Bilder verstellen den Blick auf die Realität

Das Wissenschaftskolleg zu Berlin lud Ende April Gelehrte aus Europa und Nahost dazu ein, in einem Workshop die Frage zu erörtern, wie Bilder vom "Anderen" erzeugt werden. Mit der Leiterin des Workshops, Shereen Abou El-Naga, sprach Youssef Hijazi.

Shereen Abou El-Naga; Foto: Youssef Hijazi
Shereen Abou El-Naga: "Der Islam, so wie ich ihn verstehe, ist kein fixes Bild, sondern eine dynamische Religion."

​​Frau Abou El-Naga, Sie haben den Workshop "Image Creation as a Problematic" vorbereitet und geleitet. Wie ist die Idee zu dem Workshop entstanden?

Shereen Abou El-Naga: Die Idee begleitet mich seit dem 11. September 2001. In dessen Folge reifte in der arabischen Welt die Überlegung, das Bild der Araber und des Islam zu verbessern. Gemeint ist die Korrektur unseres Images gegenüber dem Westen. Das Problem hierbei ist sowohl in dem Begriff Verbesserung als auch in dem Begriff Image begründet.

Die Stereotypen gab es doch bereits vor dem 11. September!

Abou El-Naga: In der Tat. Aber nach dem 11. September kochte die Stimmung hoch, und eine ganze Reihe von Veranstaltungen in den großen Kulturzentren und Einrichtungen trug den Titel: "Das Image der Araber nach dem 11. September." Doch bereits seit Beginn der Orientalismusdebatte wehren wir Araber uns gegen Stereotypen.

Aus meiner Sicht schlagen wir hierbei allerdings den falschen Weg ein. Wir wollen das orientalistisch geprägte Bild beiseite schieben und ein uns gerechtes Bild an seine Stelle setzen, also ein positives Image, doch damit wird das Problem letztendlich auf den Austausch eines Bildes gegen ein anderes reduziert. Bilder – die ganze Zeit sprechen wir von Bildern, und blenden so eine differenzierte Sicht der Geschichte, sei es allgemein oder individuell, aus.

Dasselbe gilt für das Bild des Islam. Der Islam, so wie ich ihn verstehe, ist kein fixes Bild, sondern eine dynamische Religion, die die Bewegungen der Zeit in sich aufnimmt.

Von der Idee einer positiven Imagebildung des Christentums hat weder im Westen noch in der arabischen Welt jemand je gehört. Der arabische Diskurs schlägt einen falschen und riskanten Weg ein.

Welche Unterstützung erhielten Sie bei der Vorbereitung des Workshops?

Abou El-Naga: Die Diskussion über den Workshop begann ich mit Samah Selim, die zurzeit Fellow am Wissenschaftskolleg ist und Georges Khalil, Leiter des Arbeitskreises "Moderne und Islam" am Wissenschaftskolleg. Die Entscheidung über den Workshop fiel gemeinsam.

Ich muss auch die Rolle des bekannten amerikanischen Literaturkritikers Thomas Mitchell erwähnen, auch er ist zurzeit als Fellow am Wissenschaftskolleg tätig. In meinen ersten Wochen in Berlin besuchte ich seine Vortragsreihe und erfuhr hierbei weitreichende Inspiration zum Thema "Imagebildung als Problematik" und war motiviert, das Projekt durchzuführen.

Welche Themen behandelte der Workshop?

Abou El-Naga: Es gab eine Reihe von Arbeitspapieren die diskutiert wurden: Thomas Mitchell sprach von der doppelten Phobie des Klonens und des Terrorismus in unserer historischen Epoche; Khaled Hroub über die amerikanische Demokratisierung der arabischen Welt: Images versus paradoxe Realitäten.

Monika Flackes Beitrag behandelte die Mythen der Nationen und ihre Ikonen nach dem Zweiten Weltkrieg; Viola Shafiq sprach über Filmimages in Amerika und im arabischen Film. Ziba Mir-Hosseini referierte über ihren Dokumentarfilm zu Genderfragen im Iran und den widersprüchlichen Reaktionen der Zuschauer im Iran und im Westen.

Marie-Therese Abdel Messih sprach über das Bild der "Ägypter" in der Kunst aus dem Blickwinkel des Zusammenpralls zwischen lokaler und globaler Perspektive. In meinem Papier behandelte ich die Politik der Interpretationen: von der Reproduktion des Harems bis zum Schleier im Westen.

