Ein düsteres Dokument über Kriegsverbrecher

In diesen Tagen hat ein Dokumentarfilm auf der Berlinale Weltpremiere, der ein heikles Thema aufgreift – Kriegsverbrechen und deren Täter. Christina Förch sprach mit der Co-Regisseurin Monika Borgmann.

​​Konkret handelt der fast 100-minütige Film "Massaker" von sechs Milizionären, die 1982 an dem drei Tage andauernden Massaker im Palästinenserlager Sabra und Schatila beteiligt waren. Das Massaker fand während des libanesischen Bürgerkrieges statt.

Doch der Film ist auch ein bedrückendes Dokument über Gewalt an sich, wie sie überall stattfinden kann – kollektive Gewalt in kriegsgeschüttelten Ländern wie beispielsweise Ruanda oder dem ehemaligen Jugoslawien, oder eben auch individuelle Gewalt als Täter. Der Film versucht, die Frage zu beantworten, wie ein Mensch zu solch Akten roher Gewalt fähig sein kann.

Für den Film haben die drei Regisseure Monika Borgmann, Lokman Slim und Hermann Theissen sechs Milizionäre der Forces Libanaises interviewt, der christlichen Miliz, die an dem Massaker beteiligt war. Die Filmemacher versuchen zu erfassen, was die Täter zu den schrecklichen Gewalttaten getrieben hat.

Frage nach den Ursachen der Gewalt

Ist es die Lust an Macht? Hat eine unglückliche Kindheit Schuld daran? Oder war das unmenschliche Training der jungen christlichen Milizionäre durch die israelische Armee ein möglicher Auslöser? Sind es die Vorurteile gegenüber den Palästinensern, ja, sogar eine Art Gehirnwäsche, die zum Abschlachten führt, wobei das Töten eine Art Routine wird?

Beantworten kann der Dokumentarfilm diese Frage letztendlich nicht. "Vielleicht wirft der Film mehr Fragen auf, als er Antworten gibt", findet Co-Regisseurin Monika Borgmann. Als Autorin von zahlreichen Zeitungsartikeln, Radiobeiträgen und eben diesem Dokumentarfilm versucht sie, sich dem Thema Gewalt auf vielen Ebenen zu nähern.

Während der Arbeit an diesem Film gelangte sie zu der Erkenntnis, dass theoretisch jeder gewalttätig werden kann. Diese Erkenntnis half ihr auch, zu den Tätern eine Vertrauensbasis zu schaffen. "Sie willigten nur ein zu reden, weil sie das Gefühl hatten, wir verurteilen sie nicht."

Um zu verstehen, warum es Kriegsverbrechen gibt, reicht es nicht, die Opfer zu verstehen – auch die Täter müssen zu Wort kommen, meint Borgmann. Das war für die Filmemacher ein Hauptgrund, sich nur auf die Täter zu konzentrieren.

Sympathie für die Täter

Einfach war die Arbeit an diesem Film nicht. Borgmann kam nicht umhin, zumindest einige der Täter sympathisch zu finden, denn, so findet sie, wenn man an solch einem Projekt arbeite, müsse man sich bis zu einem gewissen Grad mit den Helden identifizieren. "Im Film geben wir ihnen ein menschliches Gesicht – da sie eben Menschen sind."

Monika Borgmann, Foto: Berlinale.de
Monika Borgmann

​​Die Täter sympathisch finden – das war auch für die Filmemacher höchst problematisch. "Ich hatte viele Albträume", gibt Borgmann zu. Nachdem sie ein 40-minütiges Interview über eine besonders grauenhafte Gewaltszene übersetzt hatte – eine detaillierte Schilderung über das Töten mit dem Messer – war sie an die Grenze ihrer eigenen Belastbarkeit gestoßen.

Der Film entschuldigt die Kriegsverbrechen nicht – er präsentiert vielmehr die nackte Wahrheit. Unterstützt wird dieses Vorhaben durch die Art der filmischen Umsetzung. "Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht", so Borgmann. Die Täter sollten unerkannt bleiben und ihre Gesichter durften nicht gezeigt werden. Das Gleiche galt für die Umgebung der Ex-Milizionäre.

So konzentrierten sich die Filmemacher auf die Körpersprache – ein Vorteil auch deshalb, da Körpersprache am wenigsten kontrolliert oder zensiert werden kann. Nervöse Zuckungen, Schweißausbrüche, oder die Tatoos mit christlichen Symbolen – nichts war den Regisseuren zu nah, zu intim. Sie bannten diese nackten Wahrheiten des Körpers auf die Filmplatte.

Repräsentativ für viele

Gedreht haben sie in neutralen, jedoch klaustrophobischen Räumen, setzten die Täter auf einen Stuhl gleich einer Anklagebank. Untermalt ist alles mit verschiedenen Farben, unterbelichtet gedreht. Die Musik verleiht dem Film ein düsteres Kontinuum.

Die Filmemacher legen Wert darauf, dass diese Täter repräsentativ sind für die vielen anderen Täter aller Konfessionen und Parteien, die nach der Amnestie durch die libanesische Regierung unbehelligt blieben und jetzt oft bei der Polizei und beim Militär arbeiten.

Versöhnung hat noch nicht stattgefunden

Im Libanon wird der Film voraussichtlich heftige Diskussionen auslösen nach Täterschaft und Opfern, nach Schuld und Sühne. Denn ein Versöhnungsprozess hat in dem kleinen Mittelmeerland bisher nicht stattgefunden.

"Der Film wird alte Wunden wieder aufreißen", so Monika Borgmann. In Berlin kann der Film ohne weitere Vorbehalte gezeigt werden – nicht so jedoch im Libanon. Borgmann kann sich allerdings vorstellen, den Film im Libanon im Rahmen einer größeren Veranstaltung zum Thema Gewalt zu zeigen, zusammen mit anderen Filmen über andere Kriegsverbrechen, ergänzt durch eine Reihe von Diskussionsveranstaltungen.

Vielleicht wird auf diese Weise der Film Massaker zum Ausgangspunkt über einen dringend notwendigen Aufarbeitungs- und Versöhnungsprozess.

Christina Förch

© Qantara.de 2005

Der Film Massaker läuft auf der Berlinale im Rahmen von Panorama und wird am 13., 14. und 16. Februar gezeigt. Die Filmemacher sind anwesend.

Internationale Filmfestspiele Berlin