Neue Freiräume der Kreativität

Seit der Revolution vom 25. Januar 2011 haben die sogenannten Cinema Clubs in Ägypten wieder Hochkonjunktur: Hier treffen sich, meist in Kulturzentren, Liebhaber der "siebenten Kunst" (Alain/Schelling) um gemeinsam Filme zu schauen und diese anschließend zu diskutieren. Aus Kairo informiert Islam Anwar.

Von Islam Anwar

Die ersten Cinema Clubs entstanden in Ägypten in den 1960er Jahren und erlebten in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten ihre Blütezeit. Doch in den 1990er Jahren schwand das Interesse und erstarkte erst wieder in den letzten zehn Jahren, ausgerechnet im Zeitalter modernster Technologien, wo man immer und überall an Filme kostenlos kommt und sie zuhause auf Fernseher oder Computer schauen kann.

Doch Viele, vor allem junge Menschen, sehnen sich nach dem besonderen Erlebnis des kollektiven Filmeschauens mit Gleichgesinnten, das die Cinema Clubs ermöglichen. Anders als im hektischen Alltagsleben können sich die Menschen hier mal wieder Zeit nehmen – nicht nur für die Filmkunst, sondern auch für sich selbst und andere.

Hassan Sharawy ist Organisator des Cinema Clubs Jesuit in Kairo, der seit sieben Jahren jeden Samstag stattfindet: "Im Jahr 2009 begannen wir mit den Vorstellungen im Cinema Club Jesuit. Dabei wollten wir an die Idee der Cinemathek – ein Archiv für Filme – anknüpfen. Wir wollten also mit einer breiten Auswahl an Filmen die Dominanz des amerikanischen Films aufbrechen und dem Kino anderer Völker, wie zum Beispiel dem afrikanischen, lateinamerikanischen und iranischen Film, die Türen öffnen und gleichzeitig auch Dokumentar- und Kurzfilmen den notwendigen Raum geben."

Über die Auswahl und Qualität der Filme, die Sharawy im Club zeigt, sagt er: "Wir haben einige unserer Veranstaltungen den Filmen großer internationaler Regisseure gewidmet, wie Stanley Kubrick, Martin Scorseses, Walter Salas, Abbas Kiarostami und Béla Tarr. Wir zeigen auch Filme, die internationale Preise wie den Oscar oder die Goldene Palme gewonnen haben. Bei ägyptischen und anderen arabischen Filmen laden wir die Filmemacher ein, damit das Publikum und die Mitglieder des Cinema Clubs mit ihnen diskutieren können."

Filmplakat Cinema Club Jesuit in Kairo; Quelle: Cinema Club Jesuit
Faszination "Cinema Clubs": Viele, vor allem junge Menschen, sehnen sich nach dem besonderen Erlebnis des kollektiven Filmeschauens mit Gleichgesinnten, das die Cinema Clubs ermöglichen. Anders als im hektischen Alltagsleben können sich die Menschen hier mal wieder Zeit nehmen – nicht nur für die Filmkunst, sondern auch für sich selbst und andere.

Schon seit der Gründung des Cinema Clubs Jesuit gebe es nach jedem Film immer eine Diskussionsrunde, in der ein Film "analysiert, kritisiert, zerlegt und wiederzusammengesetzt" werde, sagt Sharawy und fügt hinzu: "In dieser Runde kommen bei den jungen Leuten Fähigkeiten ans Licht, die den Kern der Kunstkritik bilden."

Cinema Clubs und Gesellschaftswandel

Islam Othman, ein junger Alexandriner, arbeitet schon seit Jahren bei zahlreichen gesellschaftlichen Entwicklungsprojekten mit. Vor einigen Monaten entschloss er sich, einen Cinema Club zu gründen, wo er nun jeden Monat einen Film zeigt und danach mit dem Publikum diskutiert.

Über seine Erfahrung und Motivation sagt Othman: "Neben meinem Engagement in gesellschaftlichen Entwicklungsprojekten bin ich auch ein Filmliebhaber. Vor Kurzem wurde mir klar, dass Entwicklung und Kreativität miteinander verknüpft werden müssen, weil Kunst eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft spielt. Also entschied ich mich für die Eröffnung eines Cinema Clubs, denn das Kino ist bei vielen beliebt und Filme besitzen die Fähigkeit, Botschaften, Gedanken und Gefühle kurz und prägnant zu vermitteln."

Das Innovative an Othmans Cinema Club ist seine Mobilität; er findet also an unterschiedlichen Standorten in Alexandria statt: "Von Anfang an wollte ich sichergehen, dass der Club nicht an ein bestimmtes Kulturzentrum oder einen Ort gebunden ist. Die meisten Clubs finden im Zentrum statt, während alle anderen Gegenden Mangel leiden. Deswegen war es wichtig, so einen mobilen Cinema Club zu haben. Soziale Medien wie Facebook und WhatsApp haben mir dabei geholfen, mich mit den Leuten in Verbindung zu setzen."

Othman erzählt, welche Filme bisher zu den Höhepunkten im Club gehörten: "Wir haben den Film 'Farm der Tiere' gezeigt, nach einem Roman von George Orwell. Da war die Interaktion des Publikums sehr groß, denn es hat gespürt, dass der Film die derzeitige politische und soziale Realität Ägyptens widerspiegelt. Außerdem haben wir den ägyptischen Film 'Al-Hubb fawqa hadhba al-haram' (dt. Liebe auf dem Pyramidenplateau) gezeigt und es wurden Themen wie Liebe, Freiheit, gesellschaftliche Grenzen und Normen und rückständige Traditionen diskutiert." Die Idee vom mobilen Cinema Club will Othman gemeinsam mit Freunden bald auch in anderen Gouvernements umsetzen. Viel brauche man ja nicht dafür, sagt er, nur eine Plastikleinwand, einen Computer und einen kleinen Saal.

Filmdinner

Überraschenderweise ist das Interesse an den Cinema Clubs nicht auf kulturelle Verbände und Zentren beschränkt. Auch Restaurants haben das Konzept für sich entdeckt um Gäste anzuziehen, so zum Beispiel "Eish wa Malh" in Downtown Kairo. Das Restaurant hat sich mit der Cinemathek für den alternativen Film zusammengetan und veranstaltet ein monatliches "Filmdinner". Im Rahmen eines besonderen Abendessens wird ein Klassiker des arabischen oder internationalen Kinos gezeigt und nach der Vorstellung kann das Publikum mit den Organisatoren der Cinemathek den Film diskutieren.

Die Filmabende schüfen nicht nur eine Atmosphäre von Geborgenheit, menschlicher Wärme und Freude, sagen die Organisatoren, sondern stärkten auch den Dialog und die zwischenmenschlichen Beziehungen unter den Besuchern. Außerdem könnten besondere Veranstaltungen wie diese, die den Menschen noch lange im Gedächtnis blieben, neue Teile der Bevölkerung für die Cinema Clubs gewinnen.

Islam Anwar

© Goethe-Institut 2016