Erinnerungen aus dem Exil

In seinem neuen Buch beschreibt SAID, Lyriker und ehemaliger Präsident des PEN-Zentrums, seine persönlichen Eindrücke über das gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland. Gleichzeitig nimmt er Stellung zum problematischen Verhältnis zwischen islamischer Welt und dem Westen.

In seinem neuen Buch "In Deutschland leben" beschreibt SAID, iranischer Lyriker und ehemaliger Präsident des PEN-Zentrums, seine persönlichen Eindrücke über das gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland. Gleichzeitig nimmt er Stellung zum problematischen Verhältnis zwischen islamischer Welt und dem Westen.

​​Lange Zeit war es ruhig um ihn, den ehemaligen Präsidenten des deutschen PEN-Zentrums und preisgekrönten exil-iranischen Autor SAID. Doch mit "In Deutschland leben" meldet sich nun der Erfolgsautor mit einem außergewöhnlichen Werk auf der literarischen Bühne zurück – ein Buch, das SAIDs Leben in seinem 17jährigen iranischen und fast 40jährigen deutschen Exil reflektiert.

Es sind Erinnerungen an die alte Heimat Teheran, die er 1965 verlassen hatte, um in Deutschland zu studieren, und zu der er nach seiner Rückkehr während des "kurzen Frühlings der Freiheit" im Revolutionsjahr 1979 kaum wieder findet, da er sich in den Jahren des deutschen Exils von ihr entfremdet hat. Es ist eine Zäsur im Leben SAIDS, die nicht nur dem politischen Umbruch im Iran, sondern auch dem zeitlich bedingten, gesellschaftlichen Wandel geschuldet sein dürfte.

Entfremdung und Neuorientierung

So schreibt SAID über sein "erstes Exil", den Iran: "einmal bei einem abendessen in einem restaurant sagte der kellner, noch bevor ich ein wort herausgebracht hatte, du kommst aus dem ausland. und er wollte mir nicht sagen, woran er das bemerkt hatte. es machte mich wütend. aber die zeit prägt hier anders, als sie es dort täte. ich hatte nicht gewusst, dass ich entfremdet war. vierzehn jahre sind eine lange zeit."

Und auch in seinem "zweiten Exil", in Deutschland, wird SAID dieser Umstand immer wieder vor Augen geführt, wenn er erzählt: "manchmal sitze ich mit iranischen freunden beisammen und mache einen witz, den schon die vierzigjährigen nicht verstehen, weil er auf etwas anspielt, das sie nicht mehr kennen. wenn besuch aus teheran kommt, stellt er fest, daß mein persisch korrekt ist und rein, aber altertümlich wie konserviert. ich gebrauche nie fremdwörter, wenn ich persisch spreche. in teheran ist das persische voller amerikanismen."

Doch SAID wird sich erst Jahre nach der Revolution, während der Arbeit an einem Buch über seine Mutter endgültig bewusst, dass Deutschland seine neue Heimat und nicht etwa nur ein vorübergehendes Provisorium darstellt.

Reflexionen über das "typisch Deutsche"

SAIDS Berichte handeln nicht nur von Selbstreflexionen, den Erinnerungen an die in Deutschland mit Schmerz und Einsamkeit erfahrene Abkehr von der alten Heimat sowie der Entdeckung der deutschen Sprache als Schlüssel zu gesellschaftlicher Integration und literarischem Schaffen in der neuen Heimat. In seinem Buch "In Deutschland leben" erfährt der Leser aus den Gesprächen des Iraners mit dem Kulturkorrespondenten der Welt, Wieland Freund, auch von SAIDS Erfahrungen mit der deutschen Mentalität und vom komplexen Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land.

Fernab von Klischees oder polemischen Untertönen hinterfragt der Autor die Distanz der Deutschen zu ihrem Land, ihren Ordnungssinn oder den staatlichen Rigorismus, der zuweilen das eigenständige Denken ersetze. Ferner lässt er sich aus über die deutsche Einheit und die Verdienste seines politischen Vorbilds Willy Brandt, ohne den - wegen seiner Ost-Verträge - die Wiedervereinigung nicht denkbar gewesen wäre, sagt SAID. Auch beleuchtet der ehemalige Aktivist der 68er-Studentenbewegung sowie erklärte Gegner der Schah-Diktatur die politischen Dimensionen des damaligen studentischen Protests in Deutschland.

