Integration als Unternehmensphilosophie

Beim Berliner Accessoire-Label "Rita in Palma" stellen türkischstämmige Frauen hochwertige Häkelarbeiten her. Die Unikate werden auf Modeschauen vorgestellt und in Luxusboutiquen verkauft. Zugleich leistet der Betrieb einen wertvollen Beitrag zur Integration. Von Ceyda Nurtsch

Von Ceyda Nurtsch

In einer Seitenstraße im Berliner Stadtteil Neukölln, vorbei an Döner-Buden und Cafés mit veganem Kuchen und selbstgemachter Limonade, befindet sich "Rita in Palma" – ein Traum in Pink: In dem Laden mit Atelier hängen an einer Stange kunstvoll gefertigte, filigran gehäkelte Kragen, spitzenbesetzt, fantasievoll verziert mit Federn, von lustig und verspielt bis aufreizend feminin. Auf einer Anrichte befinden sich liebevoll drapierte Ohrringe, fein gehäkelt mit buntem Garn, perlenbesetzte Armreifen und Ketten.

Um einen Tisch in fröhlich geselliger Runde sieht man einige Frauen beim gemeinsamen Frühstück, die meisten von ihnen kommen aus der Türkei, aber auch aus dem Libanon und aus Pakistan. Aus Hamburg stammt die Gründerin und Leiterin des Labels, Ann-Kathrin Carstensen. Sie berichtet, dass alles nach ihrem Fashiondesign-Studium begonnen habe. Damals hatte sie sich auf die Suche nach türkischen Frauen begeben, die fingerfertig waren, die komplizierte Kunst des Häkelns beherrschten und Spitze herstellen konnten. Sie fand sie schließlich nach und nach. 2012 eröffnete sie ihren eigenen Betrieb. Heute sind dort insgesamt 30 Frauen beschäftigt.

Häkelarbeit als Passion

Die Liebe zur Häkelarbeit rührt aus ihrer eigenen Kindheit. "Ich habe meine Mutter früh verloren. Eine Griechin, die für mich wie eine zweite Mutter war, machte mich mit der Häkelarbeit vertraut." Mit "Rita in Palma" machte sie ihre Leidenschaft zum Beruf. Zielpublikum sind Frauen mit einem Faible fürs Ausgefallene. Und mit der Bereitschaft, Geld für Accessoires auszugeben. Denn die Unikate kosten bis zu 600 Euro, werden in Luxusgeschäften wie dem "Kaufhaus des Westens" angeboten, auf Modeschauen wie der "Berliner Fashion Week" vorgestellt und schmücken auch die Cover von Modezeitschriften wie der Vogue.

Die Beschäftigung in dem Betrieb bedeutet für viele Frauen einen Ausweg aus der Langzeitarbeitslosigkeit. So auch für die 56-jährige Reşadiye İlhan. Häkeln, erzählt sie, kann sie seit ihrer Kindheit. "Das erste Mal in meinem Leben verdiene ich hier regelmäßig Geld und bin versichert", erzählt sie begeistert. Auch ihre Familie findet ihre Arbeit gut. Ihr Mann ist etwas konservativ, erzählt sie lachend. Dass sie hier nur mit Frauen arbeite, freue ihn. "Außerdem macht er mir Komplimente – wie zum Beispiel: Wir wussten ja gar nicht was für Schätze in dir schlummern!"

Arbeitsbesprechung beim Berliner Accessoire-Label "Rita in Palma"; Foto: Ceyda Nurtsch
Arbeitsbesprechung für die nächste Modekollektion: Das Berliner Accessoire-Label „Rita in Palma“ öffnete im Jahr 2012 erstmals seine Tore. Heute sind in dem Betrieb insgesamt 30 Frauen beschäftigt, die überwiegend aus türkischen Familien kommen und mit der Häkelarbeit bestens vertraut sind. Bei Kunden sind heute vor allem Kragen, Tücher sowie Schleifenketten gefragt.

Die 50-jährige Yüksel Yerleşmiş kam mit 14 Jahren nach Deutschland, machte eine Ausbildung zur Friseurin, konnte aber gesundheitsbedingt nicht arbeiten. Heute ist sie froh, dass ihr Geschick in dem Unternehmen geschätzt und honoriert wird.

