Die Geburtsstunde des islamistischen Terrors?

Yaroslav Trofimov versucht in seiner Studie, ein für den militanten Islamismus angeblich zentrales Ereignisses neu zu bewerten: Den Anschlag, den eine Gruppe radikaler saudischer Eiferer im November 1979 auf die Kaaba in Mekka verübte. Joseph Croitoru hat die Studie gelesen.

Pilger umkreisen die Ka'aba; Foto: picture alliance/dpa
Mit verstärkten Kontrollen und strengen Visa-Beschränkungen versucht Saudi Arabien zur jährlichen Pilgerfahrtzeit die Sicherheitslage zu garantieren.

​​ Yaroslav Trofimov hat vorbildlich recherchiert und mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen, er identifiziert als ideologischen Motor hinter dem verübten Anschlag auf die Kaaba in Mekka im November 1979 eine geschickte politische Instrumentalisierung des Glaubens an den Mahdi, den islamischen Messias.

Ende der siebziger Jahre machte eine Verschwörergruppe messianisch orientierter Saudis ihre Anhänger mit Erfolg glauben, dass einer ihrer Köpfe der Mahdi sei.

Der Erwählte, der Dichter Mohammed Abdullah, musste allerdings erst selbst vom Chefideologen dieser Extremistengruppe, dem Beduinen Dschuhaiman al-Uteibi, davon überzeugt werden, der Messias zu sein.

Fixierung auf den Mahdi-Glauben

Al-Uteibis Extremismus wurzelte Trofimov zufolge – neben seiner Fixierung auf den Mahdi-Glauben – im radikalen Wahhabismus jener Beduinenstämme, die einst von der heute herrschenden saudischen Königsfamilie bei der Staatsgründung unterworfen worden waren.

Bei Dschuhaiman gab es in diesem Zusammenhang auch einen persönlichen Hintergrund: Sein Vater Mohammed Ibn Seif al-Uteibi gehörte zu jenen wahhabitischen Beduinenkämpfern, die im März 1929 in der Schlacht von Sbala im Nadschd von den Truppen des Al Saud-Stammes, der bald die Macht im Land übernahm, vernichtend geschlagen wurden.

​​Tradierte Feindschaft gegen das Königshaus Al Saud, starre Frömmigkeit und mangelnde staatliche Fürsorge bereiteten hier den Boden, auf dem Dschuhaimans Radikalismus gedeihen konnte.

Hinzu kam die Unzufriedenheit vieler junger Saudis und mitunter auch traumatische Erfahrungen mit dem repressiven saudischen Regime. So war etwa der spätere "Mahdi" Mohammed Abdullah, als er noch neben seinem Studium in einem Krankenhaus in Riad arbeitete, wegen eines unbegründeten Diebstahlverdachts von der saudischen Polizei so lange gefoltert geworden, bis er die Tat gestand – kurz darauf wurde der tatsächliche Schuldige zufällig gefunden.

Ähnliche Entwicklungen in Ägypten

Fremdeinwirkungen spielten bei der Radikalisierung dieser jungen Saudis ebenfalls eine Rolle. In diesem Kontext weist Trofimov zwar darauf hin, dass sich den saudischen Verschwörern auch ägyptische Islamisten anschlossen, die zu der Zeit in Saudi-Arabien weilten.

Der Autor ignoriert aber mit seiner Behauptung, der Anschlag auf Mekka sei die Geburtsstunde des islamistischen Terrors, den in Ägypten schon Jahrzehnte zuvor erfolgten Griff zur Gewalt im Namen der Religion; auch die Wirkung der einflussreichen islamistischen Lehre des Ägypters Sayyid Qutb, der die Legitimität der arabischen Staatsoberhäupter mit radikalislamischen Argumenten schon früh in Frage stellte, wird in der Studie unterschätzt.

Dschuhaimans Argumentation war aber der Sayyid Qutbs sehr ähnlich: Auch er warf, wie Qutb seinerzeit in Ägypten, den Herrschern seines Landes korruptes und unislamisches Verhalten vor.

Die Vision einer globalen Revolution

Besonders aber mit seiner Vision einer islamischen Revolution globalen Ausmaßes scheint al-Uteibi seine Anhänger, darunter zahlreiche Ex-Soldaten und Studenten, begeistert zu haben.

Diese Revolution sollte – am Vorabend eines neuen Jahrhunderts des islamischen Kalenders – mit der gewaltsamen Übernahme des heiligen Bezirks in Mekka am 20. November 1979 eingeleitet werden.

Trofimov schildert anschaulich, wie die militärisch gut ausgerüsteten Rebellen den fast amateurhaft gegen sie vorgehenden saudischen Sicherheitskräften mehrere Wochen erbitterten Widerstand leisteten.

Hilfe aus Frankreich

Der Anschlag traf die saudische Führung, der zu der Zeit gerade die möglichen Auswirkungen der islamischen Revolution im Iran größte Sorge bereiteten, völlig überraschend. Die um ihren Ruf fürchtende saudische Regierung verhängte umgehend eine Mediensperre und holte sich bei den islamischen Rechtsgelehrten des Landes die Erlaubnis ein, die heilige Stätte mit der Unterstützung französischer Terrorexperten stürmen zu dürfen.

Letztere koordinierten den entscheidenden, hauptsächlich von saudischen Soldaten ausgeführten Gasangriff gegen die zu dem Zeitpunkt in den Katakomben unter der großen Moschee in Mekka verschanzten Rebellen.

Auch wenn der "Anschlag auf Mekka" keineswegs die "Geburtsstunde des islamistischen Terrors" war, so war er sicherlich nicht wirkungslos geblieben. Inwieweit allerdings dadurch auch Osama Bin Laden und Al-Qaida, wie der Autor suggeriert, inspiriert wurden, bleibt jedoch ungeklärt und bedarf einer näheren Untersuchung.

Joseph Croitoru

© Qantara 2009

Yaroslav Trofimov: Anschlag auf Mekka. 20. November 1979 - die Geburtsstunde des islamistischen Terrors. Blessing Verlag 2008, 384 Seiten

Yaroslav Trofimov, geboren 1969 in der Ukraine, arbeitete als Journalist in den USA, Frankreich und der Sowjetunion. In Jerusalem lernte er Arabisch und Hebräisch, mehrmals bereiste er Saudi-Arabien und den Nahen Osten. Er ist Autor eines Buches über die muslimische Welt nach dem 11. September 2001 und Korrespondent des Wall Street Journal. Derzeit lebt er in Singapur.

Joseph Croitoru ist Experte für den politischen Islam. Jüngste Veröffentlichung: "Hamas. Der islamische Kampf um Palästina" (C. H. Beck 2007)

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