Tanz auf dem Vulkan

Das Internet eröffnet auch in der arabischen Welt neue Freiheiten und Chancen für die Demokratie. Es weckt jedoch ebenso wie in China und Iran den Widerstand von Autoritäten. Wer im Internet aktiv ist, geht Gefahren ein. Von Amira El Ahl

​​ Gerechtigkeit ist die Grundlage der Macht. So steht es in großen, goldenen Lettern im Foyer des Gerichtsgebäudes in Hadayeq al-Qobba in Kairos Norden geschrieben. Für die Gruppe junger Menschen, die sich an diesem Morgen dort versammelt hat, klingt es wie blanker Hohn. Einige lachen bitter, als ihnen der Schriftzug auffällt.

Doch was ihnen an diesem frühen Donnerstagmorgen noch bleibt, ist die Hoffnung, dass sich dieses Versprechen vielleicht doch einlösen wird. Dass Gerechtigkeit und nicht Wahllosigkeit und Tyrannei die Grundlage der Macht ist.

Besonders einer in der Gruppe hofft auf Gerechtigkeit an diesem Morgen: Wael Abbas. Der 35-Jährige ist angeklagt, die Internetverbindung seines Nachbarn gekappt zu haben, wofür er zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt werden soll.

Im November war die Sicherheitspolizei mit zwanzig Mann und sechs Einsatzwagen vor seinem Haus aufgetaucht, um ihn zu verhaften. Sie bedrohten seine Mutter und drangen ohne Haftbefehl oder Durchsuchungsbescheid in die Wohnung ein. "Das Vorgehen war extrem hart", sagt der Anwalt Gamal Eid vom Arabic Network for Human Rights Information (ANHRI).

Der ägyptische Blogger Wael Abbas; Foto: ICJF
"Wael Abbas berichtet regelmäßig über Missstände im Land. Er prangert an, klagt an, fordert Veränderung und ist dabei eine der lautesten Stimmen in der ägyptischen Aktivistenszene. Damit ist er dem Regime ein Dorn im Auge", berichtet Amira El Ahl.

​​ Einzig der Fakt, dass Abbas zu diesem Zeitpunkt auf dem Flughafen in Beirut saß, verhinderte seine Festnahme. "Bis heute weiß ich nicht, ob die Anklage ein persönlicher Rachefeldzug war oder eine politische Dimension hat", sagt Abbas. Doch Gamal Eid ist sich sicher, dass die Regierung hinter dem Fall steckt: "Sie wollen ihn verhaften, aber sie warten auf den richtigen Zeitpunkt."

Wael Abbas gehört seit 2005 zu den aktivsten Bloggern in Ägypten. Sein Name und sein Blog sind in der ganzen arabischen Welt bekannt. Er war es, der auf seiner Webseite Fotos von sexuellen Übergriffen auf Frauen in Kairo und Foltervideos aus ägyptischen Polizeistationen veröffentlichte, was zu einem Skandal führte und ihn berühmt machte.

Abbas berichtet regelmäßig über Missstände im Land. Er prangert an, klagt an, fordert Veränderung und ist dabei eine der lautesten Stimmen in der ägyptischen Aktivistenszene. Damit ist er dem Regime ein Dorn im Auge.

Demokratische Entwicklung

Die ägyptische Regierung und die arabischen Staaten im Allgemeinen haben in den vergangenen zehn Jahren viel in die Infrastruktur des Internets investiert. Doch dass sie damit die Tür für eine demokratische Entwicklung öffnen würden, war den meisten Regimes wohl nicht klar.

In der neusten Publikation des ANHRI mit dem Titel "One Social Network – With a rebellious message" wird aus einer Studie des amerikanischen RAND-Instituts zitiert: "Die Grundlage der Informations-Revolution ist freie Meinungsäußerung, der Austausch von und allgemeine Zugang zu Informationen."

Dazu schreibt ANHRI: "Nicht einmal der größte Heuchler würde behaupten, dass die arabischen Regierungen freie Meinungsäußerung oder das Recht auf freie Information respektieren oder gar unterstützen." Es sei daher nur selbstverständlich, dass sich die Kluft zwischen den Regierungen und Internetaktivisten jeden Tag vergrößere, denn die Aktivisten streben durch das Internet nach Demokratie.

Schuhputzer vor Internet-Café in Kairo; Foto: dpa
Internet-Café in Kairo: In der arabischen Welt gibt es rund 58 Millionen Internetnutzer, 15 Millionen davon allein in Ägypten.

​​ In der arabischen Welt gibt es nach Angaben von ANHRI rund 58 Millionen Internetbenutzer, 15 Millionen davon allein in Ägypten. Insgesamt wird die Zahl der Blogs auf 600.000 geschätzt, jedoch werden nur etwa 150.000 aktiv genutzt.

Die meisten arabischen Blogs – etwa ein Drittel – kommen aus Ägypten, gefolgt von Saudi Arabien, Kuwait und Marokko. Die Blogger sind meist zwischen 25 und 35 Jahre alt und schreiben über politische und religiöse Themen ebenso wie über persönliche Angelegenheiten.