Unvoreingenommen, sensibel und scharfsinnig ziehen sich seine Beobachtungen durch politische Realitäten, literarische Landschaften und bundesrepublikanischen Alltag. Doch damit nicht genug: In SAIDS abschließendem Epilog nehmen seine Aussagen einen kritisch-appellativen Charakter an, die Erinnerungen an sein demokratisch-politisches Engagement während seiner Zeit als PEN-Präsident Deutschlands wachrufen.

Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit

Mit scharfen Worten geißelt er die verlogene Moral und Doppelzüngigkeit der reichen europäischen Gesellschaften gegenüber den armen Ländern des Südens. "europa, du verkaufst nicht nur alles, du willst auch alles kaufen. und der exilierte liest in deinen zeitungen, wo überall in der welt deine bürger einfallen, die harte währung in den taschen: in zimbabwe zum golfspielen, in peru zum kinderholen, in thailand zum erwerb jungen fleisches, in paraguay zur farmgründung, in indien zum organpflücken. und voller verwunderung bemerkt er, daß du zwei drittel dieser welt 'entwicklungsländer' nennst, um ihnen überall zur hilfe eilen zu können – mit dem erfolg, dass diese immer ärmer werden und du immer reicher. und er fragt sich, ob diese divergenz die logische folge deiner freiheit ist?" Der reiche Westen müsse mehr globale Verantwortung übernehmen und vehementer als zuvor für soziale Gerechtigkeit eintreten, so der Iraner.

So sehr SAID auch die Freiheit in Europa als ein "Geschenk für alle" schätzt, befürchtet er jedoch, dass sich der Kontinent abschottet und in eine Festung verwandeln könnte. Er warnt daher eindringlich: "und der exilierte, mittlerweile ein viertel-jahrhundert auf der flucht, in freiheit, ist müde geworden, europa – weil du immer sieger, nie aber freund sein willst. weil du tagesvernunft gegen den anstand stellst und gegen brüderlichkeit. nur: dort, wo keine liebe ist, wächst kein verstehen."

"Gottes ist Orient! Gottes ist Occident!"

SAID zitiert Goethe aus seinem west-östlichen Diwan und hinterfragt insbesondere das Verhältnis zwischen Europa und den Ländern der islamischen Welt - oder was von dieser noch übrig geblieben ist: "(…) ein abziehbild europas aus plastik, wirtschaftlich ruiniert, politisch paralysiert. bestenfalls dient dieser orient dem okzident als atommülllager, als absatzmarkt und als alibi für strafaktionen und kommende kreuzzüge."

Der gegenwärtige Dialog zwischen dem Westen und dem Islam weckt bei SAID Reminiszenzen an ein Gespräch zwischen einem Blinden und einem Tauben: "der eine ist taub, weil saturiert; der andere blind, weil er nur auf sich schaut. der taube produziert, zuweilen auch Waffen, der blinde setzt sie ein, zuweilen auch gegen den tauben. aus diesen attitüden entsteht dann das schlagwort 'kampf der kulturen'."

Doch dabei belässt es SAID freilich nicht. Er hat eine schlüssige und einfache Botschaft für den Westen parat, wie ein Dialog unter fairen und gleichen Bedingungen verlaufen müsste: "voraussetzung für einen dialog ist, daß man schwäche zeigt. die eigene. und dass bei einem dialog zwischen zwei sprachen, zwischen zwei kulturen, das entscheidende oft der gestus ist."

Arian Fariborz, Qantara.de

© Qantara.de 2004

SAID: "In Deutschland leben", Verlag C.H. Beck, 2004, 128 Seiten, 14,90 Euro

SAID wurde 1947 in Teheran geboren und verließ 1965 im Alter von 17 Jahren den Iran. Er lebt seitdem in München. Von 200-2002 war er Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Für sein politisches Engagement und seinen Einsatz für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller erhielt er 1997 die Herman-Kesten-Medaille. 2002 wurde er mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Zu seinen bekannten literarischen Werken zählen: "Wo ich sterbe ist meine Fremde", "Selbstbildnis für eine ferne Mutter", "Der lange Arm der Mullahs, Notizen aus meinem Exil" und "Sei Nacht zu mir, Liebesgedichte".

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