Verblüffende Ähnlichkeit mit westlichen Sendern

Das Islambild von Al Jazeera English ist dem von CNN International oder BBC World sehr ähnlich. Aber es gibt auch signifikante Unterschiede - so das Fazit der neuen Studie "Das Islambild im internationalen Fernsehen" der Medienwissenschaftlerin Susan Schenk. Mit ihr hat Loay Mudhoon gesprochen.

Von Loay Mudhoon

 ​​Internationale Nachrichtensender sehen sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, parteiisch und tendenziös zu berichten. Inwiefern gilt diese Annahme für das englischsprachige Programm des führenden arabischen Nachrichtersenders Al Jazeera?

Susan Schenk: Die Vorwürfe sind mir bekannt, da insbesondere der "Muttersender", Al Jazeera Arabisch, immer wieder mit diesen Vorwürfen konfrontiert wird. Empirisch gültige Ergebnisse gibt es jedoch selten. Ich kann nach meiner Studie nicht sagen, dass Al Jazeera English parteiisch und tendenziös berichtet. Der Sender reiht sich sehr gut in die Medienlandschaft der internationalen Fernsehsender ein. Schaltet man die Nachrichten von Al Jazeera ein, so unterscheidet sich der Sender - rein formal betrachtet - lediglich durch sein Logo von westlichen Nachrichtensendern.

In Ihrer neuen Studie "Das Islambild im internationalen Fernsehen" haben Sie das durch internationale Sender wie CNN, BBC und Al Jazeera Englisch vermittelte Islambild untersucht. Zu welchen Ergebnissen sind Sie kommen?

Susan Schenk: Ich habe insgesamt 707 Nachrichtensendungen von BBC World, CNN International und Al Jazeera English verglichen und konnte herausarbeiten, dass sich das Islambild der Sender kaum unterscheidet. Ich muss dazu sagen, dass ich nicht nur Berichte über den Islam, sondern auch alle Berichte über muslimische Länder und Muslime analysiert habe. Reportagen, Berichte oder Kurznachrichten, die nur die Religion zum Thema haben, gab es kaum. Dagegen konnten wir aber viele Berichte, in denen es um Kriege und Krisen in islamischen Ländern ging, analysieren. Das ist nicht erstaunlich, da internationale Nachrichtensender die Hauptereignisse des Tages aufgreifen und negative Ereignisse stets einen höheren Nachrichtenwert haben als positive. ​​

Wenn es in einem Beitrag einen Bezug zum Islam gab, dann war dieser jedoch hauptsächlich in politische Themen eingebunden. Ethisch-normative Grundlagen oder interreligiöse Betrachtungen wurden nicht thematisiert, obwohl diese für ein interkulturelles Verständnis wichtig wären. Oftmals haben wir im Westen nämlich ein medial geprägtes Bild vom Islam und unseren muslimischen Mitbürgern, da uns eigene Erfahrungen im Umgang mit Muslimen fehlen – und dieses Medienbild ist laut meiner Studie auf den politischen Islam reduziert. Die meisten Berichte stammen aus den Regionen des Nahen Ostens. Südostasiatische Länder, in denen die meisten Muslimen leben, sind kaum von Medieninteresse. Auch Al Jazeera unterscheidet sich dabei in seiner Nachrichtenagenda nicht von anderen Sendern.

Heißt das, es gibt faktisch keine Unterschiede zwischen dem Islambild von Al Jazeera English und dem von anderen internationalen Sendern?

Susan Schenk: Das Islambild von Al Jazeera English ist in der Tat dem von CNN International und BBC World sehr ähnlich. Aber es haben sich tatsächlich auch signifikante Unterscheide gezeigt. Zum einen berichtet der Sender länger über Themen, die einen Islambezug herstellen. In einer Nachrichtensendung von 30 Minuten, informiert Al Jazeera durchschnittlich elf Minuten lang zu Themen aus islamischen Ländern, Menschen und/oder deren Kultur. Das entspricht rund einem Drittel der gesamten Sendezeit. Die beiden westlichen "Gegenspieler" dagegen haben dafür durchschnittlich nur fünf bis sieben Minuten eingeräumt. Al Jazeera setzt in diesem Punkt einen stärkeren thematischen Fokus.

Auch konnte meine Studie zeigen, dass Muslime bei Al Jazeera häufiger direkt zu Wort kommen und damit eine größere Präsenz in den Nachrichten haben. Bei CNN International und BBC World dominieren eher nicht-muslimische Standpunkte, Meinungen und Äußerungen. Ereignisse, die einen Bezug zur Religion herstellen, werden demzufolge mehrheitlich durch Nicht-Muslime kommentiert. Das ist bei Al Jazeera anders. Dennoch muss ich sagen, dass sich in lediglich drei von über 50 gemessenen Variablen signifikante Unterschiede gezeigt haben. Diese sind allerdings von Bedeutung.

Kann man daraus ableiten, dass der erste arabische Nachrichtenkanal für ein westliches Publikum keinen besseren bzw. differenzierteren Blick auf die islamische Welt bietet?

Die Medienwissenschaftlerin Susan Schenk beschäftigt sich mit der Integrationsfunktion von Massenmedien. 2009 veröffentlichte sie das Buch "Das Islambild im internationalen Fernsehen".
Die Medienwissenschaftlerin Susan Schenk beschäftigt sich mit der Integrationsfunktion von Massenmedien. 2009 veröffentlichte sie das Buch "Das Islambild im internationalen Fernsehen".

Susan Schenk: Nein, das heißt es nicht zwingend. Da ich lediglich die Hauptnachrichtensendungen untersucht habe, kann ich mich auch nur zu diesen äußern. Andere Programmschwerpunkte kann ich nicht beurteilen und es ist durchaus vorstellbar, dass sich Al Jazeera durch seine Themensetzung im Gesamtprogramm unterscheidet und damit einen differenzierteren Blick auf die islamische Welt bietet. Diese Vorstellung finde ich persönlich durchaus realistisch.

​​Das ist doch ein wenig überraschend - insbesondere, wenn man bedenkt, dass das Netzwerk Al Jazeera für sich reklamiert, die westliche Mediendominanz gebrochen zu haben und einen wichtigen Beitrag für das Verständnis der ethischen Grundlagen des Islam zu leisten. Haben Sie dafür eine Erklärung gefunden?

Susan Schenk: Richtig. Der Selbstanspruch von Al Jazeera "Setting the News Agenda" erscheint als direkte Herausforderung, die westlich dominanten Sichtweisen und die globale westliche Medienpräsenz zu brechen. Daher überrascht das Ergebnis. Blickt man jedoch auf die Mitarbeiterstruktur von Al Jazeera, so wird vieles erklärbar. Das Mitarbeiterteam von Al Jazeera ist international. Es arbeiten vor allem viele "westliche" Journalisten in Katar, die teilweise bereits für andere "westliche" Medien gearbeitet haben. Sie scheinen sich demnach an westlichen journalistischen Standards und Arbeitsweisen zu orientieren. Das findet sich natürlich auch im Programm wieder.

Kann man die Ergebnisse Ihrer vergleichenden Studie als Beleg dafür sehen, dass die Berichterstattung internationaler Sender zu einer indifferenten globalen Medienkultur verschmilzt?

Susan Schenk: Das ist schwierig zu beantworten, da sich meine Ergebnisse nur auf die Nachrichtensendungen beziehen lassen. Ich bin jedoch der Meinung, dass es tatsächlich eine globale Dominanz von westlichen Medienangeboten und Nachrichtenagenturen gibt, an denen sich auch Al Jazeera English orientiert. Von einer globalen Medienkultur, die wie ein homogenes Band die Erdkugel umspannt, würde ich aber deswegen noch nicht sprechen. Ich glaube, dass sich die kulturellen Unterschiede der Länder durchaus auch im Medienangebot erkennen lassen – sowohl in den nationalen Nachrichtenangeboten als auch in den Unterhaltungsprogrammen.

Interview: Loay Mudhoon

© Qantara.de 2009

Susan Schenk ist Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Dresden. Sie hat in Dresden und Valenciennes (Frankreich) Kommunikationswissenschaft, Romanistik und Soziologie studiert. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der internationalen und interkulturellen Kommunikation. Momentan beschäftigt sie sich mit der Integrationsfunktion von Massenmedien. Das Buch "Das Islambild im internationalen Fernsehen" ist aus ihrer Magisterarbeit heraus entstanden.