Das Kreuz mit dem Spiegel

Am 24. September 2003 verkündete das Bundesverfassungsgericht sein Urteil im Kopftuchstreit. In der darauf folgenden Woche titelte DER SPIEGEL: Das Prinzip Kopftuch - Muslime in Deutschland. Katajun Amirpur hat den Beitrag für Qantara.de gelesen.

Cover DER SPIEGEL, Nr. 40

​​Wer würde sie leugnen, die Verdienste des Wochenmagazins "Der Spiegel:" Kritischer Journalismus, jahrzehntelang, Enthüllungen, Meinung mal anders. Aber manchmal, ja manchmal, da traut man seinen Augen kaum. Billigste Scharfmacherei, journalistische Hetze kombiniert mit Plattitüden, Unwahrheiten und Klischees. So in etwa liest sich die neueste Ausgabe des Spiegels. Die Autoren des Artikels, der den Titel trägt, "Das Kreuz mit dem Koran" sind sich für keine Unterstellung, Bösartigkeit und kein Vorurteil über den Islam zuschade. Allein ein Blick auf die Bilder reicht, um den Tenor des Artikels zu erfassen: betende Muslime neben einem geschächteten, ausblutenden Hammel.

Auf nahezu frivole Weise wird in diesem Artikel das Kopftuch mit Fundamentalismus gleichgesetzt, wird unterstellt, jede Frau, die es tragen möchte, wolle den deutschen Rechtsstaat aushöhlen und einen Gottesstaat aufbauen. Was der selbst ernannte Kalif von Köln oder Ayatollah Khomeini über Menschenrechte und die Demokratie dachten – "Die Menschenrechte sind nichts als eine Ansammlung korrupter Normen, die sich die Zionisten ausgedacht haben, um alle wahren Religionen zu zerstören" (Khomeini) – wird wie selbstverständlich als das religiöse Bekenntnis von Fereshta Ludin ausgegeben. Sie habe sich schließlich nie davon distanziert.

Muss sie das? Meine christlichen deutschen Mitbürger haben sich mir gegenüber auch nie von den an Bosniern begangenen Verbrechen distanziert. Warum nicht? Vielleicht, weil es jedem selbstverständlich ist, dass dies verabscheuungswürdige Verbrechen waren. Wenn hingegen jeder Muslim sein demokratisches und säkulares Bewusstsein beweisen muss, dann unterstellt dies, dass er keines hat – eben weil er Muslim ist.

Das ist nicht nur ahistorisch – Muslime haben weit länger und vor allem im vollstem Einklang mit sich selbst und ihrer Religion unter einer säkularen Herrschaft gelebt als uns Fundamentalisten wie Osama bin Laden glauben machen wollen –, es ist auch rassistisch. So seltsam es klingen mag: auch Türken lassen sich nicht gerne foltern, auch Iranerinnen wollen ihre Meinung sagen und auch Araber möchten sich ihre Führer selbst aussuchen. Bei sämtlichen Wahlen in den letzten Jahren haben sich Muslime - wann immer ihnen diese Entscheidung offen stand – für die Demokratie und den Rechtsstaat ausgesprochen.

Trotzdem möchten einige von ihnen ein Kopftuch tragen. Doch wenn man sie sofort als Fundamentalisten diskreditiert, nimmt man ihnen jede Möglichkeit, sich für einen offenen, pluralistischen Islam einzusetzen. Man drängt sie zum Zusammenschluss mit jenen, die tatsächlich keine demokratische Gesinnung haben.

Das Leben in Deutschland ist für Muslime nicht gerade einfacher geworden seit dem 11. September. Zwar sind viele - wie auch ich selber – äußerlich nicht als Muslime zu erkennen und haben dementsprechend im Alltag weniger Probleme. Aber auch wir fühlen uns zunehmend vor den Kopf gestoßen angesichts der Arroganz und Unkenntnis mit der über unsere Religion geurteilt wird; oder wenn Oriana Fallacis Buch "Die Wut und der Stolz", ein unsägliches, anti-islamisches Pamphlet, in diesem, in meinem Land zum Bestseller wird; oder wenn Intellektuelle wie Günter Kunert im deutschen Fernsehen unwidersprochen eine Falschaussage wie "der Islam kennt kein Gebot, nicht zu töten" von sich geben können.

Diese Spiegel-Ausgabe mit dem allumfassenden Titel "Muslime in Deutschland" hat noch einmal einen einschlägigen Beitrag dazu geleistet, sich fremd in diesem Land zu fühlen. Selbst bei Menschen, die es nie taten. Und dabei habe ich eigentlich nicht die geringste Lust, Zugehörigkeiten zu entwickeln, die eigentlich gar nicht meine sind.

Katajun Amirpur

© 2003, Qantara.de

Katajun Amirpur ist Islamwissenschaftlerin und Publizistin und lebt in Köln.