Das verlorene Wort

Ein Algerier kehrt aus französischem Exil in sein Land zurück und ist hin- und hergerissen zwischen seiner französischen Erziehung und dem algerischen Alltag, wie er ihn dort erlebt. Von Aygül Cizmecioglu

Von Aygül Cizmecioglu

Buchcover "Das verlorene Wort" im Unionsverlag

​​Man nannte sie eine "Lügnerin" und beschimpfte sie als "schreibende Hure". In Algerien der 1970er Jahre prallte die Literatur von Assia Djebar an einer Mauer der Empörung ab. Sie war die erste Frau aus dem Maghreb, die über weibliche Selbstbestimmung und die sexuelle Befreiung schrieb.

Heute würdigen alle die Schriftstellerin, Historikerin und Filmemacherin als die "Stimme der algerischen Frauen". Im Jahre 2000 erhielt sie dafür den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Und war eine der Favoritinnen für den Nobelpreis! Jetzt hat sie ihr neues Buch veröffentlicht. "Das verlorene Wort“ heißt es. Es geht um verblasste Erinnerungen und die Verortung von Heimat. Doch diesmal schickt Assia Djebar einen Mann auf die Suche nach sich selbst.

Heimat - ein Traum?

Wenn Wellen gegen die Brandung schlagen und die Herbstsonne auf ihn fällt, ist Berkane glücklich. Froh, alleine zu sein, weit weg von Menschen und Erwartungen. Er zündet sich eine Zigarette an und schaut auf das Mittelmeer - auf das Wasser, das seine zwei Welten voneinander trennt. Nach 20 Jahren im französischen Exil ist er nach Algier zurückgekehrt, in das Land seiner Kindheit, voller Hoffnung, seine Wurzeln zu finden. Doch die Heimat, nach der er sich im kalten Norden gesehnt hat, entpuppt sich als ein Traum aus längst vergangenen Tagen.

"Die Stellen, wo früher Kaffeehäuser standen, kleine Läden, unordentlich, aber lebendig, konnte ich nicht mehr finden. Stattdessen – Wohnhäuser zwischen Trümmerfeldern [...] Frauen, kaum noch mit eleganten weißen Schleiern, sondern unter langen Tuniken verborgen, von grauer Farbe [...] Es sind die öden Bilder eines Karussells, [...] Zonen der Vernachlässigung und des Elends. Meine Heimat [...] ist für mich zur Wüste geworden."

Zwischen den Kulturen

Die politische Selbstzerstörung Algeriens ist nur der Hintergrund, nicht das Thema von Assia Djebars jüngstem Roman. Vielmehr geht es um Irritationen, die entstehen, wenn man dazwischen steht - zwischen Kulturen, und vor allem zwischen Sprachen. Der Heimkehrer muss erkennen: Die berberischen Worte seiner Kindheit sind nahezu ausgelöscht, das Französische zu einer fehlerhaften Bürokratensprache erstarrt, und aus dem Arabischen ist eine "krampfartige Sprache“ der Ideologie geworden. Berkanes Suche nach Heimat mündet in einem Wirrwarr von Zungen, unfähig ihm Halt zu geben.

Doch wo das lebendige Sprechen versagt, bleibt das geschriebene Wort. Und so wählt Berkane, die schriftliche, fast intime Mitteilungsform des Briefes. An die Geliebte in Paris schreibt er seitenlange Botschaften, die er nie abschickt und in denen er tief in seine eigene Vergangenheit eintaucht.

Poesie und Pragmatik

Assia Djebars Prosatext ähnelt einem Mosaik. Nach und nach, aus dem Zusammenspiel von Briefen, Erzählungen und Augenzeugenberichten entsteht die Lebensgeschichte ihres Protagonisten. Ähnlich wie Berkanes Identität, entzieht sich auch ihre Sprache der Eindeutigkeit. Ihre Worte changieren zwischen Poesie und Pragmatik. So ist sie weder eine schreibende Scheherazade, die blumig-orientalische Projektionsflächen bietet, noch eine Realistin im Geiste Flauberts. Assia Djebar ist irgendetwas dazwischen. So wie ihre Literatur. Und genau darin liegt der Reiz, sie zu lesen.

Aygül Cizmecioglu

© DEUTSCHE WELLE 2004

Assia Djebar: "Das verlorene Wort", Unionsverlag 2004, ISBN 3-293-00338-9, 19.90 EUR