"Die ägyptischen Blogger versuchen, die politischen Zwänge durch ihre Blogs zu durchbrechen, und sie sind bekannt für ihre bittere Kritik an der Regierung, obwohl diese versucht, die Blogger zu unterdrücken", heißt es im ANHRI-Report.

Feinde des Internets

Mit Repressionen müssen Internetaktivisten in allen arabischen Ländern rechnen. In kaum einer anderen Region der Welt wird das Internet so scharf überwacht wie hier, in kaum einer anderen Weltregion werden Blogger so sehr eingeschüchtert und verfolgt, so oft verhaftet und sogar gefoltert. Reporter ohne Grenzen veröffentlicht jedes Jahr eine Liste der "Feinde des Internets", 2009 waren unter den zwölf gelisteten Ländern auch vier arabische: Ägypten, Saudi Arabien, Tunesien und Syrien.

Logo ANHRI, Quelle: www.anhri.net
"Nicht einmal der größte Heuchler würde behaupten, dass die arabischen Regierungen freie Meinungsäußerung oder das Recht auf freie Information respektieren oder gar unterstützen", schreibt das Arabic Network for Human Rights Information.

​​ Die Anwälte von ANHRI vertreten unter anderen auch Kareem Amer, den wohl bekanntesten inhaftierten Blogger in der arabischen Welt. Amer wurde im November 2006 verhaftet und im Februar 2007 zu vier Jahren Haft verurteilt.

Drei Jahre bekam er dafür, dass er in seinen Online-Artikeln den Islam verunglimpft haben soll und ein Jahr, weil er Präsident Mubarak in seinen Schriften beleidigt haben soll. Eine frühzeitige Entlassung haben seine Anwälte bis heute nicht durchsetzen können, mittlerweile dürfen sie ihn noch nicht einmal mehr besuchen. "Seit April verweigern uns die Behörden Zugang", sagt Gamal Eid.

Die ständige Bedrohung, Gängelung und Einschüchterung von Seiten der Regierungen hält trotzdem die meisten Blogger nicht davon ab, weiter für freie Meinungsäußerung und gegen Korruption, Tyrannei und Autokratie zu kämpfen.

"Ich habe eine Stimme, und ich will, dass diese Stimme gehört wird", erklärt Wael Abbas sein Engagement. Den Kampf gegen Stimmen wie die von Abbas können autokratische Regimes eh nur noch dann gewinnen, wenn sie das Internet komplett verbieten. Aber das ist so gut wie unmöglich geworden.

Ethan Zuckerman, ein führender Online-Aktivist, nennt es die "Süße-Katzen-Theorie". In einer Vorlesung in Princeton mit dem Titel "Internet-Zensur: Wie süße Katzen helfen können" erklärt er, wie das Web 2.0, das jedem erlaubt alles im Netz zu publizieren und mit anderen zu kommunizieren, dem politischen Aktivismus hilft.

Grob umschrieben bilden die Millionen "naiven" Internetnutzer, die auf Facebook, YouTube und Flickr Fotos ihrer Katzen und Babys veröffentlichen, ein virtuelles Schutzschild für die politisch aktiven Nutzer. Zuckerman argumentiert, dass es sich die wenigsten Regierungen leisten könnten, Facebook oder YouTube zu blockieren, nur weil sie politischen Aktivismus verhindern wollen, denn damit würden sie Millionen von Bürgern gegen sich aufbringen, die soziale Netzwerke für persönliche Aktivitäten nutzen.

Soziale Netzwerke

Facebook wird in der arabischen Welt von mindestens zwölf Millionen Menschen genutzt und es werden täglich mehr. Die sozialen Netzwerke des Web 2.0 sind zu einem der wichtigsten Kommunikations-Instrumente der arabischen Jugend geworden, nicht nur der politisch aktiven.

Doch natürlich fungiert es für die Aktivisten auch als wichtiges Mobilisierungs-Instrument. Viele Blogger, gerade die der ersten Stunde, nutzen mehr und mehr Mikro-Blogging zur Kommunikation. Anstatt viel Zeit vor dem Computer zu verbringen, um Blog-Einträge zu verfassen, versenden sie Twitter-Nachrichten von ihren Handys, die in Sekunden bei ihrem gesamten Netzwerk eintreffen, als Textnachricht oder auf dem Computer.

Symbolbild Weblog; Foto: dpa
"Das Internet und die sozialen Netzwerke des Web 2.0 haben unwiederbringlich die alten Strukturen der arabischen Gesellschaft aufgebrochen", meint Amira El Ahl.

​​ Bestes Beispiel für den Einsatz von sozialen Netzwerken für politischen Aktivismus ist die Facebook-Gruppe "6. April". Die Bewegung entstand ursprünglich, als eine junge Ägypterin namens Israa Abdel-Fattah auf Facebook ihre Solidarität mit dem Arbeiterstreik am 6. April 2008 Ausdruck verlieh, indem sie dazu aufforderte, an dem Tag ebenfalls zu streiken.

