"In der Schule war ich eine Null"

Nicht nur in Marokko und Algerien, auch in Tunesien hat sich in den letzten Jahren eine junge Musikszene etabliert, die globale Ausdrucksformen wie den Hip-Hop nutzt. Tunesiens erfolgreichster Rapper ist der 30jährige Balti. Martina Sabra hat ihn getroffen.

CD-Cover des tunesischen Rap-Stars Balti
Rappen über Themen, die Tunesiens Jugendliche am meisten stressen: Spießertum, Doppelmoral, Drogen, Arbeitslosigkeit und Korruption - Tunesiens Hip-Hop-Star Balti

​​ Balti, in einem Deiner bekanntesten Stücke rappst Du folgende Zeilen: "Wo soll ich hin, wo soll ich hin mit meiner Wut/Ich werde mein Glück suchen, wo der Schnee fällt, ich trinke meinen Kaffee in Europa/Ich gehe als Verlierer, aber zurück komme ich als Gewinner." Du bist nach zehn Jahren Karriere als Musiker mittlerweile tatsächlich ein Gewinner. Fühlst Du Dich als Sprachrohr jener Jugendlichen, die weniger Glück gehabt haben?

Balti: Ich komme aus Sidi Hassine Sijoumi, einem Viertel in Tunis, in dem eher arme Leute leben. Hier hast Du eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder du wirst kriminell oder du suchst einen Ausweg – und der heißt Musik oder Sport. In meinen Stücken geht es um das, was die Jugendlichen am meisten nervt und stresst: Spießertum, Doppelmoral, Drogen, Arbeitslosigkeit, Geldmangel, Korruption. Und natürlich träumen alle davon, abzuhauen. Auch wenn ich mittlerweile woanders leben könnte, fühle ich mich in Sidi Hacine immer noch zuhause. Wenn ich dort unterwegs bin, grüßen die Leute mich auf der Straße, für die Jungs im Viertel bin ich der große Bruder. Manchmal finde ich diese Rolle ehrlich gesagt auch ganz schön stressig. Die Jungs orientieren sich an mir, sie nehmen meine Texte ernst, das ist eine Menge Verantwortung.

Wie entstehen Deine Songs, woher nimmst Du den Stoff für Deine Stücke?

Balti: Was das Drumherum angeht, so mache ich eigentlich alles selber: ich komponiere, ich arrangiere, ich schreibe meine Texte selbst. Wovon ich erzähle, das hängt von meiner Stimmung ab, wie ich gerade drauf bin. Meist geht es um meinen Alltag, Dinge, die ich oder meine Freunde erleben. Ich versuche, denen eine Stimme zu geben, die sich nicht ausdrücken können oder die nicht angepasst sind.

Rap-Sänger sprechen meist ziemlich direkt über Gewalt oder über Tabuthemen wie Sex und Religion. Du hattest wegen Deiner Texte schon mal Ärger mit den tunesischen Behörden. Damals hast Du einfach weitergemacht. Wie gehst Du heute damit um? Hältst Du Dich beim Texten bewusst zurück?

Balti: Meine Texte sind fast hundertprozentig auf Tunesisch. Das heißt, dass auch meine Oma genau versteht, worum es geht. Klar, dass ich nicht permanent mit Kraftausdrücken um mich werfe und dass ich mich bei manchen Themen nicht so aus dem Fenster hänge. Früher wollte ich unbedingt provozieren, heute nicht mehr. Rap wird oft mit Gewalt und Gossensprache assoziiert. Das muss aber nicht unbedingt sein. Mir ist wichtiger, dass die richtige Botschaft rüberkommt.

Du bist seit über zehn Jahren etabliert in der jungen tunesischen Musikszene – am Anfang mit der Band Ouled Bled, heute als Solo-Rapper in wechselnden Formationen. Als Du angefangen hast, gab es da schon so etwas wie eine Rap-Szene in Tunesien?

Balti: Nein, wir waren damals totale Amateure. Allerdings muss ich sagen, dass ich schon mit neun Jahren ein großer Fan von Rap und Hip-Hop war. Mein Bruder war Ende der 1980er Jahre einer der ersten Breakdancer im Viertel. Er brachte zum Üben Videos mit nach Hause, die ich mir immer wieder ansah. Von den Texten verstand ich damals kein Wort. Aber der Stil, die Art zu sprechen, zu singen, das gefiel mir extrem gut.

Habt Ihr damals maghrebinischen Rap gehört, aus Algerien oder Marokko?

Balti: Nein, maghrebinischen Rap gab es damals noch gar nicht. Wir haben Hip-Hop und Rap aus den USA gehört, wie Masta Ace, Black Sheep und vor allem aus Frankreich – MC Solaar zum Beispiel.

Du hast dann ja sehr bald mit Freunden begonnen, Rap auf Tunesisch zu singen. Wie kam das bei den Leuten an? Hat man Euch in Tunesien überhaupt zugehört?

Balti: Am Anfang war unser Publikum ziemlich überschaubar. Die Leute in Tunesien interessieren sich traditionell mehr für Musik aus dem arabischen Orient, oder für Popmusik, die man leicht vermarkten kann. Wir haben einfach weitergemacht, uns um die Kritik nicht gekümmert. Bis die Leute anfingen, uns zu verstehen. Und dann muss man auch sehen, dass man in Tunesien mit Musik nicht viel Geld verdienen kann. Meine Eltern wollten, dass ich es mache wie alle: Abitur, Studium, und so weiter. Aber für mich war das Lernen gar nichts, ich war eine totale Null in der Schule.

In Tunesiens Nachbarländern Algerien und in Marokko gibt es seit vielen Jahren eine sehr lebendige Hip-Hop und Rap-Szene. Wo siehst Du Tunesien gegenwärtig?

Balti: Im Vergleich mit Tunesien ist die Hip-Hop-Szene in Marokko viel weiter entwickelt. Wir haben in Tunesien zwar Talente, wie zum Beispiel Kenzi. Aber wir haben nicht ausreichend Mittel, um uns weiterzuentwickeln. Der Flow ist da, die Texte sind da, die Sänger sind gut, aber insgesamt gibt es zuwenig Möglichkeiten, um sich zu produzieren und bekannter zu werden.

Du bist schon mehrmals im Ausland aufgetreten, unter anderem auch in Deutschland und in diesem Jahr zum ersten Mal in den USA. Was sind Deine Ziele?

Balti: Ich möchte, dass die Nachwuchstalente in Tunesien mehr Raum bekommen, dass die Szene sich entwickelt. Was mich selbst angeht, so hoffe ich, dass ich mich oben halten kann. Der Erfolg ist sehr schnell gekommen und er kann auch genauso schnell wieder weg sein. Ich will daran arbeiten, dass das nicht passiert. Das bin ich mir selbst, aber auch den Fans schuldig.

Interview: Martina Sabra

© Qantara.de 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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