Mehr als nur ein kreativer Zufluchtsort

Buch-Cafés findet man nicht nur überall in Europa, sondern mittlerweile auch in den meisten arabischen Ländern. Und doch erregt ein kleines Café im irakischen Kurdistan das Interesse der arabischen und internationalen Medien gleichermaßen. Sahar Moqaddem erklärt warum.

Von Sahar Moqaddem

Das Book Café ist Stadtgespräch. Der Grund dafür ist so einfach wie einleuchtend: Es liegt im irakischen Kurdistan. Jeder – ob Journalist oder Reisender – der jemals in dieser Region war, weiß, wie schwierig es ist, ein solches Projekt in Erbil zu wagen. Vor allem angesichts der Wirtschaftskrise des Landes, seines Schuldenbergs von 22 Milliarden US-Dollar und der klammen Kassen der Regionalregierung, die nicht einmal mehr die Gehälter ihrer Beschäftigten bezahlen kann.

Nicht zu vergessen die prekäre Sicherheitslage und die andauernde Bedrohung durch den "Islamischen Staat", der die nur etwa 50 Kilometer von Erbil entfernte Stadt Mossul lange Zeit kontrollierte. Weiter verschärft wird die Lage durch die Flüchtlingskrise und die vertriebenen Iraker sowie die Konflikte mit der Zentralregierung in Bagdad.

Wie fanden die Betreiber unter diesen Umständen Zeit und Lust, dieses schillernde Projekt ins Leben zu rufen?

Menschen zum Lesen anregen

Das Café schirmt seine Besucher für kurze Zeit von allem ab, was draußen passiert. Dieses Gefühl stellt sich nicht zufällig ein, denn Rafan al-Ta'i, die Inhaberin des Cafés und passionierte Wikipedia-Autorin, nahm sich für die sorgfältige Auswahl der Details viel Zeit.

Jedes Möbelstück, jedes Bücherregal, jedes Accessoire wurde sorgfältig ausgesucht und gestaltet und verleiht dem Ort seine besondere Ästhetik. Inmitten von Büchern nippen die Gäste an ihrem Kaffee oder genießen einen Imbiss. An den Regalwänden reiht sich Buch für Buch, auf dem Ziffernblatt der Wanduhr sind die Zahlen in Form von Büchern abgetragen und sogar das Telefon sowie die Vorhänge sind stilisierte Bücher.

Im Café hat der Leser die Wahl unter 3.500 Büchern auf Arabisch, Kurdisch und Englisch. Vor gerade einmal einem Jahr konnte man in Erbil praktisch gar keinen Roman bekommen. Schon gar nicht auf Arabisch oder Englisch.

Rafan Al-Ta'i wollte mit der Eröffnung ihres Buch-Cafés die Leute zum Lesen anregen: "Ich habe das Café eröffnet, weil ich das Schöne liebe und schätze. Und ich möchte die Leute dazu bringen, Bücher zu lieben", sagt sie. In ihren Augen sind Ignoranz und Dogmatismus die Hauptursachen aller Konflikte. Lesen hingegen mache jedem Einzelnen bewusst, dass "wir alle einander schrecklich ähnlich sind."

Obwohl der Ort alle Buchliebhaber anspricht, betont Rafan al-Ta'i, dass sie keine bestimmte soziale, ethnische oder religiöse Gruppe bedienen wolle, sondern dass jeder im Café willkommen sei. "Auch wer nicht lesen möchte, soll mein Café besuchen", sagt sie. "Denn schon bald werden auch diese Besucher einen bestimmten Titel entdecken und hineinschauen. Wenn mir das gelingt, bin ich schon zufrieden."

Jede Menge Hürden und Stolpersteine

Die Umsetzung des Projekts war für Al-Ta' i vor allem aus finanzieller Sicht schwierig. "Wir haben mit verschiedenen Geldgebern gesprochen, aber niemand wollte uns finanzieren. Niemand wollte glauben, dass in Erbil jemand an Literatur interessiert wäre", so Rafan Al-Ta'i. "Bei den Banken kamen wir auch nicht weiter, da es hier kein Kreditsystem im herkömmlichen Sinne gibt." Also warfen sie und ihr Geschäftspartner ihre gesamten Ersparnisse zusammen und gingen das Projekt auf eigene Faust an.

Eine weitere Hürde war die Bürokratie. Sie bremste das Weiterkommen erheblich. Rafan Al-Ta'i traf zudem auf gravierende soziale Probleme. 99 Prozent der umliegenden Gebäude in Erbil waren zerstört. Von den Ruinen ging nach ihrem Empfinden eine Menge negativer Energie aus. "Ich kam an einen Punkt, an dem ich einfach verzweifelt war und fürchtete, dass ich nur Spott ernten würde", erzählt sie, wobei sie betont, dass ein solches Projekt viel Mut erfordere.

Das "Book Café" in Erbil; Quelle: Raseef22
Literarische Wohlfühloase im Herzen Erbils: Im Book Café hat der Leser die Wahl unter 3.500 Büchern auf Arabisch, Kurdisch und Englisch. Vor gerade einmal einem Jahr konnte man in Erbil praktisch gar keinen Roman bekommen. Schon gar nicht auf Arabisch oder Englisch.

"Als ich den Buchladen eröffnete, dachte ich auch an das Geld, das ich dort verlieren könnte. Aber dann sagte ich mir, wenn keine Besucher kämen und das Projekt scheiterte, würde ich diese Niederlage akzeptieren." Entgegen ihren Befürchtungen erwies sich das Café jedoch als großer Erfolg unter jungen Arabern und Kurden. Sogar Ausländer kamen.

Inzwischen ist der kleine Buchladen mit seiner originellen Einrichtung zum Zufluchtsort für alles geworden, was in Erbil innovativ und kreativ ist. Hier trifft sich die gebildete Elite, hier finden Musik- und Kulturabende statt, hier gibt es Buchsignierungen und andere kulturelle Veranstaltungen, die in Kurdistan sonst kaum zu sehen sind.

Den größten Erfolg sieht Al-Ta'i allerdings darin, dass die Menschen ihre Idee annehmen und diesen Ort genießen. "Hier haben Frauen noch nicht einmal die Freiheit, darüber zu entscheiden, was sie tragen. Von der Freiheit, ein solch großes Projekt anzugehen, einmal ganz abgesehen", unterstreicht sie.

"In den USA ständen jeder Frau, die ein solches Projekt umsetzen wollte, hundert verschiedene Möglichkeiten offen: Sie könnte beispielsweise bei der Bank ein Darlehen aufnehmen oder eine Crowdfunding-Kampagne starten. Dort ist das Leben einfacher. Hier aber müssen wir ebenso geduldig wie entschlossen sein und uns auf einen langen und mühevollen Weg vorbereiten."

Sahar Moqaddem

© Raseef22

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers