Feuerwerk der Finger

Nicht ohne Grund wird Mohammad Reza Mortazavi auch als Trommler mit den "schnellsten Händen der Welt" bezeichnet – glaubt man bisweilen doch als Zuhörer, nicht vor einem Solotrommler, sondern vor einem Ensemble mit mehreren Instrumenten zu stehen. Von Marian Brehmer

Es ist eigentlich nicht der Ort, an dem man einen iranischen Solotrommler erwarten würde. Das poppige "Lido" in Berlin-Kreuzberg ist ein Club, in dem sonst eher Indie und Elektro gespielt werden. Es gibt keine Stühle, das Publikum muss stehen.

Auf der Bühne stehen vier Trommeln und warten still auf ihren Meister. Es sind jeweils zwei Versionen der iranischen Rahmentrommel Daf und der Handtrommel Tombak. Die Daf ist die traditionelle Rhythmusträgerin der Sufimusik und wird in vielen muslimischen Ländern zu Gebeten und Gesängen eingesetzt. Die kelchförmige Tombak wiederum ist das wichtigste Perkussionsinstrument in der persischen Volksmusik.

Spannung liegt in der Luft, das Konzert hätte schon beginnen müssen. Das "Lido" ist stickig von den vielen Besuchern und ihrer Erwartung, die greifbar in der Luft liegt. Erstaunlich viel junges Publikum ist gekommen. Es ist nicht die übliche Schar von Exiliranern, die so oft das Gros der Zuhörerschaft bei Konzerten persischer Musiker ausmachen.

Als das Publikum irgendwann losklatscht, tritt ein schlanker, fast unscheinbarer Mann auf die Bühne. Mohammad Reza Mortazavi sagt ein paar Worte ins Mikro und wirkt dabei fast ein bisschen zu schüchtern für die Bühne. Erst als er die Trommel in der Hand hält, blüht der Mann auf und zieht die Zuhörer in seinen Bann.

Rasante Karriere

Mohammad Reza Mortazavi; Foto: privat
"Beim Trommeln gehe ich über meine Grenzen, bis sie vollständig verschwinden", so Mortazavi.

​​Die Biographie des Trommlers mit den "schnellsten Händen der Welt" (ZDF) liest sich wie aus dem Bilderbuch. Mohammad Reza Mortazavi wuchs in Isfahan auf und nahm ab dem sechsten Lebensjahr Trommelunterricht. Er verblüffte seinen Tombak-Lehrer, der ihm schon nach drei Jahren nichts mehr beibringen konnte. Im Alter von zehn Jahren gewann Mortazavi den nationalen Tombak-Wettbewerb, der jährlich Irans beste Rhythmiker versammelt.

Doch Mortazavi hebt sich heute deutlich von den traditionellen Tombak-Spielern ab, entwickelte zahlreiche neue Schlagtechniken und spielt seinen ganz eigenen Stil. Im Iran füllte er regelmäßig Konzertsäle, in Teheran waren seine Shows dauernd ausverkauft. Sein aktuelles Album "Geradeaus" erschien im November, sein Gig in Kreuzberg ist das offizielle "Release Concert" der CD.

Was Mortazavi an diesem Abend seinen Trommeln entlockt, ist mehr als erstaunlich. Manchmal meint der Zuhörer, nicht vor einem Solotrommler, sondern vor einem Ensemble mit mehreren Instrumenten zu stehen. Da sind die rasanten melodischen Läufe der Tombak – richtige Melodien, die sich fast überschlagen, ihre Bahnen suchen, manchmal kreuzen. Aber es gibt auch die dumpfen und getragenen Schläge auf der Daf, die Mortazavi vollkommen spielerisch in die Luft wirft. All das wirkt so leicht und selbstverständlich, auch die zu einem Rauschen verschwimmenden Fingerbewegungen.

Fast der Wirklichkeit entrückt

Seine Musik scheint, zumal im schnellen Wechselspiel der Bühnenlichter, fast der Wirklichkeit entrückt. "Das ist doch nicht möglich", meint ein Zuhörer immer wieder. Man sieht vielen im Publikum an, dass sie eine solche Virtuosität nicht erwartet haben. Ein paar Flippige tanzen, schütteln ihr Haar, andere lauschen gebannt.

CD Cover Green Hands von Mohammad Reza Mortazavi
Anspielung auf Irans grüne Protestbewegung aus dem Jahr 2009: Die CD "Green Hands" des persischen Ausnahmekünstlers Mohammad Reza Mortazavi

​​"Im Rhythmus meiner Musik finde ich einen gemeinsamen Puls mit meinem Publikum. Dann fühle ich meine Zuhörer, es besteht keinen Abstand mehr zwischen uns", sagt Mortazavi. Seine Kompositionen sind zwar erdacht und festgelegt, aber von der Bühne reagiert Mortazavi auch auf die Stimmung der Menschen und improvisiert immer wieder aufs Neue.

Im Spiel wirkt Mortazavi wie weggetreten. Seine Hände verselbstständigen sich, seine Augen blicken tranceartig auf einen undefinierten Punkt in die Menge. "Beim Trommeln gehe ich über meine Grenzen, bis sie vollständig verschwinden", sagt Mortazavi.

Die Grenzen seines Heimatlandes hat Mortazavi bereits vor zehn Jahren verlassen. Seit einem erfolgreichen Konzert in München lebt er in der Bundesrepublik. Mortazavi trat mehrmals im deutschen Fernsehen auf und gab im letzten Jahr ein Solokonzert in der Berliner Philharmonie, ein Höhepunkt seiner Karriere. Inzwischen ist Mortazavi in Deutschland bekannter als im Iran. Anders als viele Exilmusiker fährt Mortazavi oft zurück in seine Heimatstadt Isfahan.

Mortazavis Album "Green Hands"

Der Titel seines 2010 veröffentlichten Albums "Green Hands" war auch eine Anspielung auf Irans grüne Reformbewegung aus dem Jahr 2009. "Grün ist die Farbe von Wachstum und Natur. Sie hat eine positive Ausstrahlung. Ich verbinde mit Grün vor allem Freiheit", meint Mortazavi. "Viele traditionelle Musiker im Iran haben sich mit der grünen Bewegung verbunden. Aber ihre Musik ist nicht frei."

Freiheit interpretiert Mohammad Reza Mortazavi auch als Experimentierfreudigkeit und die Bereitschaft, mit historischen Instrumenten neue Musik zu machen. Nicht immer stieß Mortazavi damit auf Gegenliebe, viele Musiker der klassischen Schule können sich mit seiner Musik nicht anfreunden.

In der zweiten Hälfte des Konzerts entfernt sich Mortazavi endgültig aus festgesteckten musikalischen Rahmen. Einmal wirken seine Schläge wie Technobeats, einmal wie die Tiraden eines Schlagzeugrockers. Zum Abschluss spielt Mortazavi "Eine kleine Nachtmusik" auf einer Mini-Tombak.

Immer wieder muss der Iraner bei anhaltendem Applaus auf die Bühne zurückkehren und lässt sich auch nach anderthalb Stunden Dauerspiel noch zu vier Zugaben hinreißen. Dann nach dem Konzert beim Gespräch auf der Couch im Backstage ruht Mortazavi wieder vollkommen in sich und man möchte nicht meinen, was für ein Feuerwerk dieser Mann gerade auf der Bühne losgelassen hat.

Marian Brehmer

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de