Shakespeare und Islam am Globe Theatre

Den 400jährigen Bühnengeburtstag von "Othello" feiert das Londoner Globe Theatre mit einem Forum für kulturellen Austausch. Der "Shakespeare and Islam"-Schwerpunkt schlägt Brücken zwischen damals und heute, Ost und West.

Vor 400 Jahren führte Shakespeares Theatertruppe zum ersten Mal "Othello" auf. Diesen Bühnengeburtstag des Mohren von Venedig feiert das Londoner Globe Theatre mit einem Forum für kulturellen Austausch. Der "Shakespeare and Islam" - Schwerpunkt schlägt Brücken zwischen damals und heute, Ost und West.

Foto: 'Green Dome', Peter Sanders, &copy Shakespeare's Globe

​​Seit George W. Bush Seite an Seite mit Tony Blair den "Krieg gegen den Terror" ausgerufen hat, leben die verschiedenen Glaubensgemeinschaften im wahrhaft multikulturellen London nicht mehr ganz so gleichgültig nebeneinander her. "Wir haben generell wachsende Angst und Entfremdung gegenüber Muslimen festgestellt", sagt Sher Khan von der "Islamic Society of Britain".

Es leben immerhin rund zwei Millionen Muslime in Großbritannien. Man versucht, die Situation mit Humor zu entschärfen: Wer entspannt sich nicht beim Anblick eines T-Shirts mit dem Aufdruck "Don't Panic I'm Islamic"? Ein anderer, weniger zwiespältiger und sicherlich dauerhafterer Ansatz ist die aktive kulturelle Begegnung.

Desdemonas ägyptisches Taschentuch

In der britischen Theaterlandschaft ist daher ein steigendes Interesse am Mittleren Osten und am islamischen Kulturkreis zu verzeichnen. Davon zeugen Stücke wie "The Arab-Israeli Cookbook" am Gate Theatre oder die Aufführung von "Women of War" des irakischen Autors Jawad al-Assadi.

Die erste englische Bühne, die sich über einen längeren Zeitraum mit dem Thema beschäftigt, ist jedoch - man höre und staune - das Londoner Globe Theatre. Diesen Monat jährt sich zum 400. Mal die erste schriftlich bezeugte Aufführung von "Othello, the Moor of Venice".

Zu Shakespeares Zeit wie heute bezeichnet "a moor" einen nordafrikanischen Mauren und damit einen Muslim. Patrick Spottiswoode, Leiter des Globe Education Department, führt aus, alles deute darauf hin, dass Shakespeares Othello Marokkaner sei.

Inspiriert wurde das Stück wahrscheinlich vom spektakulären England-Besuch des marokkanischen Botschafters im Jahr 1600: "Von der Invasion der Ottomanen in Zypern bis zum alles entscheidenden Taschentuch Desdemonas, das in Ägypten gewebt wurde, ist es durchsetzt von islamischen Bezügen."

So nahm das Education Department den Jahrestag zum Anlass, Kontakt aufzunehmen zur Islamic Society of Britain und zu anderen Organisationen, um eine "Shakespeare and Islam"-Saison zusammenzustellen.

Ziel ist es, elisabethanische Haltungen zur muslimischen Welt zu erforschen - Teil des Globe-Auftrags ist, zu heutigem besserem Verständnis von Shakespeare den sozialen und politischen Kontext zu untersuchen, in dem seine Stücke entstanden.

Das Globe sah hier aber auch eine Chance, über seinen englischen Kulturträger par excellence Begegnungen mit der islamischen Kultur im heutigen Grossbritannien zu ermöglichen.

Im Zentrum des weit gefächerten Veranstaltungszyklus steht "Othello". Angeboten werden "Globe-Jugend-Workshops" auf Englisch und Arabisch sowie eine szenische Lesung der selten aufgeführten ersten Druckfassung von 1622.

