Medienkulturen im Zeitalter der Globalisierung

Fernsehberichterstattung findet stets vor dem kulturellen Hintergrund des Senders statt, so Oliver Hahn, Kommunikationswissenschaftler. Er plädiert für eine engere Zusammenarbeit zwischen westlichen und arabischen Medien.

Fernsehberichterstattung findet stets vor dem kulturellen Hintergrund des Senders statt, so Oliver Hahn, Kommunikationswissenschaftler an der TU Dresden. Er plädiert für eine engere Zusammenarbeit zwischen westlichen und arabischen Medien.

Dr. Oliver Hahn, Foto: Erich-Brost-Haus
Dr. Oliver Hahn

​​In einer Ära voranschreitender Globalisierung begegnen sich – besonders in Folge der Terroranschläge islamischer Extremisten vom 11. September 2001 und den anschließenden Kriegen der Washingtoner Regierung mit ihren Verbündeten gegen so genannte Schurkenstaaten – immer häufiger westliche und arabische Medienkulturen.

Diese Begegnungen führen zu einem Strukturwandel in der Krisenkommunikation von internationalen Massenmedien, vor allem von grenzüberschreitenden Satellitenfernsehkanälen.

Im ökonomischen Kampf um Informationen treten zunehmend westlichen TV-Marktführern neue arabische Fernsehsender wie Al-Jazeera (Doha/Qatar), Abu Dhabi TV aus der Gruppe Emirates Media (Abu Dhabi/Vereinigte Arabische Emirate), Al-Arabiya und CNBC Arabiya der US-Senderkette Cable National Broadcasting Company (beide: Dubai/V.A.E.) gegenüber.

Deutsch-arabische Kooperationen

Ihr Entwicklungspotenzial haben viele westliche Fernsehstationen nicht erst seit dem Irak-Krieg 2003 erkannt und sind folgerichtig Kooperationen eingegangen.

In Deutschland arbeiten beispielsweise das ZDF mit Al-Jazeera sowie das Deutsche Welle TV mit Abu Dhabi TV zusammen. Die ARD denkt derzeit über eine Kooperation mit Al-Arabiya nach.

Verursachen diese Begegnungen zwischen westlichen und arabischen Medienkulturen neben einem Strukturwandel auf dem globalen Medienmarkt auch eine Qualitätssteigerung der Krisenkommunikation? Diese Frage stellt sich im internationalen Journalismus genauso wie in der Politik der internationalen Beziehungen.

Dramatisierende Fernsehästhetik der Krisenkommunikation

Die 'Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung im Sekundentakt' in den jungen arabischen wie in den westlichen Medienwelten verpflichtet sich nahezu ausschließlich der Darstellung live und in Echtzeit von durch Globalisierung international relevanten Ereignissen.

Damit suggeriert sie den Medienkonsumenten physische Nähe und psychische Betroffenheit zu eigentlich fernen Handlungen und Diskursen.

Redundanzen in Form von Bild- und Tonwiederholungsschleifen sowie grafische Etikettierungen verstärken den Eindruck der Dauerhaftigkeit von Nähe und Betroffenheit.

Ferner fließen in diese dramatisierende Fernsehästhetik der Krisenkommunikation in den jungen arabischen wie in den westlichen Medienwelten Darstellungsformen aus der Sportberichterstattung und aus dem technikverliebten Actionkino ein.

Kurz vor dem offiziellen Beginn der US-Invasion des Irak 2003 beispielsweise wurden Medienkonsumenten auf den meisten Fernsehkanälen dramatisierende Trailer und eine Art von Countdown-Berichterstattung geboten.

Kalter Fernsehkrieg?

Hingegen sind signifikante Unterschiede zwischen westlichen TV-Marktführern und neuen arabischen TV-Nachrichtensendern in ihrer jeweiligen Berichterstattungsperspektive auf Konflikte im Nahen und Mittleren Osten zu erkennen.

Diese werden von beiden Seiten nicht kaschiert, sondern sogar für die Eigenwerbung eingesetzt: Im Irak-Krieg 2003 warb beispielsweise Al-Jazeera um die Gunst der Zuschauer mit dem Versprechen zu zeigen, wo die Bomben der USA einschlagen, während CNN lediglich darüber berichtet habe, von wo die Bomben abgeworfen würden.

Der Konkurrenzkampf um Einschaltquoten kommerzialisiert die Opferperspektive und dämonisiert Täter-Televisionen. Droht damit ein Kalter Fernsehkrieg zwischen westlichen und arabischen Medienkulturen, die freilich in den Kulturen ihrer jeweiligen Zuschauer und ihrer Wertesysteme verankert sind?

