Homosexuelles Leben im Nahen Osten

Homosexualität ist in der arabischen Welt nach wie vor ein Tabuthema. Der britische Journalist Brian Whitaker hat nun ein Buch über Homosexuelle im Nahen Osten geschrieben. Anne Weber hat es gelesen.

Von Anne Françoise Weber

 

Das Cover von Whitakers Buch: Unspeakable Love: Gay and Lesbian Life in the Middle East
Das Leben Homosexueller im Nahen Osten: Kampf gegen religiöse Verbote, repressive Gesetze und soziale Ablehnung

​Kurz nachdem er sich und einigen Freunden eingestanden hatte, dass er schwul ist, suchte der syrische Student Ghaith einen Psychiater auf – eigentlich nur, um sich bestätigen zu lassen, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Doch der Arzt beschimpfte ihn und informierte Ghaiths Mutter - es kam zum Familienskandal.

Ghaiths Geschichte ist nur eine von vielen, die Brian Whitaker in seinem Buch "Unspeakable Love. Gay and Lesbian Life in the Middle East" erzählt. Geschichten, die deutlich machen, womit Homosexuelle in dieser Region zu kämpfen haben: mit repressiven Gesetzen, religiösen Verboten, Unwissenheit und vor allem mit sozialer Ablehnung.

Dabei hütet sich Whitaker, Nahost-Redakteur der britischen Tageszeitung The Guardian, davor zu verallgemeinern. Schon in den drei Ländern, denen er sich verstärkt widmet – Ägypten, Libanon und Saudi-Arabien – lässt sich ein sehr unterschiedlicher Umgang mit Homosexualität beobachten:

In Ägypten verbietet zwar kein Gesetz explizit Homosexualität, doch Schwule wurden in den letzten Jahren verstärkt durch Polizeirazzien und verdeckte Ermittler aufgespürt.

Im Libanon ist "unnatürlicher Geschlechtsverkehr" strafbar, aber Helem, eine Organisation, die sich offen für die Rechte von Schwulen, Lesben, Trans- und Bisexuellen einsetzt, wird stillschweigend toleriert.

In Saudi-Arabien steht auf homosexuelle Akte zwar eigentlich die Todesstrafe, Schwulenpartys finden jedoch in Privathäusern statt, wo relativ großer Schutz vor der Polizei zu bestehen scheint. Allerdings sind die Informationen Whitakers zu Saudi-Arabien am spärlichsten und stammen oft aus zweiter Hand.

Homosexualität im Islam

Auch in Bezug auf den Islam bemüht sich Whitaker um eine differenzierte Darstellung – stets mit vielen Belegen, deren Links auch auf seinem Internetportal zur arabischen Welt www.al-bab.com direkt angeklickt werden können.

Er macht deutlich, dass es im Koran nur wenige Stellen gibt, die auf Homosexualität bezogen werden können und dass die konkurrierenden Rechtsschulen den Hadithen, den Aussprüchen des Propheten Muhammad, unterschiedliches Gewicht beimessen.

Zahlreiche Vergleiche – etwa zum Christentum oder zur englischen Gesetzgebung, nach der Homosexualität erst seit 1967 nicht mehr strafbar ist – helfen dem Leser, die arabisch-islamische Welt und ihren Umgang mit Homosexualität besser einordnen zu können.

Interessanterweise wird gerade gleichgeschlechtlicher Sex oft als Phantasma der "anderen" Kultur zugeschrieben – sei es von Orientalisten, die homosexuelle Orgien in Harems und Bädern vermuten, oder von Islamisten, die den Westen als Hort "unnatürlicher" und ungezügelter Sexualität sehen.

In der arabischen Literatur und in arabischen Filmen gibt es laut Whitaker Andeutungen auf homosexuelle Praktiken, doch differenzierte Portraits von Schwulen oder Lesben finden sich nur in wenigen Werken. Eines davon ist der Erfolgsroman "The Yacoubian Building" von Alaa al-Aswani, den der Autor dann auch mehrfach heranzieht.

Tabuthema Homosexualität

Homosexuelle Liebe ist tatsächlich, wie es der Titel des Buches sagt, oft "unspeakable", "unsagbar". Die Homosexualität ist dabei jedoch nicht das eigentliche Problem, sondern eher das sichtbare Ausleben in der Öffentlichkeit.

Nach Ghaiths unfreiwilligem Outing in der Familie erklärte ihm sein Schwager: "Mir ist egal, was du tust, aber wenn mir jemals irgendjemand sagt, mein Schwager sei schwul, dann lasse ich mich von deiner Schwester scheiden."

Doch Whitaker ist sich nicht mit denjenigen einig, die keinen Handlungsbedarf sehen, da ihrer Meinung nach in der arabischen Welt gleichgeschlechtliche Sexualität im Geheimen stets möglich ist und das Einfordern einer schwulen oder lesbischen Identität nicht der arabischen Kultur entspreche.

Um die Situation von Lesben und Schwulen im Nahen Osten zu verbessern, sei das Wichtigste, besser über Homosexualität zu informieren, sagte Brian Whitaker bei der Vorstellung seines Buches in Beirut. Dazu hat er ein gutes Stück beigetragen, auch wenn die Situation der Lesben im Buch weniger stark berücksichtigt wird. Eine Übersetzung ins Arabische ist sogar auch schon geplant.

Anne Françoise Weber

© Qantara.de 2006

Brian Whitaker: Unspeakable Love: Gay and Lesbian Life in the Middle East; Saqi Books 2006