Integration durch Empowerment

Doch Carstensens Betrieb beschäftigt nicht nur Frauen wie Yüksel Yerleşmiş, er leistet gleichzeitig auch wertvolle Integrationsarbeit. Das Motto der Unternehmensgründerin: "Integration durch Empowerment". Die Frauen sollen ein selbstbestimmtes Leben führen und dabei will sie helfen. So organisiert sie ehrenamtliche Helfer, die regelmäßig Deutschunterricht geben, Yoga-Kurse und Gesundheitsseminare anbieten. Und gibt es Probleme mit dem Jobcenter oder müssen andere bürokratische Hürden bewältigt werden, hilft Carstensen auch gerne persönlich. Auch Vorbereitungen für geplante Kollektionen sowie die Pressearbeit stemmt sie aus eigener Kraft.

Seit ein paar Monaten arbeiten bei "Rita in Palma" auch Frauen, die aus Syrien, Pakistan, Albanien und aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet sind. "Wir haben die Frauen aktiv gesucht", erzählt Carstensen. Sie wollte sie gezielt mit ihrem Vereinsangebot unterstützen und als Frauenhaus den muslimischen Frauen eine Anlaufstelle bieten.

Häkelkunst bei "Rita in Palma"; Quelle: ritas-haekelclub.de
Empowerment durch Häkelkunst: Für viele Frauen bedeutet ihre Tätigkeit bei "Rita in Palma" einen Ausweg aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Nach Carstensens Vorstellungen sollen sie ein selbstbestimmtes Leben führen und dabei will sie helfen. Neben türkischstämmigen Frauen arbeiten in ihrem Betrieb seit ein paar Monaten auch Syrerinnen, Pakistanerinnen, Albanerinnen Libanesinnen, die nach Deutschland geflüchtet sind.

Schabane aus Pakistan ist seit einem dreiviertel Jahr hier, Rahaf aus Syrien seit einem halben Jahr und Lina aus dem Libanon seit drei Monaten. Auch wenn es mit der deutschen Sprache noch etwas hapert, so fühlen sich die Frauen doch recht wohl bei "Rita in Palma". "Es ist gut, dass wir jetzt nicht nur unter uns sind", meint die Türkin Reşadiye İlhan, "denn jetzt werden wir auch mehr gefordert, Deutsch zu sprechen." Neben ihrer Tätigkeit und den Angeboten schätzen die Frauen die freundliche Atmosphäre, die auch mal Nachbarinnen neugierig macht und die dann auf eine Tasse Tee vorbeikommen.

Auszeichnungen und harter Arbeitsalltag

Carstensen ist Botschafterin des Familienministeriums, ihr Engagement wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der Bundeskanzlerin mit dem Sonderpreis des "Startsocial Awards". Doch Titel verschleiern oft den Blick auf die wirklich harte Arbeit, die hinter dem Projekt steckt. "Für unsere Arbeit werden wir häufig als Paradebeispiel für Integration gerühmt. Doch die wenigsten haben eine Vorstellung davon, was das für einen Kraftakt bedeutet", berichtet Carstensen. Der Betrieb trägt sich gerademal soeben selbst. Daher ist "Rita in Palma" auf Unterstützung angewiesen, besonders auf finanzielle, doch die fällt meist nicht sehr üppig aus.

Viele fragen sie, weshalb Carstensen die Spitzen und Häkelarbeiten nicht kostengünstiger in der Türkei herstellen lässt, um sie dann in Deutschland teurer zu verkaufen. "Das möchte ich nicht", sagt die Unternehmensgründerin knapp und entschieden. "Ich möchte den Frauen, die hier leben, Arbeit geben und sie anständig bezahlen." Bei ihr verdienen die Frauen schließlich etwa das Zehnfache von dem, was sie in der Türkei bekommen würden, sagt sie. "Rita in Palma" und die Frauen, die hier arbeiten, sind Carstensens Herzensangelegenheit.

Ann-Kathrin Carstensen hat große Ziele. Warum sollte "Rita in Palma" nicht auch eines Tages so berühmt werden wie "Chanel"? Qualitativ, sagt sie, steht es der Weltmarke jedenfalls in nichts nach, und auch in der Modewelt wird Handarbeit gegenwärtig wieder mehr geschätzt. "Wir sind nur einfach noch nicht bekannt genug. Doch ich bin überzeugt davon, dass das nicht unmöglich ist – mit diesen wundervollen Frauen an meiner Seite."

Ceyda Nurtsch

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