Nun setzt die Nutzung und Weiterverbreitung, Einordnung und Bewertung von Informationen besonders aus Massenmedien fremder Kultur- und Sprachräume genaue Kenntnisse über ebenjene voraus.

Kulturkontexte setzen Rahmenbedingunge

Dass sich weltweit Kulturen/Zivilisationen in ihren Kommunikationssystemen tendenziell voneinander unterscheiden, zugleich aber stets miteinander in Kontakt treten, ist seit der frühen interkulturellen Kommunikationsforschung bekannt.

Verschiedene Kulturkontexte und Kommunikationssysteme setzen den Massenmedien unterschiedliche Rahmenbedingungen. Folglich operieren auch das neue arabische und das westliche Nachrichtenfernsehen nicht in hermetisch abgeriegelten Kulturräumen, sondern in ihren jeweiligen Kulturkontexten und mit den Kommunikationssystemen ihrer Zuschauer.

Aus diesem Grunde entstehen voneinander abweichende Berichterstattungsperspektiven auf dieselben Konflikte im Nahen und Mittleren Osten.

Die auf beiden Seiten geforderte Berichterstattungsobjektivität kann also ausschließlich vor dem Hintergrund des jeweiligen Kulturkontextes bewertet werden. Eine solche Berichterstattungsobjektivität nennen Wissenschaftler Kontextobjektivität.

Interkulturelle Störfälle

Prallen nun verschiedene Kontextobjektivitäten von Angehörigen unterschiedlicher Medienkulturen frontal aufeinander, sind interkulturelle Störfälle vorprogrammiert.

Oft genug bilden fehlerhafte Übersetzungsäquivalenzen in der Nachrichtensprache zwischen arabischen und westlichen Medienkulturen die Ursachen.

In der Nahost-Berichterstattung bezeichnet Al-Jazeera beispielsweise palästinensische Selbstmordattentäter in Israel mit demselben arabischen Wort für Todesopfer in gewaltsamen Konflikten als 'shahid', 'shuhada' (Pl.), was "hingeschieden", aber auch "Märtyrer" bedeutet.

Dieser Begriff wird in der westlichen Welt als Partei ergreifend für die palästinensische Sache verstanden. Dagegen übernimmt beispielsweise CNN häufig Euphemismen der Streitkräfte und bezeichnet die Politik von Anschlägen der israelischen Armee auf mutmaßliche palästinensische Terroristen als 'target killings' ('gezielte Tötungen'), statt sie korrekter 'assassination' ('Mord') zu nennen.

Ferner entstehen interkulturelle Störfälle auf Grund von Kommunikationsstörungen in politischen und kulturellen Machtverhältnissen in den internationalen Beziehungen.

Ein solches kommunikatives Dilemma ist die kulturelle Definitionsmacht über das Phänomen des diffusen internationalen Terrorismus.

Was die eine Seite als Terrorismus bezeichnet, nennt die andere womöglich Freiheitskampf. Was viele Massenmedien des Westens, sprich: der USA als 'Krieg gegen den Terrorismus' bezeichnen, heißt in der Berichterstattung einiger arabischer Massenmedien etwa 'US-Krieg gegen den so genannten Terrorismus'.

Die US-Invasion des Irak 2003 wurde in vielen westlichen Medien 'war of liberation' ('Befreiungskrieg'), dagegen in einigen arabischen Medien 'war of occupation' ('Besatzungskrieg') genannt.

Glokalisierung oder …

Im Rahmen einer "Glokalisierung" (Roland Robertson), also einer Anpassungsstrategie global operierender (Medien-)Unternehmen an regionale und lokale Absatzmärkte, versuchen neue arabische wie westliche TV-Nachrichtensender gleichermaßen, zusätzliche Zielpublika außerhalb des eigenen Kultur- und Sprachraums zu gewinnen.

Um dieses Ziel einer Gewinnmaximierung zu erreichen, wollen sie zusätzlich zu ihren global verbreiteten arabischen oder englischen Sprachraum- bzw. Lingua-franca-Fernsehprogrammen Medieninhalte in der jeweils anderen Sprache auf den Markt bringen.

Auch CNN und Al-Jazeera beispielsweise wollen sekundäre Zielpublika außerhalb des eigenen Kultur- und Sprachraums gewinnen.

