Keim für den gesellschaftlichen Wandel

Im Rahmen sogenannter CrossCulture-Stipendien des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) können junge Berufstätige aus islamischen Ländern in Deutschland Praktika machen. Sie erhalten einen Einblick in die deutsche Kultur und Arbeitswelt. Interkulturelle Erfahrungen und mehr professionelle Kompetenz sind die Ziele des Programms. Von Claudia Mende

Von Claudia Mende

Sie kommen aus dem Nahen Osten und Nordafrika, aus Süd- und Zentralasien, Indonesien und Malaysia. Die CrossCulture-Stipendiaten aus 30 islamisch geprägten Ländern erhalten rund drei Monate lang die Gelegenheit, ihr Arbeitsfeld in Deutschland kennenzulernen.

Die jungen Berufstätigen sollen interkulturelle Kompetenz erwerben, neue Kontakte knüpfen und einen Einblick in deutsche Kultur, aber auch seine Strukturen erhalten. Der Aufenthalt in Deutschland ist für sie aber gleichzeitig eine Chance, berufliche Fähigkeiten zu vertiefen und damit die Karriereaussichten im Heimatland zu verbessern.

Das CrossCulture-Programm besteht seit zehn Jahren und wird vom Auswärtigen Amt finanziert, das damit die deutschen Netzwerke in die islamischen Länder stärken will. Rund 400 Stipendiaten kamen in dieser Zeit nach Deutschland, etwa die Hälfte von ihnen Frauen. Jedes Jahr werden auch einige wenige Stipendien an junge Deutsche vergeben, die damit ihren Arbeitsaufenthalt im islamisch geprägten Ausland finanzieren können.

Das Programm ist in den letzten Jahren stetig beliebter geworden; die Bewerberzahlen steigen. In diesem Jahr haben sich etwa 2.000 Kandidaten für 68 Plätze beworben. Besonders begehrt ist das Programm derzeit in Ägypten und Pakistan, gefolgt von Iran und Bangladesch.

Mit diesem Austausch sollen junge Berufstätige aus den Bereichen Medien, Kultur, Umwelt, Menschenrechte, Bildung und Entwicklungszusammenarbeit ihre "professionelle und gesellschaftspolitische Kompetenz" erweitern sowie interkulturelle Erfahrungen sammeln.

Flüchtlingshilfe vor Ort

Rawan Baybars aus Jordanien arbeitet für drei Monate bis Ende Oktober bei der Caritas in Eichstätt. Baybars ist 27 Jahre alt und stammt aus Amman; sie hat einen Abschluss in Marketing, ihre Tätigkeit beim "Norwegian Refugee Council" im nordjordanischen Irbid entspricht aber eher der einer Sozialarbeiterin. In dieser Grenzregion zu Syrien betreut sie für die norwegische Hilfsorganisation Flüchtlinge, die verstreut in der Stadt und den umliegenden Dörfern leben.

CrossCulture-Praktikanten während eines Trainings im Institut für Auslandsbeziehungen; Foto: Mohamed Ghazi
"Über den Tellerrand hinaus": Interkulturelle Erfahrungen und mehr professionelle Kompetenz sind die Ziele des CrossCulture-Stipendien-Programms, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert.

Obwohl der Kontext in Irbid ein ganz anderer ist als in Eichstätt, lässt sich ihre Tätigkeit bei der Caritas im Grunde mit der Arbeit in Jordanien vergleichen. Auch in Bayern besucht sie Flüchtlinge in ihren Unterkünften; sie hilft beim Zusammenstellen von Dokumenten für das Asylverfahren, fragt nach, wie es um die Gesundheit steht oder ob es Probleme bei der Einschulung der Kinder gibt.

Mit ihren Arabischkenntnissen ist sie für die Caritas sehr hilfreich. Obwohl sie hier wie dort Flüchtlinge betreut, erlebt die junge Jordanierin die Situation in Deutschland ganz anders als zuhause.

Sie hat es mit kulturellen Unterschieden zu tun, die sie herausfordern. "Hier in Eichstätt bin ich mit Menschen aus vielen Kulturen konfrontiert", meint sie. Es gibt Flüchtlinge nicht nur aus Syrien und dem Irak, sondern auch aus Afrika oder Afghanistan. Sie hat es mit Verhaltensweisen zu tun, die sie aus Jordanien gar nicht kennt und nennt ein Beispiel: "Es hat mich sehr erstaunt, dass Afrikanerinnen ihren Kindern vor meinen Augen die Brust geben", sagt sie. "Bei uns wäre das nicht schicklich."

Trotzdem professionell zu bleiben, war für sie zunächst nicht einfach. Dann fand sie es bedenkenswert, dass soziales Verhalten kulturell unterschiedlich bewertet wird. Auf der anderen Seite hat sie die Gastfreundschaft von Menschen aus Afghanistan stark berührt, weil sie dachte, diese Tradition sei vor allem typisch für die arabische Kultur.

Neu ist für sie auch die intensive Zusammenarbeit der Caritas als Wohlfahrtsverband mit Ehrenamtlichen. "In Jordanien gibt es zwar auch ehren­amtliche Helfer, aber Hilfsorganisationen und Freiwillige arbeiten völlig getrennt voneinander. Im Grunde ist das eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen." In Eichstätt habe sie erlebt, wie wichtig die Kooperation mit den Freiwilligen sei und wolle diese in Irbid ebenfalls anregen.

Vom Kulturschock zur Eingewöhnung

Auch Dina Ibrahim aus Kairo nimmt eine Menge mit nach Hause, wenn sie Anfang Oktober ihren etwa dreimonatigen Aufenthalt in Deutschland beendet. Die 29-Jährige steht kurz vor dem Abschluss ihrer Masterstudien in "European and Mediterranean Studies" an der Kairo-Universität und ist gleichzeitig Mitarbeiterin der "Tahrir Lounge" des Goethe Instituts. Sie ist dort für die Zusammenarbeit mit den Medien zuständig, aber auch an der Programmplanung beteiligt.

