Die Sprachlosigkeit überwinden

Der jordanische Autor Amjad Nasser kritisiert, dass sich viele arabische Schriftsteller nach dem Scheitern der demokratischen Umbrüche mit den neuen politischen Realitäten in ihren Ländern arrangiert haben, anstatt ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit und Despotie zu erheben. Marcia Lynx Qualey stellt den streitbaren Dichter und Journalisten vor.

Von Marcia Lynx Qualey

"Wie kann man ein erfolgreicher oder ein wichtiger Dichter sein, und sich nicht mit einem despotischen und korrupten Regime verbünden?", fragt Amjad Nasser lakonisch per Mail, um gleich drauf die Antwort zu geben: "Es ist schwierig angesichts der gegenwärtigen Situation in vielen arabischen Ländern, aber nicht unmöglich."

"Amjad Nasser" ist das Pseudonym eines jordanischen Dichters und Jounalisten, der heute als einer der wichtigsten Schriftsteller der arabischen Sprache gefeiert wird. Sein Roman-Debüt "Land of No Rain" (Land ohne Regen) wurde von der renommierten ägyptischen Romanautorin Ahdaf Soueif als eines der "besten Bücher des Jahres 2011" bezeichnet. 2014 hat der englische "Guardian" sein Gedicht "A Song and Three Questions" (Ein Lied und drei Fragen) aus seine Liste der der 50 bedeutendsten modernen Liebesgedichte gesetzt. Aber mehr noch als für seine Gedichte steht Nasser wegen seiner Essays und seiner politischen Einstellungen bis heute im Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Geboren 1955 in Nordjordanien, trat Nasser als junger Mann einer palästinenserfreundlichen Organisation bei und wurde im Alter von nur 21 Jahren gezwungen, das Land zu verlassen. Die 1980er Jahre verbrachte er als Reporter in Beirut und Zypern, bevor er 1987 nach London zog. Seit jener Zeit blieb er immer dem Journalismus treu, zunächst bei der Londoner Zeitung "Al-Quds al-Arabi" und heute als Chefredakteur der Neuveröffentlichung "Al-Arabi al-Jadeed".

Während all dieser Jahre hat sich Nassers Meinung über die Rolle der arabischen Schriftsteller nicht sehr verändert, sagt er, obwohl er mit der Zeit "weniger optimistisch" geworden ist, wie er meint.

Die Bedeutung der Worte

Buchcover von Amjad Nassers "Land of No Rain"; Foto: Bloomsbury Qatar Foundation
Amjad Nasser's critically acclaimed debut novel, "Land of No Rain", is set in the fictional Arab country of Hamiya, which is run by military leaders who "treat power as a personal possession to be handed down from one generation to the next".

Für ihn steht fest, dass "Worte einen wichtigen gesellschaftlichen Stellenwert einnehmen und dass es ohne sie keine wirklichen Taten folgen können. Deshalb ist es beunruhigend, dass "Taten in unserer heutigen arabischen Welt nicht von Worten begleitet werden, ob sie nun von furchterregenden religiösen Extremisten begangen werden…oder von arabischen Regimes, die wieder zur Tyrannei zurückgekehrt sind, nachdem die revolutionären Taten der arabischen Jugend keine grundlegenden Änderungen bewirkt haben", so Nasser.

Viele Araber leben heute in "Gesellschaften ohne Worte". Angesichts dieser Lage wird die bedeutungsstiftende Rolle der Intellektuellen in der Öffentlichkeit noch wichtiger. Dies heißt aber nicht, "dass Intellektuelle Botschafter oder Engel sind – und auch keine Supermänner", sagt er. "Der Prozess der Veränderung benötigt viel Zeit, insbesondere in Hinblick auf soziale und kulturelle Veränderungen. Und das ist wohl die schwierigste Aufgabe überhaupt!"

Obwohl sich seit den Umbrüchen von 2011 Vieles kaum verändert hat, führt Nasser auch ein paar positive Beispiele an. Es habe eine "Kommunikationsrevolution" gegeben, in deren Mittelpunkt journalistisch aktive Bürger stehen, so Nasser. Diese neuen Journalisten und Autoren hätten entscheidend dazu beigetragen, die Verbrechen der despotischen Regime ans Licht zu bringen.

Dagegen geißelt er das Verhalten seiner Schriftstellerkollegen in anderer Hinsicht: "Es gibt heute den Typ des Dichters oder Schriftstellers, der sich mit dem Militär und den tyrannischen Machthabern gegen den gemeinsamen Feind des Extremismus und Terrorismus verbündet. Diese Schriftsteller – die sich in der Levante vor dem IS und in Ägypten vor Gruppen wie Ansar Bait al-Maqdis fürchten – machen plötzlich mit den Militärführern gemeinsame Sache", kritisiert Nasser.

"Wenn das jeweilige arabische Regime dann mit der Unterdrückung der Extremisten und Terroristen abgeschlossen hat, wird es sich dann rasch gegen die Schriftsteller und Intellektuellen wenden. Dies bedeutet, dass ein erfolgreicher Dichter, der für sein Publikum so etwas wie eine moralische Instanz darstellt, unabhängig von anderen Autoritäten sein sollte, da seine Motive sich von denen der Regierung gravierend unterscheiden, auch wenn er damit Extremismus und Terrorismus ausgesetzt ist."

Dominanter religiöser Diskurs

Auch befürchtet Nasser, dass der vorherrschende religiöse Diskurs in vielen arabischen Gesellschaften jegliche andere Verwendung von Sprache begrabe. "Auf religiösen und terroristischen Extremismus antworten wir nicht mit Vernunft und Logik oder Literatur und Erleuchtung, sondern vielfach mit Religion selbst." Man sei daher versucht, das Problem mit dem Problem selbst zu lösen. "Das hat zur Folge, dass der gesamte Diskurs der arabischen Welt von extremen oder gemäßigten religiösen Gruppen kontrolliert wird."

Sprache ist für Nasser nicht nur eine Methode zur Vermittlung von Sinn und Bedeutung, sondern auch ein tiefer Ausdruck der Existenz. Deshalb stelle sie nicht nur für die kreativen arabischen Schriftsteller der Gegenwart eines der größten Herausforderungen dar, sondern auch für die arabischen Gesellschaften insgesamt. "Wie kann sich die Realität verändern, wenn wir keine Sprache besitzen, die zu dieser Veränderung beiträgt?", fragt Nasser.

Wie also sollten sich also arabische Schriftsteller verhalten? Amjad Nassers Antwort fällt vieldeutig aus: "Wir arabischen Intellektuellen müssen weiter an unserer Arbeit festhalten und dürfen das Vertrauen nicht verlieren", meint er. "Ob in unserer Heimat, in der Diaspora oder im Exil – überall müssen wir uns in das Leben unserer Gesellschaften einmischen und dürfen, um mit Edward Said zu sprechen, unsere Rolle nicht nur auf die rein technischen Aspekte des kulturellen Prozesses beschränken."

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2015

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff