Arabische Metamorphosen

Das Ensemble "Sarband" spürt die verbindenden Elemente aus nahöstlichen und europäischen spirituellen Musiktraditionen auf. Geleitet wird das Ensemble seit 1986 von dem in Bulgarien geborenen und in München lebenden Musiker Vladimir Ivanoff. Mit ihm sprach Suleman Taufiq.

Von Suleman Taufiq

Sarband & Innovantiqua Festival Ensemble at Winterthur, Foto: &copy Sarband
Dem Sufismus und der abendländischen Tradition verpflichtet: Musikalisch überzeugend verbindet Sarband europäische Walzer mit sogenannten religiösen Sema-Walzern von Dede Efendi.

Sarband" ist ein persisches Wort, das in fast allen orientalischen Sprachen in Abwandlungen vorkommt, wie zum Beispiel im Türkischen und Arabischen. Es bedeutet "ein verbindendes Element". War der Name bei der Gründung programmatisch gedacht?

Vladimir Ivanoff: Wir haben den Namen gewählt, weil wir in jeder Beziehung eigentlich für das Verbindende von Kulturen stehen. Nicht für einen "cross-over", wo Musiker eingeladen werden, um gewissermaßen als orientalisches Gewürz zu spielen, aber nicht teil des Ganzen sind. Bei uns ist ein guter Teil des Ensembles seit 24 Jahren dabei. Es ist eine Besetzung mit arabischen, türkischen und italienischen Musikern, einer schwedischen Sängerin und einem englischen Instrumentalisten. In dieser Konstellation wollen wir anhand eines historischen Musik-Repertoires zeigen, dass diese Kulturen zusammen auf der Bühne stehen und musizieren können, als Zeichen des Friedens und dafür, dass es eine erfolgreiche Kommunikation der Kulturen auch außerhalb der Politik gibt.

Die musikalische Reise von Sarband begann 1990 mit dem Album "Cantico", das eine Gegenüberstellung der Musik der italienischen Laien-Bruderschaften der Laudesi aus dem 14. Jahrhundert und islamischer Sufi-Musik ist. Was war das Besondere an diesem Album?

Ivanoff: "Cantico" ist eine Zusammenstellung geistlicher Musik des Mittelalters aus Orient und Okzident, also Musik der türkischen Sufis aus dem 12. und 13. Jahrhundert und Musik aus dem Kreis des Franziskus von Assisi, der zweimal den Nahen Osten bereist hatte und sehr stark vom sufischen Gedankengut beeinflusst war.

Die nächste Arbeit, die im gleichen Jahr erschien, war eine CD mit dem Titel "Music of the Emperors". Mit dem Vergleich der musikalischen Traditionen von Orient und Okzident wollten Sie nicht nur die musikalischen Gemeinsamkeiten, sondern auch die wesentlichen Unterschiede zeigen. Inwiefern haben die beiden Kulturen sich ausgetauscht und befruchtet? ​​

Ivanoff: Auf dem Album haben wir uns mit höfischer Musik vom Hof des berühmten Stauferkaisers Friedrich II. in Palermo und vom Hof Tamerlans, des Begründers der timuridischen Dynastie, in Samarkand befasst. Es sind zwei Fürsten, die die gesamte Welt beherrschen wollten und eine Art Weltmusik an ihren Höfen veranstaltet haben. Deswegen hatte Friedrich sehr viele nahöstliche, arabische Musiker da. Er interessierte sich bekanntermaßen sehr stark für die arabische Kultur. Tamerlan hatte ein Orchester mit Musikern aus allen von ihm unterworfenen Gebieten. Es geht also um Weltmusik als Zeichen der Herrschaft, das ist das Gemeinsame.

Sie sind in Bulgarien geboren. Hat Ihre Herkunft damit zu tun, dass Sie sich mit den musikalischen Beziehungen zwischen den Kulturen beschäftigt haben?

Vladimir Ivanoff: Ich kam mit viereinhalb Jahren mit meiner Mutter nach Deutschland und war vermutlich im Unterbewussten auf Spurensuche, weil Bulgarien beides ist, Orient und Okzident. Es war sechshundert Jahre Teil des Osmanischen Reiches, also unter türkischer Herrschaft. Schon die Kreuzfahrer sind durch Bulgarien gezogen. Dadurch hat sich in diesem Land alles gemischt. Für mich ist Bulgarien daher ein Labyrinth verschiedener Kulturen: ein bisschen Europa und gleichzeitig ein bisschen Orient.

Warum beschäftigen Sie sich hauptsächlich mit den mystischen Musiktraditionen?

Ivanoff: Spirituelle oder mystische Musik ist für mich die Form meiner persönlichen Religionsausübung. Obwohl ich ein gläubiger Mensch bin, habe ich zunehmend Schwierigkeiten, mich einer bestimmten Religion zugehörig zu fühlen. Ich fühle mich schon als Christ, aber nach so langer Beschäftigung mit den verschiedenen islamischen Kulturen und Musiken fühle ich mich auch ein wenig als Muslim. Ich könnte deswegen heute nicht mehr sagen, welcher Religion ich konkret angehöre. Es gibt den einen Gott, und an den glauben wir oder nicht. Die mystische Glaubensäußerung bewegt sich außerhalb von Konfessionen und Religionen.

Man kann daher nicht wirklich sagen, dass zum Beispiel die Musik der Sufis eine streng islamische Musik ist. Die Mystik ist eine Religion der Liebe, die sich auf alle Menschen bezieht, die mit Gott in Verbindung treten wollen oder mit Gott in Verbindung stehen. Mich interessiert christliche Mystik und altchristliche Musik, weil es damals - wir sprechen jetzt vom 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. – noch nicht die konfessionellen Probleme gab, die zwischen Protestanten, Katholiken und den Orthodoxen teilweise ins Lächerliche ausarteten.

Sie haben sich auch mit der Zeit des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Warum? Was war so besonders in der Musik des Orients und Okzidents in dieser Epoche?

Ivanoff: Im frühen 19. Jahrhundert gab es eine große Walzer-Mode in Europa. Das schwappte, wie später das Tango-Fieber auch, natürlich ins Osmanische Reich über. Dort gab es Komponisten, denen die Walzer gefielen, aber in der nahöstlichen Tradition sind die Rhythmen des Walzers immer mit Mystik verbunden. Deswegen schrieb beispielsweise der bekannte omanische Komponist Dede Efendi einen "Sema", einen Drehtanz der Mevlevi-Derwische, mit Walzer-Elementen. Dem Tanz wohnt ja auch immer ein mystisches Element inne. Wir haben also europäische Walzer mit den religiösen Sema-Walzern von Dede Efendi verbunden.

Das aktuelle Projekt von Sarband heißt "Eine Arabische Passion: Johan Sebastian Bachs Passionsmusiken in heutiger und arabischer Metamorphose". Mit einer arabisch-europäischen Besetzung haben Sie Bachs Melodien ins Arabische verwandelt. Wie kamen Sie auf diese Idee, Bachs Passion auf Arabisch mit der Stimme von Fadia El Haj zu präsentieren?

Ivanoff: Normalerweise würden wir bei Sarband niemals Musik von Bach spielen. Aber gerade die Passionen von ihm sind eine der tiefsten Ausdrücke von Glauben und auch vom Leid des Menschen. Wir nahmen die Melodien wie sie sind. Keine Note ist verändert, aber unsere arabische Sängerin Fadia El Haj singt die Alt-Arien auf Arabisch. Die Texte sind ins Arabische übersetzt. Dabei haben wir eine Mischung von alten Musikinstrumentalisten, arabischen klassischen und Jazz-Musikern eingesetzt. Und wir konfrontieren die Musik mit der heutigen katastrophalen Situation im Nahen Osten, der Heimat von Jesus.

Interview: Suleman Taufiq

© Qantara.de 2011

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de