Die "Tahrir Lounge" war kurz nach dem Sturz von Mubarak in 2011 entstanden mit zahlreichen Angeboten wie Diskussionen und Workshops zu aktuellen Fragestellungen, die stark nachgefragt wurden. Heute konzentriert sich die "Tahrir Lounge" mehr auf Kulturthemen. Ihr Praktikum in Deutschland absolviert Dina Ibrahim als Research Fellow beim "Centrum für Angewandte Politikforschung" (CAP) an der Universität München.

Allein nach Deutschland zu kommen und hier auch allein zu leben, war für sie ein großer Schritt. "Zuerst habe ich einen regelrechten Kulturschock in Deutschland erlitten", meint die Ägypterin, die vorher nur mal für ein paar Tage in Europa war. Nach einer Weile aber habe sie sich besser eingewöhnt und staunte über deutsche Effizienz und Hilfsbereitschaft, auch wenn sie festhält: "Diese Leidenschaft, wie wir sie in Ägypten kennen, habe ich hier vermisst."

Bei den Politikberatern des CAP konnte sie ihr Wissen über den Nahen Osten einbringen und an der Überarbeitung von Länderprofilen in englischer Sprache über die Region mitarbeiten. Doch mehr noch als diese konkreten Arbeitsaufträge habe sie von den zahlreichen Diskussionen im Team und bei den Treffen mit anderen Stipendiaten aus der Region zum Beispiel beim "Young Leaders Forum" in Berlin profitiert. Die Teilnahme an solchen Foren und Veranstaltungen ist Teil der CrossCulture Praktika.

"Ich bin viel offener geworden"

Sie habe eine Fülle von anderen Sichtweisen auf die Konflikte in der arabischen Welt mitbekommen und konnte ihren eigenen Standpunkt überdenken, meint Dina Ibrahim. "Ich bin viel offener geworden". Zum Beispiel habe sie Fragen des Umweltschutzes für Luxusprobleme gehalten angesichts der großen sozialen Herausforderungen in Ägypten. Jetzt denke sie anders darüber und sieht, dass Nachhaltigkeit für die gesamte Region von zentraler Bedeutung für die Zukunft sein wird.

Die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen, mit pluralen Positionen und den vielen unterschiedlichen Meinungen der Teilnehmer hat sie sehr schätzen gelernt. Für die Programmplanung bei der "Tahrir Lounge" könne sie das gut brauchen, denn "dafür braucht man einen weiten Horizont". Welche ihrer neuen Ideen sie angesichts der derzeitigen Situation in Ägypten überhaupt umsetzen kann, ist eine andere Frage.

Selbst wenn die Stipendiaten nach ihrer Rückkehr "ausgebremst" werden, sei nicht verloren, was sie während ihres Aufenthaltes in Deutschland erfahren konnten, meint Eva Sodeik-Zecha, die das CrossCulture Programm beim Ifa-Institut betreut. "Es wird ein Keim gelegt für neue gesellschaftliche Optionen, selbst wenn es Jahre dauern kann, bis diese zur Blüte kommen können."

Um Ägypten langfristig zu verändern, brauche es vor allem mehr von einer Bildung, die mit der Wertschätzung anderer Menschen und ihrer Überzeugungen verbunden ist, davon ist Dina Ibrahim nach ihrem Aufenthalt in Deutschland überzeugt.

Die jordanische CrossCulture-Teilnehmerin Rawan Baybars, Foto: Rawan Baybars/ifa
Für die Jordanierin Rawan Baybars waren die Berichte zur europäischen Flüchtlingskrise zwiespältig. Manche Menschen würden denken, alle Kriegsflüchtlinge aus der Region kämen jetzt nach Deutschland, meint sie. Dabei seien mehrere Millionen im Libanon und in Jordanien untergekommen.

Natürlich haben die beiden Stipendiatinnen auch die Mediendebatte über die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland verfolgt. Dina Ibrahim war begeistert, wie freundlich Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland aufgenommen werden.

Heraustreten aus der Komfortzone

Für die Jordanierin Rawan Baybars waren die Ereignisse und die Berichte darüber zwiespältiger. Manche Menschen würden denken, alle Kriegsflüchtlinge aus der Region kämen jetzt nach Deutschland, meint sie. Dabei seien mehrere Millionen im Libanon und in Jordanien untergekommen.

In Jordanien stammten inzwischen etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus Syrien. Es werde dabei leicht übersehen, was für eine Herausforderung das für Jordanien bedeute, "selbst wenn diese Flüchtlinge aus dem gleichen Kulturkreis stammen".

Die Belastung der sozialen Infrastruktur – Schulen und Krankenhäuser – und der Umwelt in dem wasserarmen Wüstenstaat seien enorm. Das vermisse sie in der deutschen Debatte darüber, wie das Land die vielen Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen könne.

Die Konfrontation mit einer anderen Kultur und das "Heraustreten aus der Komfortzone" (Rawan Baybars) tragen zur Persönlichkeitsbildung bei. Auch wenn es für viele anfangs ungewohnt und nicht leicht ist, halten doch die allermeisten durch und meistern die Schwierigkeiten in einem ungewohnten Umfeld.

Am Ende fühlen sie sich selbstbewusster und unabhängiger. Auch Dina Ibrahim hat sich nach ihrem anfänglichen Kulturschock gut eingelebt. Heute ist sie überzeugt: "Allein in ein fremdes Land zu gehen, hat mich stärker gemacht."

Claudia Mende

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