Goldenes Zeitalter für Talente

Die indonesische Comic-Szene erlebt eine Blütezeit, und doch schafft sie es nicht, ihr Nischendasein zu beenden. Selbstzweifel sind die Folge. Laine Berman mit einem Überblick über die Szene der indonesischen "komikus"

Indonesischer Comic-Band 'Jaka Wana', &copy Situs Comic Underground
Indonesiens komikus schreiben ihre Comics aus Liebe zum Medium und aus dem ernsthaften Verlangen, die eigene Sicht auf das Leben in Indonesien so wahrhaftig wie möglich auszudrücken

​​Die indonesische Comic-Kunst ist wiedergeboren. Jeder, der bereit ist, ein paar Tausend Rupien (1000 Rupien entsprechen etwa 9 Cent) für ein fotokopiertes Heft hinzublättern, wird dafür mit einigen der interessanten Arbeiten belohnt, die es gegenwärtig auf der Welt zu bestaunen gibt.

Bisher galten unter Comicfans, Popkultur-Historikern und Journalisten die 1970er Jahre als das Goldene Zeitalter der indonesischen Comics. Doch ging es dabei meist nur um die Verbreitung von in Indonesien produzierten Kopien: chinesische Legenden, ausländische Abenteuergeschichten und populäre Wayang-Geschichten (Wayang ist der Name der traditionellen indonesischen Schattenspielfiguren, Anm.d.Ü.).

Die meisten von ihnen waren politisch neutral und hatten keinen Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen Situation des Landes. Diese Zeit der Kontrolle und Zensur ist nun vorüber und die jungen indonesischen komikus (Comic-Künstler) haben einen eigenständigen Stil und Ausdruck gefunden.

Die Kehrseite der Medaille ist, dass viele Verleger noch nicht bereit scheinen, die aufstrebenden Künstler unter ihre Fittiche zu nehmen. Denn schließlich steckt die Verlagsszene selbst noch in ihren Kinderschuhen und muss erst lernen, mit ihrer neuen Freiheit umzugehen und sie dazu zu nutzen, nationale Talente zu fördern.

Selbst die Comic-Künstler mit größeren Verträgen bei renommierten Verlegern schaffen es daher bislang nicht, von den Comics allein zu leben, werden ihre Arbeiten doch nur an wenigen ausgewählten Orten vertrieben, wie etwa im Taman Ismail Marzuki (Jakarta Arts Centre).

Verleger schauen nach Westen

Trotz der großen Fortschritte, die die kulturelle Freiheit in Indonesien macht, und trotz der inzwischen viel höheren Qualität der Comics bleibt das wichtigste Hindernis für die Künstler bestehen: Die meisten Verlagshäuser wissen die eigenständigen Arbeiten indonesischer Künstler nicht zu schätzen.

Indonesischer Comic-Band, &copy Situs Comic Underground

​​So sind nach wie vor die meisten der "professionellen" Comics (also derjenigen, die von einem Verlag herausgebracht werden) bloße Kopien japanischer Mangas oder US-amerikanischer Geschichten, wie die aus dem Hause Marvel. Deshalb kann es nicht verwundern, dass die neuen Versuche, einen eigenständigen, unabhängigen Stil zu schaffen, vom indonesischen Publikum weitgehend unbemerkt bleiben.

Sehr wenige der Künstler und Studios, die auf den zahlreichen in Java jährlich stattfindenden Comic-Messen vertreten sind, lassen sich nach herkömmlichen Maßstäben als professionell arbeitend bezeichnen, da ihre Arbeiten noch keinen Verleger fanden. Noch weniger unter ihnen können von ihrer Arbeit leben.

Ayam Majapahit von KiriKomik, der Comic, der schon 1997 den Ersten Preis bei der National Comic Week gewann und vom Verlag Balai Pustaka herausgegeben wurde, ist hierfür das beste Beispiel: Das Werk brachte seinem Autor gerade einmal 23.000 Rupien (nach heutigem Wert etwa 1,80 Euro) ein und ist nicht einmal mehr im Katalog des Verlags aufgeführt.

Das Papillon-Studio in Semarang, geführt von Kio, produziert mit seinen zwölf Mitarbeitern eine recht große Anzahl von Comics, meist Adaptionen von japanischen Arbeiten. Und doch kann auch dieses Studio keine ausreichenden Einnahmen erzielen.