Es scheint, dass der Workshop eher dazu tendierte, das Bild der Araber im Westen zu behandeln als umgekehrt.

Abou El-Naga: Nicht ganz. Wie schon erwähnt, sprach Monika Flacke, die Kuratorin des Deutschen Historischen Museums, über die Formierung von nationalen Mythen im westlichen Denken nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie thematisierte die Länder, die in den Krieg verwickelt waren oder sich neutral verhielten, wie die Schweiz, doch erwähnte sie weder Ägypten noch Libyen, obwohl beide zumindest geographisch eine Rolle in der Schlacht um el-Alamein spielten. Was in Monikas Flackes Version nicht erwähnt wird - ich meine die Abwesenheit der arabischen Welt in ihrer Welt –, ist symbolisch für den Blick auf die arabische Welt.

Viola Shafiq sprach über das Bild der Araber in Hollywoodfilmen am Beispiel von "True Lies" mit Arnold Schwarzenegger, aber auch über das Bild Amerikas im arabischen Film "Hello America" von Adel Imam. Sie warf einen neuen Blick auf die Debatte. Nachdem wir des Öfteren über das Bild der Araber im amerikanischen Film debattierten – der Terrorist, der Rückständige etc., zeigte sie den arabischen Blick auf Amerika und dessen Reproduktion.

Kann man das als eine Form der Selbstkritik deuten?

Abou El-Naga: Der Begriff Selbstkritik an sich führt zu heiklen Diskussionen und unterschiedlichen Reaktionen. Aus meiner Sicht sind wir in der arabischen Welt aufgrund der herrschenden Politik so erzogen, dass wir keine Probleme haben dürfen. Ich glaube, dass die Überprüfung dieses Tabus einen Teil des selbstbewussten Umgangs mit der eigenen Geschichte bewirkt. Letztendlich kann man mit diesem Mechanismus alle Bilder ablegen.

Zu welchem Ergebnis ist der Workshop gekommen?

Abou El-Naga: Das Wichtigste war der Austausch von Ideen zwischen den Teilnehmern und die Erörterung der Perspektiven. Ich bin überzeugt, dass sowohl die Einführungsbeiträge als auch die Diskussionen sehr tiefgehend und offen waren, so dass anstelle von Antworten eher neue Fragen angerissen wurden.

Es gab eine intensive Diskussion über die Rolle des nationalen Diskurses zur Verstärkung von Persönlichkeitsbildern, die Rolle der Bilder in Kriegs- und Konfrontationszeiten sowie über die Propaganda des amerikanischen Demokratieverständnisses in der arabischen Welt. Es wurden außerdem die Entstehung von Images für Nationen und die Rolle der Bilder zur Selbstpräsentation und Reproduktion des Anderen erörtert.

Wir sind überzeugt, dass die Vorträge die Diskussion bereichern werden und streben daher deren Veröffentlichung an, wobei wir noch nach einem Herausgeber suchen.

Interview Youssef Hijazi

© Qantara.de 2005

Shereen Abou el-Naga ist Dozentin an der Kairo Universität im Fachbereich Englisch. Sie schreibt Literaturkritiken und beschäftigt sich mit feministischer Kulturkritik. Seit Oktober 2004 ist sie Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.

Qantara.de
Wissenschaftskolleg zu Berlin
Forschungsmöglichkeiten für Fellows auch aus islamischen Gesellschaften
Im Wissenschaftskolleg zu Berlin haben Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche und Nationalitäten die Möglichkeit, sich ihren eigenen Forschungsprojekten zu widmen. Youssef Hijazi sprach mit Georges Khalil, dem Leiter des Arbeitskreises "Moderne und Islam" im Wissenschaftskolleg.

Islam in den Medien
Konstruierte Wahrheiten und Zerrbilder
Der Islam steht seit dem Mord an dem niederländischen Regisseur erneut im Blickpunkt der Medien. Dabei lassen viele Berichte über Muslime und deren Religion weniger auf gründliche Recherche und Aufklärung schließen, als vielmehr auf Halbwahrheiten und einen verengten Blick. Eine Analyse von Sabine Schiffer

www
Wissenschaftskolleg zu Berlin