was die wenigsten wissen: Tomatenpflanzen bilden bei Temperaturen über 35 Grad keine Früchte mehr – ein echtes Problem für die Landwirtschaft in sommerheißen Anbaugebieten wie Spanien oder dem Nahen Osten. Eine alte Landsorte, die ein palästinensischer Wissenschaftler aufgespürt hat, lässt auch Tomaten bei über 35 Grad reifen. Dieser gilt nun die besondere Aufmerksamkeit der Biotechnologen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt in den nächsten Jahren mit über einer halben Million Euro. Das Geld fließt aus einem eigenen Etat für trinationale Projekte von deutschen, israelischen und palästinensischen Wissenschaftlern.

Tomaten; Foto: dpa
Hitzeresistenz im Fokus des Wissenschaftsprojekts: Den Forschern geht es in ihrem wissenschaftlichen Projekt darum, vertiefende Einblicke in die Reaktion von Tomatenpflanzen (Solanum lycopersicum) auf "abiotische Stressfaktoren" wie Hitze und Trockenheit oder zunehmende Bodenversalzung zu erhalten.

Von der Projektförderung profitiert auch die palästinensische Wissenschaftlerin Zahra Aljabary. Die 32-jährige Biologin mit Bachelor- und Master-Abschluss arbeitet seit Kurzem am Institut von Prof. Kudla an ihrer Dissertation.

Eine Oase der Glückseligkeit

Die Bedingungen für wissenschaftliche Arbeit sind schwierig in Palästina und mit den Verhältnissen in Europa oder Israel kaum zu vergleichen. Gleichwohl ist das Interesse an Bildung und Forschung in dem Land groß. Die Universität in Bethlehem, größtenteils von Vatikan und UNESCO finanziert, bietet relativ günstige Forschungsbedingungen. Kudla nennt sie "eine Oase der Glückseligkeit". Auf dem Campus herrsche ein tolerantes Klima, von dem Frauen besonders profitierten.

Ausstattungsmängel werden durch Improvisation überbrückt – bis zu einem bestimmten Grad. Im Institut für Biotechnologie gibt es zwei kleine Labors, eines für Botanik, das andere für Humanbiologie. "Das Arbeiten dort ist sehr beengt, und ich habe lange Wartezeiten, wenn ich bestimmte Experimente oder Messungen machen will", erklärt Zahra Aljabary.

In Münster hat sie sich bereits gut mit den neuen Verhältnissen arrangiert: "Alle Kollegen sind hilfsbereit. Alle Geräte, die ich brauche, sind hier, und ich habe sogar einen eigenen Schreibtisch." Den Kontakt zu Familie und Kindern hält sie über regelmäßige Skype-Sitzungen.

Zahra Aljabary stammt aus Hebron, einer Stadt im Süden der von der israelischen Armee besetzten Westbank. Hebron gilt als eines der Zentren des palästinensischen Widerstandes gegen die Besatzungsmacht. Für die 35 Kilometer bis zur Bethlehem University braucht die verwitwete Mutter zweier Kinder etwa eine halbe Stunde – wenn die Passage der über 700 Kilometer langen Sperranlage an der Grenze reibungslos klappt. Diese besteht teilweise aus einer Betonmauer. "Die Passage ist nicht selbstverständlich, denn die hängt oft nur von der Laune der Grenzsoldaten ab", sagt die junge Wissenschaftlerin aus leidvoller Erfahrung. Wer vor einem Checkpoint stehe, wisse nicht, ob er durchgelassen werde und ob er im Erfolgsfalle am selben Tag zurückkehren könne.

Grenzübertritt als Spießrutenlauf

Ein absurdes Glücksspiel, das Israelis, aber besonders die Palästinenser trifft. Jeder Grenzübertritt müsse vorher bei den Behörden beantragt oder ein entsprechender Passierschein vorgelegt werden, so die Doktorandin. Und nicht selten seien in der Westbank wegen jüdischer Siedlungen mehrere Grenzkontrollen und Straßensperren zu passieren, um zum Ziel zu kommen. "Wenn wieder Krieg ist, werden alle Checkpoints sowieso geschlossen."

Viele Uni-Angehörige müssten sich mit diesem Problem herumschlagen, da sie im Autonomiegebiet rund um Bethlehem wohnten. "Freitags gibt es oft Schwierigkeiten am Checkpoint, wenn wir früher nach Hause wollen", berichtet die Muslima. Der Freitag ist für die muslimischen Palästinenser zwar kein Feiertag, aber ähnlich wichtig wie der Sonntag für Christen oder der Sabbat für Juden.

Prof. Dr. Jörg Kudla, Leiter des trinationalen Pflanzenforschungsprojekts; Foto: WWU/Peter Grewer
"Beide Völker leben nebeneinander her. Besonders für die Palästinenser wird es immer schwerer, ihre Wirtschaft aufzubauen und Fortschritte in der Wissenschaft zu machen", glaubt Prof. Jörg Kudla vom Institut für Biologie und Biotechnologie (IBBP) der Universität Münster.

Doch es geht noch absurder: Jüdischen Staatsbürgern Israels ist es von Seiten ihrer Regierung verboten, palästinensisches Autonomiegebiet zu betreten. Umgekehrt geraten Palästinenser, die Kontakt zu Israelis aufnehmen wollen, gleich bei ihren eigenen Leuten in Verdacht, mit der Besatzungsmacht zu kollaborieren. Wer nur im Geringsten verdächtig erscheint, wird an den Grenzen zurückgewiesen.

Labyrinth Westbank

Für Besucher ist die Westbank das reinste Labyrinth. "Dort gibt es Zonen nur für Palästinenser, dann Zonen nur für Israelis und Siedler und dazu noch Gebiete, die von allen betreten werden dürfen", beschreibt Jörg Kudla die Situation. Dazwischen verlaufen Straßen und Wege, deren Benutzung genau vorgegeben ist. "Wer an den Kreuzungen nicht auf den richtigen Straßen bleibt, bekommt richtig Probleme."

"Beide Völker leben nebeneinander her. Im Grunde ist das auch von den Regierenden so gewollt", so Jörg Kudlas persönliche Einschätzung der politisch verfahrenen Lage. "Besonders für die Palästinenser wird es immer schwerer, ihre Wirtschaft aufzubauen und Fortschritte in der Wissenschaft zu machen."

Dennoch oder gerade deshalb setzt der Biologe auf die Zukunft und auf Projekte wie das gerade begonnene. Darauf, dass durch Zusammenarbeit und regelmäßigen Austausch eine junge und international denkende Forschergeneration heranwächst, die mithilft, Konflikte wie den im Nahen Osten zu überwinden.

Thomas Krämer

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