Das Problem, erklärt Kio, liegt im Vertrieb. Ihr Verleger ist zwar Elex Media Komputindo, ein Ableger von Gramedia, dem größten Verlagshaus Indonesiens. Doch selbst mit diesem wichtigen Namen im Rücken ist es in Java schier unmöglich, die Comics des Studios zu bekommen.

Unabhängige Comics gegen Importe

Das Versagen der indonesischen Verlagshäuser liegt dabei vor allem in der anhaltenden Bevorzugung fremder Stile sowie darin, dass die Förderung eines eigenständigen indonesischen Comicstils noch immer vernachlässigt wird. Viele der meist schwarz-weiß gehaltenen, unabhängigen (und selbst publizierten) Comics erzählen großartig entwickelte Stories und sind fantastisch illustriert.

Im Gegensatz zu den importierten Geschichten aus Japan, den USA oder Europa haben sie einen hohen Bezug zur indonesischen Realität. Tono, ein Student der Petra Universität in Surabaya, ist hierfür ein perfektes Beispiel.

Er verfasste einen Comic mit dem Titel Duit (Geld), eine Geschichte, die von einigen herumhängenden Jugendlichen handelt, die das tun, was indonesische Jugendliche nun einmal tun, wenn sie einfach so herumhängen: skateboarden, trinken, kämpfen und sich irgendwann gegenseitig wegen Geld umbringen.

Der Comic kommt ohne Dialoge aus, was den Leser dazu zwingt, die Lücken selbst auszufüllen. Dadurch, so hofft der Autor, erlebt der Leser die Aktionen der Charaktere als Selbsterfahrung.

Neue Comics der jungen Generation

Tono schreibt, wie die meisten anderen jungen komikus, Comics aus Liebe zum Medium und aus dem ernsthaften Verlangen, die eigene Sicht auf das Leben in Indonesien so wahrhaftig wie möglich auszudrücken. Ihr politischer Mut ist erfrischend im Vergleich zu der Selbstzensur und dem Konservatismus, der den Großteil der Mainstream-Medien noch immer kennzeichnet.

Indonesischer Comic-Band, &copy Situs Comic Underground

​​Die neuen Comics zeugen von der offenen, nachdenklichen Haltung der jüngeren Generation. Sie verraten außerdem viel über die Verwirrung und Bitterkeit, mit der sie das beobachten, was ihrer Meinung nach die politische Situation im heutigen Indonesien kennzeichnet:

Heuchelei, Korruption und der Missbrauch der Begriffe "reformasi" (wörtl. Reformpolitik, meist aber im weiteren Sinne gebraucht zur Bezeichnung der gegenwärtigen Epoche indonesischer Politik seit 1998, Anm.d.Ü.), "Entwicklung" und "Demokratie".

Diese Comics stellen zudem einen Angriff auf jede Art von Konformität dar: Ihre Stile sind so mannigfaltig wie die, die sie kreierten und damit eine dringend benötigte Heterogenität in das pop-kulturelle Leben Indonesiens brachten. So fordern sie zugleich die Doktrin kultureller Gleichförmigkeit heraus, die die Zensurgesetze der Suharto-Regierung zum Ziel hatten.

Gemeinsam für mehr Individualität

Mit dem Rücktritt Präsident Suhartos und der Aufhebung vieler Zensurbestimmungen (wie etwa der polizeilichen Erlaubnis, die für eine Veröffentlichung benötigt wurde) ist die Unterstützung für die komikus enorm gewachsen. Im Gegensatz zu früher besitzt heute jedes größere Verlagshaus eine eigene Comic-Reihe.

Gramedia etwa gründete M&C, um Magazine und Comics herauszugeben, wenn auch zunächst nur solche aus Hongkong und Disney-Hefte aus den USA. Inzwischen bieten sie auch den komikus Hilfe beim Design und bei der Herausgabe ihrer Arbeiten, um sie wettbewerbsfähiger zu machen.

Die Comic-Abteilung der Mizan Press, Dar! Mizan, bringt Schulbücher im Comicstil heraus, um "das Lernen für die Kinder spannender zu gestalten". Drei neue Comic-Reihen, die unter diesem Label erscheinen, sind Alakazam (von Donny), Dua Warna (von Alfi Zachkyelle) und Tomat (von Rachmat Riyadi). Alfi erklärt, dass sein bescheidener Erfolg von anderem im Studio geteilt wird. Zusammen bilden sie eine "gerakan gerilya" (Guerilla-Bewegung), um andere bei der Herausgabe unabhängiger Arbeiten zu unterstützen.

