Meister der Träume

In einem Land Filme zu drehen, in dem schon lange Krieg herrscht, ist fast unmöglich. Salim Shaheen gilt als der Steven Spielberg von Afghanistan. Eine Dokumentation porträtiert den Null-Budget-Filmer. Von Jochen Kürten

Von Jochen Kürten

"Meister der Träume" nennt die französische Journalistin Sonia Kronlund ihren ersten langen Dokumentarfilm. Der Titel passt gut zu dem Filmemacher. Weniger zutreffend ist dagegen Shaheens Spitzname: Steven Spielberg von Afghanistan. Mit dem Glanz und den roten Teppichen Hollywoods hat Shaheen nämlich gar nichts zu tun.

Salim Shaheen ist Regisseur, Produzent und oft auch sein eigener Hauptdarsteller. Seit drei Jahrzehnten macht er in seinem Land Filme, in einer Nation, die von ausländischen Interventionen und Bürgerkriegen heimgesucht wird. Wie er das in der Vergangenheit geschafft hat, das erzählt er Sonia Kronlund in ihrer Dokumentation "Meister der Träume". Der Film ist eine Reise in das Innere einer von Krisen geschüttelten Nation, eine Reise aber auch zu den Menschen und ihren Träumen und Sehnsüchten.

Shaheens Filme erinnern an das Bollywood-Kino

Shaheens Filme sind Schund, zumindest nach cineastischen oder westeuropäischen Kriterien. Sie gleichen einer Mischung aus Bollywood und Kung-Fu-Dramen mit ein paar Anleihen aus dem Hollywood im Stile von Rambo. Es sind überwiegend mehrstündige Action-Spektakel, die oft auf Handlung verzichten, die auf endlose Schlägereien und Scharmützel der Protagonisten setzen. Über 100 Filme hat Shaheen bisher so fertiggestellt und sich damit eine erstaunliche Popularität im Volk erobert.

Das Bilderverbot der Taliban konnte Salim Shaheen umgehen, wie genau, das kann auch Kronlund in ihrer Dokumentation nicht vollständig erklären. Sie gibt nur Hinweise. Shaheen verhält sich den staatlichen Stellen gegenüber durchaus kompromissbereit, seine Filme sind aber auch subversiv.

Frauen dürfen bei ihm nicht mitspielen, da hält er sich an die strengen Vorschriften. Frauen kommen auch nicht in "Meister der Träume" vor - mit Ausnahme von Sonia Kronlund. Die Regisseurin ist in ihrem eigenen Film stets präsent, der Zuschauer sieht sie beim Befragen des "Meisters", Kronlund begleitet Shaheen bei den Dreharbeiten zum 110. Film.

Kinoplakat "Meister der Träume" von Salim Shaheen
Salim Shaheen - der "Ed Wood Afghanistans": Salim Shaheen ist und oft auch sein eigener Hauptdarsteller. Seit drei Jahrzehnten macht der afghanische Regisseur und Produzent in seinem Land Filme, die einer Mischung aus Bollywood und Kung-Fu-Dramen gleichen - in einer Nation, die von ausländischen Interventionen und Bürgerkriegen heimgesucht wird.

Der Schauspieler Qurban Ali brilliert in Shaheens Filmen

Salim Shaheen darf man getrost auch einen subversiven Filmemacher nennen. Beispielsweise setzt er seinen Lieblingsschauspieler Qurban Ali so ein, dass den heimischen Zuschauern alle auferlegten Vorstellungen von Geschlechterrollen um die Ohren fliegen dürften. Qurban Ali, homosexuell, spielt Frauen, so irrwitzig und gekonnt, so überspielt und glamourös, dass man ihm voller Faszination zuschaut.

Auf der Leinwand in Shaheens Filmen wird das offenbar toleriert - im "echten" Leben würde das in Afghanistan aber wohl kaum zugelassen. Und so ist es eine bittere Pointe, dass Qurban Ali nach der Premiere des Films "Meister der Träume" im vergangenen Jahr bei den Festspielen in Cannes nicht mehr in seine Heimat zurückgekehrt ist und sich seither in Westeuropa aufhält.

Kronlund zeigt Salim Shaheen als einen Charismatiker mit raumgreifender Präsenz, der überall dort, wo er auftaucht, die Menschen zum Applaus animiert. Shaheen, der sein offensichtliches Übergewicht stolz zur Schau trägt, strotzt vor Vitalität und Kraft. Er ist eitel und auch von sich selbst überzeugt, aber in seiner kindischen Art doch auch sympathisch. Ein Regisseur, der mehr Lebens- als Leinwandkünstler ist.

Anklänge an das iranische Kino

Gern hätte man mehr erfahren über seine (früheren) künstlerischen Ambitionen. Ein paar Filmausschnitte aus älteren Shaheen-Werken zeigen ihn in Filmen, die ein wenig an die Werke des italienischen Neorealismus oder an das karge sozialkritische iranische Kino erinnern. In diesen kurzen Ausschnitten bekommt der Zuschauer einen Regisseur und Schauspieler zu sehen, der mit den brutalen Härten des Lebens in Afghanistan umzugehen weiß.

Die Schrecken des Alltags verarbeitet er ebenfalls in seinen Filmen. Etwa in einer Szene (eines älteren Films), in der er autobiografisch von seiner Zeit als Soldat erzählt. Als einziger Überlebender eines Massakers legte er sich dort zwischen sterbende und tote Soldaten - um nicht aufzufallen und den Angreifern zu entkommen. Ein erschreckendes Erlebnis, das Shaheen in einem Film aufgriff.

Diese "Überlebenstaktik", so erzählt es Shaheen in der Dokumentation "Meister der Träume", hat er sich vom Kino abgeguckt: wie man inmitten von Toten überlebt. Diese Schlüsselszene zeigt das ganze Dilemma Salim Shaheens. Dem Krieg kann er nicht entrinnen. Doch mit Hilfe des Films und des Kinos hat er seinen ganz eigenen Weg aus der Misere gefunden.

Dass er dabei viele Landsleute mit seiner Leidenschaft mitreißt und begeistert und sie träumen lässt von einem besseren Leben, ist das schöne Fazit dieses außergewöhnlichen Films.

Jochen Kürten

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