Kulturelle Brücken bauen in Amman

Kulturcafés wie das "Naqsh" im Stadtzentrum Ammans sind beispielhaft für innovative Basisprojekte, die zudem den kulturellen Dialog zwischen Orient und Okzident fördern. Hakim Khatib hat das jordanische Kulturcafé besucht und mit den Initiatoren gesprochen.

Von Hakim Khatib

Jordanien – In Vorderasien werden nahezu alle Diskurse von politischen Konflikten dominiert. Und auch die gesamte Region ist vorwiegend von politischen und religiösen Narrativen geprägt. So halten die Menschen in Vorderasien fest an politisch motivierten Erklärungen zu Fragen über Frieden und Konflikte, Islamismus, Autoritarismus, Sicherheit, Stabilität usw.

Leider dienten sogar kulturelle, historische, philosophische, psychologische und archäologische Aspekte der Zivilisation in dieser Region bislang größtenteils als Rahmen politisch motivierter Erklärungen. Darunter leidet die Vielfalt und strukturelle Komplexität dieser Gesellschaften.

Doch einige Menschen in Jordanien widersetzen sich derart starren Kategorien. Trotz recht bescheidener Mittel versuchen sie, innovative Ideen auf lokaler Ebene zu entwickeln und umzusetzen. Es geht ihnen darum, Aufmerksamkeit zu wecken und ein neues Denken zu entwickeln, das den Menschen in der Region den Weg zu einem besseren Leben eröffnet und gleichzeitig den kulturellen Dialog zwischen Orient und Okzident fördert. Die Wirkung solcher Projekte lässt sich kaum auf der Makroebene messen. Doch auf der Mikroebene sind die Projekte von großer Bedeutung für die jordanische Gesellschaft.

Auferstanden aus Ruinen

Kulturcafés, wie beispielsweise das "Naqsh" (zu Deutsch: "Ornamentik" oder "Muster") im Stadtzentrum von Amman, sind Beispiele für derartige Basisprojekte. Der 43-jährige Yahya Abu Safi, ein palästinensischer Flüchtling, rief das "Naqsh"-Café 2014 ins Leben. Es steht auf den Überresten eines ursprünglich 1919 erbauten Hauses. Die Ruine stand 15 Jahre leer – und das in der Innenstadt von Amman.

Abu Safi nahm den Wiederaufbau 2013 in Angriff. Über Mittel verfügte er damals kaum. Doch er konnte sich auf die Hilfe jordanischer Freiwilliger stützen. Ihnen schlossen sich später Helfer aus Europa und Asien an. Das Projekt ist das Ergebnis der ehrenamtlichen Arbeit von Jordaniern, Palästinensern, Syriern, Japanern, Franzosen und Deutschen.

Der Wert des Kulturcafés "Naqsh" liegt in der Förderung der sozialen und kulturellen Interaktion unter den Einheimischen selbst und mit Fremden. "Als wir mit dem Wiederaufbau begannen, kamen regelmäßig Einheimische vorbei, die sich über unser 'sonderbares Kulturcafé' wunderten, erinnert sich Abu Safi. "Die Idee eines Kulturcafés im Stadtzentrum von Amman war den Menschen seinerzeit sehr fremd", so Abu Safi.

Blick auf den Innenhof des Cafés "Naqsh" in Amman; Foto: Hakim Khatib/MPC Journal
Ammans grüne Oase und positive Inspiration für die jüngere Generation: Seit der Eröffnung des "Naqsh"-Café wird ein vielseitiges Programm angeboten: Konzerte, Ausstellungen, Theatervorführungen, Dichterlesungen und auch sprachlich-interkulturelle Programme.

Seit der Eröffnung des "Naqsh" wird ein vielseitiges Programm angeboten: Konzerte, Ausstellungen, Theatervorführungen, Dichterlesungen und auch sprachlich-interkulturelle Programme. "Viele Menschen besuchen unsere Veranstaltungen regelmäßig, zumal das Haus in der Mitte zwischen dem Osten und dem Westen Ammans liegt", erläutert er.

In der Schnittmenge zweier grundverschiedener sozialer Klassen

Die Hauptstadt Amman teilt sich eigentlich in zwei gänzlich verschiedene Städte: West-Amman ist der verschwenderisch reiche, luxuriöse und teure Teil der Stadt, während Ost-Amman arm, unterentwickelt und ein bisschen schäbig ist.

