Die doppelte Krise: Exil und Integration

Wir Syrer erleben infolge des Krieges tagtäglich Schreckliches, auch im Exil, denn wir leiden trotz der Entfernung mit der im Land gebliebenen Bevölkerung. Und zusätzlich erfahren wir hier, was es bedeutet, fremd zu sein, schreibt der syrische Flüchtling Nather Henafe Alali in seiner dritten Kolumne.

Von Nather Henafe Alali

Seit einigen Jahren sind wir Syrer das Thema endloser Debatten und sind als Einzelne und als Kollektiv zuweilen das Ziel verletzender verbaler Angriffe. Es geht in diesen Diskursen um Asyl, Integration und die Unterschiedlichkeit von Sitten und Kulturen. Und oft münden sie in Islamophobie, zumal wenn sie unter den Stichworten Terror und Extremismus geführt werden. Letzteres ist zwar nichts Neues und betrifft bei weitem nicht nur uns, aber wir Syrer dominieren solche Diskurse einfach deswegen, weil wir in den Aufnahmeländern als größte Flüchtlingsgruppe zum Sinnbild des Elends dieses Jahrhunderts geworden sind.

Seit das syrische Volk 2011 einen Aufstand gewagt hat, wie es ihn in Syrien seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht gegeben hatte und seitdem das Assad-Regime als Reaktion darauf einen Krieg gegen das eigene Volk führt, sprechen nicht wenige syrische Intellektuelle im Zusammenhang mit der Flucht ihrer Landsleute ins Ausland von Exil. Das Ironische daran ist, dass die meisten Syrer gerade dann ihr Land verlassen mussten, als sie von einem neuen Land träumten und dafür kämpften: einem Land, in dem sie freie Wesen sein und Demokratie genießen dürfen. Aber die Tötungsmaschinerie des Assad-Clans verwandelte diese Hoffnungen in einen Alptraum von Massakern, Haft, Belagerung, Vertreibung und Tod durch Ertrinken.

Die Angst vor dem Fremden

Wir Syrer erleben infolge dieses Krieges tagtäglich Schreckliches, auch im Exil, denn wir leiden trotz der Entfernung mit der im Land gebliebenen Bevölkerung. Und zusätzlich erfahren wir hier, was es bedeutet, fremd zu sein und müssen uns fragen, wie wir mit unserer Kultur und unserer Identität umgehen, die wir als Flüchtlinge, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, mit uns herumtragen und in eine neue Gesellschaft mitbringen. Denn in vielen Zielländern von Migranten und Flüchtlingen erheben sich regelmäßig Stimmen, die vor diesen krisen- und leidgeprüften Leuten und den Gefahren warnen, die von ihnen für den Charakter und die Stabilität des jeweiligen Zufluchtslandes ausgehen könnten. Ich erlebe diese Diskussion hier in Deutschland, und ich habe sie zuvor auch in arabischen beziehungsweise muslimischen Ländern erlebt: im Libanon und in der Türkei.

Syrische Flüchtlinge warten am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Foto: picture-alliance/dpa/J.Stratenschulte
Integration ist keine Einbahnstraße: "Ich befürchte, dass Integration, wenn sie nur im Sinne einer allergischen Reaktion eingefordert wird, darauf abzielt, das Wesen des anderen zu eliminieren. Wenn man nur verlangt, die anderen hätten sich schleunigst und grundlegend zu ändern, ist ein Scheitern vorauszusehen", meint Nather Henafe Alali.

Vor diesem Hintergrund erheben Politiker und Meinungsführer aller Art die Forderung nach Integration. Auch ich glaube, dass Integration hilfreich ist, wenn sie so konzipiert ist, dass sie Gästen und Aufnehmenden gleichermaßen dient, auf gegenseitigem Respekt beruht und dies gesetzlich und in Programmen verankert ist. Ausgeglichenheit und Offenheit beider Seiten sind hier maßgeblich, denn ich befürchte, dass Integration, wenn sie nur im Sinne einer allergischen Reaktion eingefordert wird, darauf abzielt, das Wesen des anderen zu eliminieren. Wenn man nur verlangt, die anderen hätten sich schleunigst und grundlegend zu ändern, ist ein Scheitern vorprogrammiert.

Integration ist nicht Assimilation

Wie immer wir dazu stehen, sollte Integration als ein Konzept gesehen werden, das seine Grenzen hat und das darüber hinaus Zeit braucht. Sie ist kein Umerziehungsprogramm und sie sollte nicht zum Ziel haben, die eine Identität auszulöschen, um die andere zu schützen. Ich sehe Integration eher als lebendige und variable Interaktion, die neue Richtungen eröffnet. Sie sollte mit konstruktiven und intensiven Programmen beginnen, die uns Türen öffnen und einen Zugang zum Alltag schaffen.

Das Endziel der Integration ist nicht Assimilation. Wenn man Integration nur von der Warte eines Kampfes der Identitäten und Kulturen sieht, verschärft man Konflikte nur. Ich empfinde es zudem als paradox, dass die Gesellschaften der Aufnahmeländer so viel Angst um ihren Charakter haben, obgleich dieser unbestritten ist und das Alltagsleben dominiert. Sie haben Angst vor Leuten, die ihrerseits unter Fremde und Exil leiden und die befürchten, sie könnten als Minderheit ihren Charakter und ihre kulturelle Eigenheit verlieren.

Ängste und Sorgen müssen nicht immer unverständlich sein. Aber in unserer heutigen Welt nehmen die Unterschiede unter den Menschen, gerade in der jüngeren Generation, eher ab. Trotzdem führen manche Leute Diskussionen um Unterschiedlichkeiten in einer Weise, die an Wahn grenzt und verletzend ist. Ich persönlich sehe die Diskurse um Integration, Identität, Exil und Heimat auch als Ergebnis eines schweren Erbes von Konflikten, die durch Nationalismus und Hass genährt werden. Und beides gibt es leider in allen Kulturen.

© Nather Henafe Alali 2016

Aus dem Arabischen von Günther Orth

Dieser Beitrag erschien zuerst im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" (Nr. 27/2016).