Kindermärchen aus dem Morgenland

Seit vielen Jahren lebt der palästinensische Beduine Salim Alafenisch in Heidelberg. Er schreibt auf Deutsch für Jugendliche und Erwachsene. Peter Philipp stellt ihn und die Besonderheiten der arabischen Kinderliteratur vor .

Seit vielen Jahren lebt der palästinensische Beduine Salim Alafenisch in Heidelberg. Er schreibt auf Deutsch für Jugendliche und Erwachsene. Peter Philipp stellt ihn und die Besonderheiten der arabischen Kinderliteratur vor.

Portrait Salim Alafenisch; Foto: Niklaus Stauss
Alafenisch schreibt für Jugendliche und Erwachsene. Er selbst ist mit mündlichen Erzählungen großgeworden.

​​Seit vielen Jahren lebt Salim Alafenisch – ein palästinensischer Beduine aus der Negev-Wüste im Süden Israels – in Heidelberg und schreibt auf Deutsch Geschichten und Erzählungen sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene. Alafenisch wurde 1948 als Sohn eines Beduinenscheich geboren.

"Ich bin mit Geschichten und Erzählungen aufgewachsen. Wir hatten weder Bücher noch ein Kino im Zeltlager. Vor allem gab es Geschichten. Mündlich erzählt", so beschreibt Alafenisch die Anfänge seiner Beziehung zur Literatur.

Tradition des Hakawati

Dass dies keine Besonderheit bei Beduinen, sondern allgemein verbreitet war, bestätigt Hassan Anis. Er ist Besitzer des Internet-Buchhandels für arabische Kinderliteratur 'Kitabuna.de' in Duisburg:

"Diese Tradition ist in der arabischen Welt sehr bekannt: der so genannte Hakawati, der Märchenerzähler. In meiner Stadt Damaskus saß er immer im großen Café – im 'Kahwa' – und dann hat er angefangen, den Leuten Traditionsgeschichten zu erzählen. Die berühmteste Geschichte ist die Geschichte von Antara Ibn Shaddad. Das ist der berühmte Wüstenkämpfer, der um seine Geliebte gekämpft hat."

Solche Geschichten haben sich über Jahrhunderte hinweg erhalten und wurden von einer Generation zur nächsten weiter erzählt. Sie gehören deswegen auch zu den Geschichten, mit denen arabische Kinder groß werden. Wie auch jene Märchen, die wir in Europa als "Märchen aus dem Morgenland" kennen.

"Die ersten Geschichten, von denen Kinder hören – sei es jetzt Ali Baba oder '1001 Nacht' – sind eigentlich weniger für Kinder gedacht", so Hassan Anis. "Vielleicht werden sie in letzter Zeit in überarbeiteten Versionen angeboten, aber der Ursprung bleibt derselbe", so Anis weiter.

Arabische Kinderliteratur ist Mangelware

Auf der Suche nach arabischer Kinderliteratur in seiner Heimat wurde der Schriftsteller Alafenisch jedoch enttäuscht. Die Auswahl war nicht besonders groß und vieles davon waren Übersetzungen.

​​"Zu 50 Prozent wird Kinderliteratur aus der Weltliteratur übersetzt und zu 50 handelt es sich um eigene Produktionen", hält Alafenisch fest. "Aber man muss fairerweise sagen: Kinderliteratur genießt nicht die Aufmerksamkeit wie Literatur für Erwachsene."

Doch es gibt sie natürlich, die arabischen Kinderbücher. Hassan Anis von 'Kitabuna.de' glaubt, dass die Anzahl der Neuerscheinungen in den letzten zehn Jahren besonders stark zugenommen hat.

Kinderbücher statt Fernsehkonsum

Ein Grund hierfür sei, dass auch arabische Eltern versuchen, ihre Kinder vom Fernseher wegzuholen, wo sie täglich mehrere Stunden verbringen. Mehr sogar als ihre europäischen Altersgenossen.

Die arabischen Kinderbücher können nach Meinung von Anis in drei Hauptrichtungen eingeteilt werden:

"Die erste Strömung bezieht sich auf die arabische Tradition, auf arabische Geschichte – unabhängig von dem Islam. Zum Beispiel 'Kalila und Dimna'. Die zweite ist mit der arabischen Kultur und der Zugehörigkeit zum arabischen Volk verknüpft – der arabischen 'Umma'. Die dritte Richtung ist jene, mit der islamische Werte vermittelt werden."

Rotkäppchen gehört zur internationalen Kultur

Natürlich bedienen sich auch arabische Kinderbücher einer leicht verständlichen und bildhaften Sprache. Und das nicht erst in der modernen Kinderliteratur.

"Es gibt traditionelle Kinderbücher, deren Geschichten der arabischen Kultur entnommen sind", so Hassan Anis.

"Das große Beispiel ist das Buch 'Kalila und Dimna'. Darin werden Kindern Lebensweisheiten anhand Tiercharakteren erklärt. Das ist mal ein Affe, eine Ente, eine Taube oder eine Maus. Die Tiere sprechen miteinander und vermitteln so den Kindern die Botschaften, die dahinter stecken: Warum soll ich meinen Freunden helfen oder warum soll ich nichts Schlechtes tun."

Hassan Anis vertreibt inzwischen einen guten Anteil seiner arabischen Kinderbücher als Übersetzung europäischer Werke. Und er hält das durchaus für selbstverständlich.

"Die Kinder sollten nicht nur die arabische Geschichte oder arabische Kultur mitbekommen", sagt Anis. "Mittlerweile gehört Rotkäppchen zur internationalen Kultur. Die 'arabische Tochter' von Rotkäppchen heißt Layla wa Al-Dhib [Leila und der Wolf]."

Der auf Deutsch schreibende Salim Alafenisch findet ebenso, dass Literatur, auch Kinderliteratur, längst eine globale Angelegenheit geworden ist. Seine Werke sind schon in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Außer ins Arabische. Aber was nicht sei, das könne ja noch werden, so Alafenisch.

Peter Philipp

© Qantara.de 2008

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