Innerhalb kürzester Zeit hatte die Gruppe über 70.000 Mitglieder. Durch Facebook und Twitter verbreitete sich die Aufforderung zum Generalstreik unter dem Motto "Bleibt zu Hause" wie ein Lauffeuer und die Aktion war in den Augen vieler Beobachter ein enormer Erfolg. Zumindest waren Kairos Straßen am 6. April 2008 wie leer gefegt und die Initiatorin der Aktion wurde vorübergehend inhaftiert. Ein sicheres Zeichen dafür, dass die ägyptische Regierung solchen Aktionen in Zukunft lieber einen Riegel vorschieben würde.

Das Internet und die sozialen Netzwerke des Web 2.0 haben unwiederbringlich die alten Strukturen der arabischen Gesellschaft aufgebrochen. Das Internet ist ein offener Raum, der Menschen eine Stimme gibt, die vorher keine hatten; ein Ort der Kommunikation und des Wissensaustausches, der somit allen Nutzern Macht verschafft. Die Macht zu wissen, zu erfahren und zu verändern. Das Internet schafft Hierarchien ab und bricht Tabus, gerade in autokratisch angelegten Gesellschaftsstrukturen.

Chance für Frauen

In Saudi-Arabien, einem der autokratischsten Regime der Welt, hat das Internet vor allem für Frauen eine vorher verschlossene Tür geöffnet. Ausgeschlossen von allem politischen Leben haben Frauen sich einen Platz im Internet erobert, der ihnen die Möglichkeit gibt, sich zu allen Themen frei zu äußern.

Da ist es kaum verwunderlich, dass fast 50 Prozent der saudischen Blogger weiblich sind. Die wenigsten schreiben unter ihrem wahren Namen. Najla Barasain ist da eine große Ausnahme. Die 24-Jährige schreibt hauptsächlich über Frauenthemen und gehört in Saudi Arabien zu den prominentesten weiblichen Bloggern. Ihre Familie unterstützt sie in ihrem Hobby, was eher eine Seltenheit im konservativen Königreich ist.

"Am Anfang hatte ich nur Probleme mit einem Cousin, weil ich meinen richtigen Namen benutze, aber mittlerweile haben sich alle daran gewöhnt", sagt Najla Barasain und verzieht ihren schön geschwungenen Mund zu einem Grinsen. "Ich bin halt die Intellektuelle in der Familie und ein wenig kontrovers."

Bisher beschränkt sich Online-Aktivismus in Saudi-Arabien auf Kampagnen im Internet, mit denen auf bestehende Missstände aufmerksam gemacht werden soll. In Ägypten hingegen haben die Aktivisten ihre Kampagnen schon ein ums andere Mal aus der virtuellen Welt auf die Straße gebracht.

Denn das ist die wahre Herausforderung für Online-Aktivisten. Erst wenn sie es schaffen, aus der digitalen Demokratiebewegung einiger weniger eine breite gesellschaftliche Bewegung zu machen, die auch die vielen Millionen einschließt, die keinen Zugang zum Internet haben, hat ihr Streben nach mehr Demokratie und einer pluralistischen Gesellschaft eine Chance.

Proteste gegen Mubarak; Foto: AP
"Besonders in Ägypten, wo 2011 Präsidentschaftswahlen anstehen, erwarten Menschenrechtler, dass das Regime Mubarak noch härter als bisher gegen Aktivisten vorgehen wird", sagt El Ahl.

​​ Doch genau das stellt für die bestehenden Regime in der arabischen Welt die größte aller Gefahren dar und es ist offensichtlich, dass sie alles daran setzen werden, diese Entwicklung zu verhindern. Besonders in Ägypten, wo 2011 Präsidentschaftswahlen anstehen, erwarten Menschenrechtler, dass das Regime Mubarak noch härter als bisher gegen Aktivisten vorgehen wird.

"Die nächsten Monate werden hart", befürchtet Gamal Eid. In der Nilrepublik, die seit fast 30 Jahren unter Notstandsgesetz regiert wird, ist es besonders einfach, willkürlich unliebsame Gegner aus dem Weg zu räumen.

Deshalb glauben die jungen Rechtsanwälte, Journalisten und Aktivisten, die sich an diesem heißen Februarmorgen im Gerichtsgebäude in Abbaseyya versammelt haben, um ihren Freund und Kollegen Wael Abbas zu unterstützen, auch nicht daran, dass Gerechtigkeit in Ägypten die Grundlage allen Handelns ist.

Als Wael Abbas um kurz vor zwölf gemeinsam mit seinen drei Anwälten vor den Richter tritt, schweben die sechs Monate Haft wie ein Damoklesschwert über ihm. Doch die entlastenden Beweise, die sein Anwalt dem Richter vorträgt, sind allzu eindeutig. Der entlässt nach kurzer Zeit das Verteidigungsteam mit einer Handbewegung und schreibt nur ein Wort auf die Akte: Unschuldig.

"Die Anschuldigung war fabriziert, um mich einzuschüchtern und aus dem Weg zu räumen", sagt Wael Abbas. Eine positive Note habe das ganze trotzdem gehabt: "Das Urteil hat mir meinen Glauben in das ägyptische Rechtssystem zurückgegeben."

Amira El Ahl

© Fikrun wa Fann / Goethe.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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