Doch auch sieben andere Stücke aus Shakespeares Zeit, die entweder in islamischen Ländern spielen oder in denen islamische Figuren wichtig sind, werden von Schauspielern mit Textbuch in der Hand entstaubt, darunter vergessene Erfolgsstücke des 17. Jahrhunderts, wie "Emperor of the East" von Philip Massinger und "The Battle of Alcazar" von George Peele.

Im Rahmen einer begleitenden Vortragsreihe unternimmt der amerikanische Religionswissenschafter Shaykh Hamza Yusuf islamische Interpretationen der Shakespeare-Sonette.

Unter dem Titel "The Iago Factor: Obstacles on the Path to Peace" beleuchtet er Krieg und Frieden in "Othello" und zieht Parallelen zur heutigen politischen Situation. Der Londoner Akademiker Dr. Martin Lings entdeckt seinem Publikum mögliche Hinweise auf Sufi-Gedankengut in "Othello". Man lässt sich einiges einfallen.

Tatsächlich spielte der Islam zu Shakespeares Lebzeiten keine unbedeutende Rolle; und elisabethanische Ideen, Ängste und Hoffnungen in Bezug auf die muslimische Welt schlugen sich in einigen Werken des Barden und seiner Zeitgenossen nieder.

Das Ottomanische Reich stellte damals immer noch eine latente Bedrohung dar: 1570 hatten die Türken blutig Zypern erobert. Gleichzeitig war das von Konstantinopel unabhängige Marokko wichtiger Verbündeter Englands gegen das katholische Spanien.

Elisabeth und der marokkanische König hegten sogar Pläne, gemeinsam Amerika zu kolonisieren. Shakespeare selbst hatte laut Quellen Richard Knolles Buch "General History of the Turks" gelesen und nimmt mindestens 141-mal in 21 verschiedenen Stücken Bezug auf den Islam - er erwähnt den Propheten "Mahomet", Marokko, Konstantinopel, Türken, Ottomanen, Sarazenen, Sultane und die Mauren.

"Souk Lectures"

Doch das Globe schlägt auch eine Brücke in die Gegenwart. Am Wochenende warfen stündliche "Souk Lectures" Schlaglichter auf die historische und heutige Bedeutung des Islam in England. Derweil verwandelte sich der Innenhof des Theaters in einen arabischen Markt.

Das Angebot reichte von Gewürzen über Kalligraphie bis zu morgenländischem Markttheater, präsentiert von der Khayaal Theatre Company. Diese sinnliche Erfahrung muslimischer Kultur, eingebunden in die diesjährige britische "Islam Awareness Week", zählte über 10.000 Besucher.

Die Globe- Veranstaltungen sind, abgesehen von einigen wohl unvermeidlichen bösen Kommentaren im Internet, generell positiv aufgenommen worden.

Nicht nur von den großen britischen Tageszeitungen und anglo-muslimischen Publikationen. Spottiswoode erzählt, dass er mit einem muslimischen Taxifahrer ins Gespräch kam, der sich nicht nur persönlich für die Globe-Aktivitäten interessierte, sondern Informationen an zwei Moscheen weiterleiten ließ.

Aus dem Interesse an dieser Initiative hat sich ein Folgeprojekt ergeben. Nächstes Jahr macht sich das "Globe-Education-Team" mit einem kulturübergreifenden Shakespeare-Workshop, inspiriert von "Othello", auf die Reise zu über 60 britischen Schulen.

Unter anderem soll dies muslimischen Schülern ermöglichen, in dem britischen Klassiker Teile ihres kulturellen Erbes zu entdecken und mit Klassenkameraden zu teilen. Im Rahmen des Workshops werden alle Kinder, um Othellos Welt näherzukommen und ihre eigene besser kennen zu lernen, gemeinsam eine Kirche und eine Moschee besuchen.

Patricia Benecke

© Neue Zürcher Zeitung, 6. Dezember 2004

Mehr über das Projekt von Globe Education und Shakespeare and Islam erfahren Sie hier