So bietet Al-Jazeera seit Frühjahr 2003 auch englische Internetseiten, die während des Irak-Kriegs für kurze Zeit einem Angriff von Krieg befürwortenden US-Hackern zum Opfer fielen.

Ab Frühjahr 2005 will Al-Jazeera eigenen Angaben zufolge ein englisches Fernsehprogramm senden. Im Gegenzug hat CNN Medienberichten zufolge bereits ein Konzept für eine arabische Programmversion in der Schublade. Arabische Internetseiten bietet der Online-Dienst von CNN bereits.

… transkulturelle Medien-Kooperation

Eine andere Strategie ist die der transkulturellen Medien-Kooperation – auf institutionellem oder individuellem Level. Auf der Ebene der Institutionen können mindestens zwei Medienunternehmen unterschiedlicher (sprach-) kultureller Herkunft ein gemeinsames, grenzüberschreitendes Tochter-Medienunternehmen mit einer paritätischen Infrastruktur gründen.

In seinen publizistischen Inhalten bietet es seinen Rezipienten den so genannten 'regard croisé', 'gekreuzten Blick'. Nach dem deutsch-französischen Vorbild des Europäischen Fernseh-Kulturkanals ARTE wäre die Einrichtung eines grenzüberschreitenden, euro-arabischen Fernsehsenders durchaus wünschenswert, doch gegenwärtig wegen unterschiedlicher Voraussetzungen und zu großer struktureller Diskrepanzen leider unrealistisch.

Allerdings müssen die neue arabische und die westliche Medienwelt endlich von der Verständigung zur Verhandlung kommen, die über einen Austausch von Erfahrungen oder Nachrichtenmaterial wie beispielsweise zwischen dem ZDF und Al-Jazeera hinausgeht.

Vorschläge für eine Kooperation

Dafür bietet sich eine Kooperation "im Kleinen" an: eine Zusammenarbeit auf der individuellen Ebene, also zwischen Medienschaffenden.

Folgende Vorschläge sind denkbar und diskussionswürdig:

Warum nicht Journalisten und noch wichtiger: Dokumentar-Filmemacher aus beiden Medienkulturen in einem gemeinsamen Ausschuss miteinander enger vernetzen und gemeinsame Projekte realisieren lassen?

Warum nicht einen deutsch-arabischen Preis für Medienschaffende ausloben?

Warum nicht junge Journalisten gemeinsam ausbilden, im Verbund oder sogar in einem gemeinsamen Berufs-Verband den Austausch von Volontären, Praktikanten und Hospitanten zwischen Deutschland bzw. Europa und der arabischen Welt fördern?

Warum nicht einen deutsch-arabischen Medienrat einrichten, dessen Mitglieder gleichsam als 'Medienweisen' Empfehlungen zur Qualitätssicherung der Krisenkommunikation abgeben und Orientierungshilfen anbieten könnten, um Missverständnissen zwischen den unterschiedlichen Medien- und Kommunikationskulturen vorzubeugen?

Impulse für derartige (Tele-) Visionen kann dieser Deutsch-Arabische Mediendialog setzen. Und er setzt sie bereits:

Während dieser Konferenz koproduziert das deutsche Auslandsfernsehen DW TV zusammen mit seinem Kooperationspartner Abu Dhabi TV die Pilotsendung mit dem Arbeitstitel "Dialogue: East-West" für eine ab Herbst 2004 geplante, arabischsprachige Talkrunden-Staffel, die beide Sender Zeit versetzt ausstrahlen wollen.

Der Sendetermin des Piloten wurde für Ende Mai 2004 angekündigt. Ferner verständigen sich am Rande dieser Tagung ARTE und Al-Arabiya über einen möglichen Dokumentarfilm-Austausch.

Oliver Hahn

Der Text basiert auf einem Vortrag, den Oliver Hahn auf dem "Deutsch-arabischen Mediendialog" in Abu Dhabi im Mai 2004 hielt.

© Oliver Hahn

Dr. Oliver Hahn (* 1969) ist Gastprofessor für Kommunikationswissenschaft an der TU Dresden und Research Fellow des Wissenschaftszentrums für Internationalen Journalismus (Erich-Brost-Institut) an der Universität Dortmund. Er habilitiert sich mit einem Forschungsprojekt "Bordercasting - Globale Krisenkommunikation des grenzüberschreitenden Nachrichtenfernsehens im Kulturendialog zwischen der neuen arabischen und der westlichen Medienwelt".

Informationen über den Deutsch-Arabischen Mediendialog finden Sie auf der Website des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa)
Erich-Brost-Institut