Cyber-Islam und Demokratisierung

Der Golfkrieg hat gezeigt, dass die Ausbreitung digitaler Medien in der islamischen Welt weit fortgeschritten ist. Doch fördert dieser Zuwachs gleichzeitig auch Demokratie und Zivilgesellschaft? Eine Diskussion arabischer Intellektueller

Der Golfkrieg hat gezeigt, dass die Ausbreitung digitaler Medien in der islamischen Welt weiter fortgeschritten ist, als noch vor wenigen Jahren. Doch fördert dieser Informationszuwachs gleichzeitig auch Demokratie und zivilgesellschaftlichen Wandel in der Region? Hierüber diskutierten arabische Intellektuelle.

Foto: Larissa Bender
v.l.nr.: Nassib, Mernissi, Hartmann, Meiering, Lazikani

​​„Cyber-Islam und Demokratisierung in der arabischen Welt“ – so lautete das Motto auf der mehrstündigen Panel-Diskussion der Frankfurter Buchmesse, zu der u.a. die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi, der Schriftsteller und Journalist Muhi al-Din Lazikani sowie der libanesische Autor Selim Nassib geladen waren. Obwohl der Titel der Veranstaltung mißverständlich war, da die Verbreitung des Islams via digitaler Medien überhaupt nicht zur Diskussion stand, lud das Thema zum spannenden und kontroversen Meinungsaustausch der Teilnehmer ein. Bedeutet die Digitalisierung der Medien Fluch oder Segen für die arabische Welt? Und inwiefern haben dort vor allem die Satellitensender die Kommunikationssituation nachhaltig geändert?

Zwar sind seit Mitte der 90er Jahre fast 100 arabische Satellitensender entstanden, die aus verschiedenen Ländern der arabischen Welt senden – von den Golfstaaten, Bahrain, sogar aus Paris und London. Die Informationsdichte hat also zugenommen. Jedoch haben vor allem junge Menschen, die die Mehrheit der Bevölkerung in den arabischen Staaten stellen, noch immer kaum persönlichen Zugang zu modernen Medien, wie dem Internet und dem Satellitenfernsehen. Auch ist fraglich, ob die Zunahme digitaler Medien die Demokratisierung in der Region fördert oder ob diese Medien – im Gegenteil – mehr als systemstabilisierender, gesellschaftspolitischer Faktor wirken.

Freie Information oder neue Form der Zensur?

Die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi würdigte in ihrem Redebeitrag die Rolle des Satellitenfernsehens für die Maghreb-Staaten – diese Medien stellten ihrer Meinung nach eine Revolution dar. Aus ihrer persönlichen Erfahrung aus Rabat schilderte sie, dass sich nach der Etablierung des „Middle East Broadcasting Center“ (MBC) nach 1992 viele Marokkaner Satellitenschüsseln auf ihre Hausdächer montierten. Seitdem hätten viel mehr Leute freien Zugang zu Nachrichten und Informationen. Diese Entwicklung ermögliche ihnen heute, verstärkt zwischen staatlicher Propaganda und wirklichen Informationen zu unterscheiden. Ein weiterer positiver Effekt sei die Zunahme des Handels und der Bildung durch das Internet und die Satellitenmedien.

Der Schriftsteller und Journalist der Tageszeitung „Al-Sharq al-Awsat“, Muhi al-Din Lazikani, widersprach Mernissis Darstellungen. Seiner Meinung nach stellten die neuen Satellitenmedien in der arabischen Welt eine neue Methode der Zensur dar. „In Wirklichkeit wird genau darauf geachtet, was in diesem neuen Medium gesagt wird. Auch beim Satellitenfernsehen darf eine bestimmte rote Linie nicht überschritten werden. Hiervon erfährt der Zuschauer auf dem Sofa jedoch nichts!“, erklärte Lazikani. Außerdem sei eine starke Zunahme von Talkshows und Soaps in den arabischen Satellitensendern zu beobachten – zum einen, weil diese billig zu produzieren seien. Und zum anderen, weil diese Sender nur unterhalten wollten und damit passives, unkritisches Verhalten der Zuschauer förderten. Ferner betonte Lazikani, dass auch die Unabhängigkeit dieser Medien nicht gewährleistet sei, da Sender, wie Abu Dhabi-TV oder al-Jazeera, mit der Regierung kooperierten. Nichts sei daher gewünscht, was diesen Medien- und Regierungsinteressen entgegen laufe. „Viele Fernsehjournalisten haben wegen eines Satzes, den sie gesagt haben, ihren Job verloren – ein Satz, den sie nicht sagen durften.“, so Lazikani.

Keine Änderung bestehender Machtverhältnisse

Ganz ähnlich argumentierte auch der libanesische Schriftsteller Selim Nassib. Zwar hätten Fernsehkanäle, wie al-Arabiya und al-Jazeera, dazu beigetragen, dass die Menschen in der islamischen Welt vielseitige Informationen und Standpunkte zu sehen und zu hören bekämen. Die Abhängigkeit von staatlichen Informationsquellen bestünde daher nicht mehr. Und auch das Identifikationsgefühl der Araber sei durch die Zunahme des Satellitenfernsehens gestärkt worden. Jedoch habe das Satellitenfernsehen keinen zivilgesellschaftlichen Wandel oder einen demokratischen Aufbruch in den arabischen Gesellschaften ausgelöst. Auch habe sich an den staatlichen Machtverhältnissen im regionalen und globalen Maßstab kaum etwas geändert. „Die Araber fühlen sich immer noch als Opfer der Amerikaner, Israelis, der westlichen Welt, die allein für die Krise in der islamischen Welt verantwortlich gemacht werden“, so Nassib. Das Satellitenfernsehen befreie die Menschen nicht aus ihrer anhaltenden Misere, obgleich es das staatliche Medienmonopol in der arabischen Welt durchbrochen und neue Gesprächs- und Kommunikationskulturen geschaffen habe.

Ausgewogener argumentierte dagegen der Isamwissenschaftler und Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman, Gregor Meiering. Durch das Satellitenfernsehen habe sich die öffentliche Sphäre in der arabischen Welt definitiv geändert. Digitale Medien eröffneten neue Möglichkeiten in einer virtuellen Welt zusammen zukommen und Menschen aus verschiedenen Teilen der arabischen Welt zu verbinden. Außerdem habe das arabische Satellitenfernsehen auch die Journalisten „aus dem Schlußlicht der Informationsempfänger herausgeholt.“ Manche Sender seien inzwischen zu Produzenten eigener Nachrichten geworden. In Anlehnung an Neil Postmans Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ verwies er jedoch auf den möglichen nachteiligen Effekt der Unterhaltungsmedien auf Demokratie und Gleichberechtigung. Es käme daher auf die Betreiber der Medien an, die positiven Programmaspekte zu fördern und nicht zu Opfern des Marktes zu werden. „Man ist nun nicht mehr von den Regierungen so stark abhängig, als viel mehr von der Werbungsindustrie. Und wenn Spaß, Tanz und Unterhaltung mehr wiegen als Demokratie und Verfassung, dann steht man auf der Verliererseite“, erklärte Meyerling.

Arian Fariborz, © Qantara.de 2003