Das Haus an der Moschee

Zehn Jahre liegen zwischen der Mondlandung der Amerikaner 1969 und dem Sieg der geistlichen Revolution im Iran von 1979. Für den persischen Autor Kader Abdolah sind es die Eckpunkte seines neuen Romans.

​​Agha Djan ist Teppichhändler in Senedjan, einer Stadt am Fuße des Safrangebirges, das den Iran von Turkmenistan trennt. Seit 800 Jahren zählt seine Familie zu den einflussreichsten der Stadt.

Agha Djan ist Vorsteher des Basars, das wirtschaftliche, kulturelle und politische Zentrum der Stadt. Von allen wird er gegrüßt und verehrt. Ihm gehört das Haus an der Moschee, das er zusammen mit seiner Frau Fagri Sadat mit weiser Hand führt.

Die Friseuse war gerade mit Fagri Sadats Beinen fertig, als die alte Krähe sich auf den Dachrand setzte. Ihr Krächzen kündigte an, dass sie Neuigkeiten hatte. Niemand wusste, wie alt die Krähe war. Bestimmt über hundert Jahre, denn Agha Djan hatte im Archiv der Moschee über sie gelesen. Die Krähe gehörte zum Haus. Sie gehörte zur Kuppel, zu den Minaretten, den Dächern, dem alten Baum und dem Wasserbecken, aus dem sie trank. Fagri stand auf und sagte: "Salam, Krähe! Hast du gute Nachrichten? Wer ist zu uns unterwegs? Wer wird uns besuchen?"

Märchen, Familienepos, Tragödie

Kader Abdolahs Roman "Das Haus an der Moschee" ist wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht, das sich dem Leser ganz langsam öffnet und einen großen Erzähler verrät. Mit dem Buch in der Hand reist der Leser in das Kaiserreich Persien Mitte der 70er Jahre. Zwischen den Zeilen steigt der Duft der Opiumpfeife auf, die Sonne strahlt auf die Haut und man beginnt zu begreifen. Ein emotionales Verständnis setzt ein, tiefgehend und ergreifend. Und das ist bis ins Kleinste geplant, denn Kader Abdolah hat den Roman für westliche Leser geschrieben.

Qom war der Vatikan der Schiiten, die heiligste Stadt des Landes, die Stadt, in der die heilige Fatima begraben lag. Die goldene Kuppel ihrer Grabmoschee funkelte wie ein Juwel über dem Zentrum.

Kader Abdolah; Foto: www.thepowerensemble.nl
Kader Abdolah lebt im Exil in den Niederlanden. Er floh 1988 aus dem Iran.

​​Was wie ein Familienepos beginnt, und anmutet wie eine Art persische Buddenbrooks, steigert sich langsam zur Tragödie einer ganzen Nation.

Irgendwann, wie nebenbei, fallen ein paar Informationen über den Schah Reza Palahvi und seine Frau Farah Diba. Von den Amerikanern unterstützt wollen sie das Land dem Westen öffnen. Kinos kommen - und erzürnen die Imame in den Moscheen. Geschickt spielt der Autor mit dem Wissen des Lesers über die islamische Revolution im Iran, über Ayatollah Khomeini und seine Machtübernahme und über die Proklamation der islamischen Republik Iran 1979.

Dann wurde es still. Und überall im Land nahm die Stille überhand. Saddam Hussein bombardierte die Städte nicht mehr, und Khomeini zog nicht mehr den Koran zu Rate, ob er weiter auf irakisches Gebiet vordringen sollte oder nicht. Die Stille wurde zur alles beherrschenden Macht. Die Hinrichtungen hörten auf, und kein Ayatollah wurde mehr erschossen. Alle waren müde, alle brauchten Ruhe.

Kalter Chronist und großer Erzähler

Kader Abdolah, dessen Künstlername an zwei Freunde erinnern soll, die der islamischen Revolution zum Opfer gefallen sind, lebt als politischer Flüchtling in Amsterdam. Packend beschreibt er, wie die harmonische Koexistenz von religiöser und weltlicher Sphäre zerschlagen wird.

Einerseits ist Kader Abdolah kalter Chronist einer Diktatur der Intoleranz. Andererseits ein großartiger persischer Erzähler, der von Harmonie in seiner Heimat träumt und von der Jahrhunderte alten persischen Tradition. Gerade die Gegensätze, die zusammen geknüpft werden wie die Teppiche von Agha Djan machen die Stärke dieses Romans aus.

"Ich verstehe immer noch nicht, wie sich Menschen von einem Tag auf den anderen so verändern können", sagte Fagri auf dem Weg zum Haus ihres Vaters.

Es scheint als könne auch der Autor fast 30 Jahre nach den schrecklichen Erlebnissen noch immer nicht verstehen und als ging es ihm beim Schreiben dieses großartigen Romans auch darum: Zu verstehen.

Maik Meuser

© DEUTSCHE WELLE 2008

Qantara.de

Interview mit Kader Abdolah
"Wenn man mit dem Koran ein Land regieren will, wird es die Hölle!"
Mit seinem Roman "Das Haus an der Moschee", in dem der Einbruch des islamistischen Fundamentalismus in das Alltagsleben einer traditionsbewussten Familie beschrieben wird, stürmte Kader Abdolah in den Niederlanden die Bestsellerlisten. Über den Roman und über die Situation als Exilschriftsteller sprach der Autor mit Ilja Braun.

Kader Abdolah: "Die geheime Schrift"
Jenseits des Safranbergs
Der iranische Autor Kader Abdolah erzählt in seinem neusten Roman "Die geheime Schrift" aus dem Leben eines Teppichknüpfers im Persien des 20. Jahrhunderts – eine durch biografische und erzählerische Elemente entwickelte Geschichte des Irans und zugleich ein wertvoller Beitrag zum Dialog der Kulturen. Ilja Braun über Abdolahs neustes Werk und Vita.