Indonesischer Comic-Band, &copy Situs Comic Underground

​​Die National Comic and Animation Week wird heute von der MKI (Indonesische Comic-Gesellschaft) organisiert und geleitet. Die MKI wurde 1997 als eine Art Genossenschaft zur Förderung der komikus gegründet und vertreibt Informationen über Studios, Produktion und Werbeveranstaltungen. Zugleich richtet es die jährliche Comic Week aus, die Workshops und Wettbewerbe für Schulkinder bietet.

Und Comics sind heute keine rein männliche Domäne mehr. Zulfa, eine Landwirtschaftsstudentin an der Gadjah Mada Universität, gründete aus Liebe zu den Comics Kasa Komic. "Warum sollten wir nicht etwas Neues ausprobieren, solange wir noch jung sind?", sagt sie. So werden die indonesischen Comics durch eine weibliche Perspektive bereichert.

Mit Themen wie Jungen, Liebe, Freundschaft und viele andere Aspekte des Alltags junger Frauen zeigen diese Arbeiten, wie universal die Erfahrungen junger Erwachsener heute sein können. Altis, Papillon, Bajak Laoet, Mediacela, Kasa, Komikaze, und Daging Tumbuh heißen nur einige der zahlreichen "Studios", die auf den Comic-Messen präsentiert werden.

Dabei gibt es viele unterschiedliche Arten von Comic-Studios. Auch wenn indonesische Comic-Künstler normalerweise jeder für sich arbeiten, bietet ihnen gerade die gemeinschaftliche Arbeit die Chance, ihre Individualität noch mehr zu entfalten.

Immer geht es dabei um die Ablehnung der gleichförmigen Massenkultur und den Versuch, neue kulturelle Werte zu schaffen — ein einzigartiger Ansatz inmitten einer hoch konventionalisierten Umgebung. Oder wie es Alfi ausdrückt: "Wir alle haben ganz unterschiedliche Visionen, doch bewegen wir uns gemeinsam nach vorn."

Kampf gegen die Globalisierung

Seit der letzten National Comic Week hat sich für die komikus einiges zum Besseren verändert. Langsam kommen sie aus der Versenkung heraus, allmählich räumt die Zensur ihren Platz der vollständigen Ausdrucksfreiheit. Und es werden immer mehr: Inzwischen gibt es in keinem anderen südostasiatischen Land eine solch große Anzahl unabhängiger Comic-Künstler.

Deshalb wird Indonesien von allen Nachbarstaaten beneidet, und das nicht nur wegen der hohen Qualität der Arbeiten, sondern auch aufgrund der großen Zahl und der Professionalität der mit Comic-Kultur befassten Organisationen und Messen.

Und doch wird die indonesische Comic-Welt nur dann eine erfolgreiche Zukunft haben, wenn sie endlich ihre größte Schwäche überwindet: die anhaltende Vergötterung des internationalen Comic-Marktes. Und das, wo doch in Indonesien mindestens ebenso viel geschaffen wird und Talent reichlich vorhanden ist.

Mag sein, dass es keine direkte Entsprechung der Marvel- und DC Comics in Indonesien gibt, doch kann es schon in wenigen Jahren einen boomenden Markt für inländische Produktionen geben. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, müssen die indonesischen Verleger wie auch die Künstler selbst allerdings damit aufhören, sich ständig an den USA oder an Japan zu orientieren.

Kein anderes Land erfuhr schließlich eine solch strenge Zensur, die die Entwicklung einer eigenständigen Comic-Kultur derart einschränkte. Zu keiner Zeit gab es in Indonesien ein solch großes Maß an Talent, eine ähnliche Vielfalt und eine solche Freiheit der Meinungsäußerung wie heute.

Es ist höchste Zeit, dass das große Publikum im Land endlich die Stimmen der jungen Menschen zur Kenntnis nimmt, die im Medium der Comics einen solch wahrhaftigen und erfindungsreichen Ausdruck finden. Das "Goldene Zeitalter" der indonesischen Comics hat gerade erst begonnen.

Laine Berman

© Inside Indonesia 2005

Laine Berman ist Autorin bei Inside Indonesia. Sie lebt in Yogyakarta und arbeitet zurzeit in Aceh.

Qantara.de

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www

Artikel über indonesische Comics auf der Website des Goethe-Instituts

Webseiten zur indonesischen Comicszene:

  • komikaze comics
  • titikberat comics
  • indiecomics