Schlimmer als je zuvor

In Somalia liefern sich die Übergangsregierung und Untergrundkämpfer seit einem Jahr blutige Straßenkämpfe. Trotz der zahlreichen Opfer in der Zivilbevölkerung scheint niemand bereit, in der Nation am Horn von Afrika einzugreifen. Von Marc Engelhardt

Fast 17 Jahre ist es her: Anfang 1991 gab der somalische Diktator Siad Barre auf und floh aus dem Land am Horn von Afrika. Die Zeit danach war chaotisch. Warlords, Kriegsherren mit ihrer Privatarmee mit Unterstützung wechselnder Clans, überzogen vor allem die Hauptstadt Mogadischu mit Kämpfen und Gewalt.

Irgendwann hatten sich fast alle Hilfsorganisationen zurückgezogen, die letzte UN-Mission endete kurz nach dem Abzug der US-Armee 1994. Doch trotz anarchischer Zustände - so schlimm wie im ablaufenden Jahr, so der humanitäre Koordinator der UN, John Holmes, nach einer Reise durch das Land, war es in Somalia noch nie. "Die internationale Reaktion auf das Leid ist vollkommen unzureichend."

Bürgerkrieg in Mogadischu

Weihnachten 2006 marschierten Truppen der somalischen Übergangsregierung an der Seite der äthiopischen Armee nach Somalia ein und vertrieben die Union der Islamischen Gerichtshöfe, die ein halbes Jahr lang regiert hatte. Viele sprechen heute von einer "goldenen Zeit".

Denn seit Anfang 2007 herrscht Krieg zwischen den regierungstreuen Einheiten, die von vielen als Besatzer empfunden werden, und Untergrundkämpfern.

"Wir stehen alle zwischen den Fronten", sagt Mohammed (Name geändert), der für eine somalische Hilfsorganisation arbeitet. "Die Truppen der Übergangsregierung sind Milizen der früher herrschenden Warlords: Sie plündern und töten jeden, der ihnen nicht passt - Intellektuelle, Journalisten, islamische Würdenträger."

Die äthiopische Armee, die unbestätigten Berichten zufolge 55.000 Soldaten in Somalia stationiert haben soll, sei nicht besser. "Die meisten äthiopischen Soldaten hier sind sehr jung: wenn sie angegriffen werden, schießen sie auf jeden, der sich bewegt."

Ihnen steht eine Allianz aus unzufriedenen Milizen vor allem des Hawiye-Clans, des größten Clans in Mogadischu, und Anhänger der Islamisten gegenüber, die mit ferngezündeten Bomben und Selbstmordattentaten Terror verbreiten.

Immer weniger Berichte dringen aus Somalia: Die meisten Journalisten, die hier schon immer gefährlich lebten, sind geflohen. Acht Reporter sind seit Anfang des Jahres kaltblütig ermordet worden, von Untergrundkämpfern ebenso wie von Regierungsanhängern. Von den gut zehn unabhängigen Radiostationen in Mogadischu sind die drei wichtigsten seit Wochen geschlossen, weil sie zu kritisch berichtet hatten.

Letzten Schätzungen des Elman-Zentrums für Frieden und Menschenrechte zufolge haben die Kämpfe 2007 fast 6.000 Opfer in der Zivilbevölkerung gefordert. Nahezu 8.000 Zivilisten wurden verwundet, mehr als 715.000 sind aus Mogadischu geflohen.

Lager der Hilflosen

Die Flüchtlinge leben an Orten wie Afgooye, noch vor einem Jahr kaum mehr als ein Schlagbaum an der Straße Richtung Flughafen. Heute ist Afgooye eine Großstadt aus Behelfshütten, die mit Plastikplanen unterschiedlicher Hilfsorganisationen überspannt sind.

Doch auch von diesen gibt es nicht genug: Viele Familien schlafen unter Bäumen, selbst jetzt, wo die Regenzeit begonnen hat. Latrinen gibt es kaum, die UN warnen vor dem Ausbruch von Durchfallepidemien oder Cholera.

"Fast alle Babys und älteren Menschen hier sind unterernährt, und jeden Tag kommen neue Fälle dazu", sagt Mohammed, der Säcke mit Mehl verteilt, die die deutsche Diakonie Katastrophenhilfe nach Somalia gebracht hat. Für Wasser und Lebensmittel stehen die Menschen hier stundenlang an. Die wenigsten Flüchtlinge haben etwas von zu Hause retten können.

Somalias Regierung unter Druck

"Das Leiden der Flüchtlinge ist die direkte Folge von schweren Kriegsverbrechen", warnt Steve Crawshaw von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

"Im November haben äthiopische Soldaten viele Massenexekutionen durchgeführt, und immer wieder verschwinden mutmaßliche Oppositionelle spurlos." UN-Koordinator Holmes wirft den Regierungstruppen vor, die Versorgung der Flüchtlinge zu behindern: "Es gibt überall Straßensperren. Helfer werden ständig angehalten und müssen hohe Summen zahlen, um weiterfahren zu dürfen."

Der Druck wächst auf Somalias Präsident Abdullahi Yusuf, seine bisherige Hardlinerhaltung aufzugeben. Erstmals hat der frisch gewählte neue somalische Premier Hussein Hassan Nur, genannt Nur Adde, den Islamisten ein Gesprächsangebot gemacht. Nur Adde gilt vielen in Somalia als Hoffnungsträger, weil er nicht in die Kämpfe der Ära nach Barre verwickelt war. Einen Namen machte der 70-jährige sich als Direktor des somalischen Roten Halbmonds.

Bislang haben die Islamisten, die sich vor allem in Eritreas Hauptstadt Asmara aufhalten, nicht reagiert. Doch Nur Addes Gesprächsangebot ist vermutlich vor allem symbolisch zu werten: Denn die in Eritrea lebenden Anführer haben schon mehrfach jede Verhandlung abgelehnt, solange die äthiopischen Truppen nicht abziehen.

Und dass das nicht passieren wird, gibt inzwischen auch Äthiopiens Premier Meles Zenawi zu. Nur Adde hat zudem mit innenpolitischen Problemen zu kämpfen: Einige Clans verweigern ihm die Zustimmung zu seiner Politik, Ex-Warlords fühlen sich unterrepräsentiert.

Allein gelassen

Schuld an der Lage dürfte auch sein, dass anstelle der auf 8000 kalkulierten Schutztruppe der Afrikanischen Union bis heute nur 1600 ugandische Soldaten in Mogadischu stationiert sind. Länder wie Burundi, die Soldaten zugesagt hatten, haben die Entsendung immer wieder verschoben.

Inzwischen glaubt niemand mehr, dass es jemals eine wirkliche AU-Präsenz geben wird. Viele Somalier fordern stattdessen eine mit robustem Mandat ausgestattete UN-Mission.

Doch UN-Generalskretär Ban Ki Moon schließt selbst eine Diskussion darüber aus, obwohl sich seine eigenen Experten für eine Blauhelmmission aussprechen. Der UN-Sonderbeauftragte Ahmedou Ould Abdallah nennt die Situation in Somalia die schlimmste in Afrika überhaupt - "viel schlimmer als Darfur."

Der humanitäre Koordinator für Somalia, Eric Laroche, sieht das ähnlich: "Wenn wir eine Lage wie diese woanders hätten, dann gäbe es einen Riesenaufstand - aber Somalia ist einfach schon zu lange eine vergessene Katastrophe."

Marc Engelhardt

© Qantara.de 2007

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