In West-Amman wohnen die begüterten Jordanier: Manager, Diplomaten, hohe Regierungsbeamte und Geschäftsleute. Es hat eine gut ausgebaute Infrastruktur, funktionierende öffentliche Dienste, gut ausgestattete Schulen und medizinische Einrichtungen. Alles ist zwar sündhaft teuer, aber zumindest vorhanden. Im Unterschied dazu fehlt es in Ost-Amman an fast allem. Die Infrastruktur zerfällt, die öffentlichen Dienste funktionieren mehr schlecht als recht, Schulen und medizinische Einrichtungen sind dürftig ausgerüstet.

"Das Café Naqsh liegt in der Schnittmenge zweier grundverschiedener sozialer Klassen. So bildet es eine Plattform für die integrative Einbeziehung beider Seiten", erläutert Abu Safi und verweist auf die große Bedeutung nicht nur zur Brückenbildung zwischen Jordaniern und Ausländern, sondern auch unter Jordaniern selbst.

Blick auf die jordanische Hauptstadt Amman, Foto: picture-alliance
Amman – die gespaltene Metropole: Die jordanische Hauptstadt teilt sich eigentlich in zwei gänzlich verschiedene Städte: West-Amman ist der verschwenderisch reiche, luxuriöse und teure Teil der Stadt, während Ost-Amman arm, unterentwickelt und ein bisschen schäbig ist.

"Wir versuchen, allen Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft Raum zu geben", so Abu Safi. "Viele Jordanier und andere Menschen aus Afrika, Asien und Europa besuchen regelmäßig unsere Veranstaltungen. Hier ist für jeden Raum, der an Frieden, Hoffnung und Harmonie glaubt."

Kulturelle Projekte im Aufwind

Derzeit ist man dabei, eine Nachbarschaftsbücherei einzurichten und Lesungen sowie musikalische Workshops für junge Menschen zu organisieren. Auch wenn sich der Großteil der innovativen Projekte immer noch auf West-Amman konzentriert, so erleben kulturelle Projekte insgesamt doch seit einiger Zeit einen Aufschwung. Die Menschen interessieren sich zunehmend für kulturelle und soziale Plattformen. Gleichzeitig wächst das Angebot für Touristen, deren Zahl allerdings stetig schwankt.

Das "Naqsh" scheint junge Menschen positiv zu inspirieren. Manche Jugendliche besuchen das Café regelmäßig und nutzen es u.a. als Übungsraum oder zum Ideenaustausch. Die Gruppe "Bushar" ist ein gutes Beispiel für talentierte junge Menschen in Amman, die dank ihres Improvisationstalents und trotz der knappen Mittel an einem attraktiven Angebot im Café "Naqsh" mitwirken.

"Wir sind 25 junge Menschen, die sich für junge arabische Talente einsetzen. Wir spielen Theater, singen, malen, machen Comedy und spielen Musik", sagt Usama Nashwan, der Leiter der Talentgruppe.

Kulturelle Brücken über Grenzen hinweg

"Bushar" besteht vorwiegend aus Schülern und Studenten im Alter zwischen 14 und 25 Jahren. "Hier haben wir Gelegenheit, unsere Talente zu entwickeln und unsere Träume zu leben", sagt Abduljabbar Al-Barqawi, ein Mitglied der Gruppe.

"Wir wollen etwas zur Gesellschaft beitragen, indem wir Aufmerksamkeit wecken und die Lebensqualität der Menschen in Jordanien verbessern", ergänzt Nashwan und verweist auf die ehrenamtlichen Einsätze seiner Gruppe. "Wir wollen kulturelle Brücken über die Grenzen Jordaniens hinaus bauen und der Welt zeigen, dass auch bei uns talentierte Menschen leben", resümiert Nashwan.

Der kulturelle Austausch zwischen den Menschen ist ein zentrales Anliegen, das keinen rein politischen oder religiösen Kategorien folgt. Der Blick auf den Kontext dieser neuen kulturellen Projekte in ganz Jordanien verdeutlicht, dass der Fokus weder auf Politik noch auf Religion liegt. Mit anderen Worten: Kultur ist so viel mehr als nur Religion und Politik.

Hakim Khatib

© MPC Journal 2017

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers

Hakim Khatib ist Dozent für Journalismus, interkulturelle Kommunikation sowie Politik und Kultur des Nahen Ostens an der Fulda-Universität für Angewandte Wissenschaften und der Phillips-Universität Marburg. Sein Spezialgebiet ist die Integration der Religion in das politische Leben und politische Diskurse im Nahen Osten. Er ist Chefredakteur des Online-Journals "Mashreq Politics and Culture" (MPC Journal).