Zeit für eine Umkehr!

Muqtedar Khan, Dozent an der Universität von Delaware, kritisiert das pakistanische Blasphemie-Gesetz, da es jederzeit von Muslimen missbraucht werden könne, um sich an religiösen Minderheiten zu rächen, indem sie fälschlicherweise der Gotteslästerung beschuldigt werden.

Muqtedar Khan; Foto: &copy www.ijtihad.org
Muqtedar Khan: "Allein die Häufigkeit und die Unverfrorenheit, mit denen die Blasphemie-Gesetze in Pakistan benutzt werden, rechtfertigen deren Aufhebung"

​​ Und wieder einmal offenbarte sich die Bösartigkeit, von der muslimische Gemeinden heimgesucht werden - diesmal in Form eines brutalen Attentats auf den pakistanischen Provinzgouverneurs Salman Taseer am 4. Januar.

Der Attentäter, Bodyguard des Gouverneurs, behauptete später, er habe den Gouverneur getötet, weil dieser sich gegen das pakistanische Blasphemie-Gesetz gewandt habe. Die Ermordung Taseers wird sicher viele moderate Stimmen im Land zum Schweigen bringen und die Regierung in noch ärgere Bedrängnis.

Der Fall Aasia Noreen

Die jüngste Krise nahm ihren Anfang, als Aasia Noreen, eine pakistanische Christin, der Blasphemie beschuldigt wurde, da Zeugen behaupteten, sie habe den Propheten Mohammed beleidigt.

Unter Berufung auf das Blasphemie-Gesetz verurteilte sie ein pakistanisches Gericht daraufhin zum Tode. Taseer, der sich öffentlich für eine Begnadigung Noreens einsetzte, wurde deshalb von einigen religiösen Führern angegriffen, die ihn außerdem beschuldigten, sich für Minderheiten wie die Ahmadis einzusetzen. Die Ahmadis stellen eine muslimische Glaubensgemeinschaft, die wegen ihrer unorthodoxen Glaubenssätze oft verfolgt werden.

​​ So gingen, angestachelt von religiösen Parteien und Imamen, Anfang Januar Tausende Menschen auf die Straße und forderten die Hinrichtung Noreens. Und obwohl sich Menschenrechtsaktivisten und viele muslimische Gelehrte meldeten, um diese Entwicklung zu verdammen, fürchtet sich die Regierung, sie zu begnadigen und das Gesetz außer Kraft zu setzen, vor allem nach der Ermordung Taseers.

Dies führt uns zu zwei entscheidenden Fragen. Zum einen geht es um die Todesstrafe für Verbrechen "der Rede und des Gedankens", die als blasphemisch angesehen werden - eine Bestrafung, die den islamischen Idealen von Mitgefühl und Barmherzigkeit zuwiderläuft.

Gefahr des Missbrauchs

In vielen Fällen wird das Blasphemie-Gesetz von Muslimen missbraucht, um sich an religiösen Minderheiten zu rächen, indem diese, wie auch andere Glaubensbrüder, fälschlicherweise der Gotteslästerung beschuldigt werden. Schon die Häufigkeit und die Unverfrorenheit, mit denen diese Gesetze missbraucht werden, rechtfertigen deren Aufhebung.

Auch wenn diese Gesetze im Namen des Islam geschaffen sein mögen, haben sie kein Platz im Islam und kaum ein mehrheitlich muslimisches Land wendet sie an. Pakistan ist hier eine seltene Ausnahme, was es Klerikern ermöglicht, auf Kosten schutzloser Menschen wie Noreen zu schneller Popularität unter ihren Anhängern zu gelangen.

Die zweite Frage, die aufgeworfen wird, ist der zutiefst besorgniserregende Trend in einigen muslimischen Gemeinden, jede Form von Hadith (Taten oder Aussprüche des Propheten Mohammed), in denen Toleranz, Mitgefühl oder Gnade gezeigt wird, als nicht-authentische Werte anzusehen, während diejenigen, in denen Mord und Gewalt befürwortet werden – und sei es in einem ganz eng begrenzten Kontext – die einzigen sind, die als verbürgt gesehen werden.

Einige Muslime reagieren gar ungläubig und fragen sofort nach der genauen Quelle, wenn man ihnen eine Geschichte erzählt, in der der Prophet Mohammed Mitgefühl zeigt. So scheint es, dass für gewisse Muslime Mitgefühl und Gnade inzwischen als unislamische Werte gelten.

Lehren aus den Prophetenüberlieferungen

Salman Taaser; Foto: AP
Der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, war Anfang Januar in Islamabad erschossen worden. Taseer galt als ausgesprochener Kritiker der Gesetze gegen Gotteslästerung in Pakistan.

​​ So gibt es etwa die sehr populäre Geschichte aus einem Hadith, in der eine nicht-muslimische Frau mit Abfällen nach dem Propheten Mohammed warf, wann immer er an ihrem Haus vorbeiging. Weder er noch seine Gefährten gingen gegen sie vor. Eines Tages, als sie nicht wie üblich erschien, um ihn zu bewerfen, ging er zu ihr und erkundigte sich nach ihr.

Während seines ganzen Lebens wurde der Prophet Mohammed von seinen Feinden beleidigt, und doch ordnete er niemals an, jemanden zu töten, um die Beschimpfung zu rächen. Im Koran selbst werden diese Vorfälle angesprochen, ohne dass darin der Tod der Angreifer gefordert werden würde.

Geschichten wie diese, die das Mitgefühl und die Barmherzigkeit des Propheten Mohammed veranschaulichen, sind Teil der muslimischen Folklore und Musik. Sie kommen in Kindergeschichten ebenso vor wie in Tischgesprächen.

Die wichtigste und immer wieder hervorgehobene Eigenschaft Gottes im Koran ist rahmah, oder Barmerzigkeit und vor dem Hintergrund, dass die Authentizität vieler Hadithe in Frage gestellt wird, hoffe ich, dass die Muslime sich offener diesen Hadithen gegenüber zeigen, die für Gnade, Mitgefühl und Toleranz eintreten, und kritischer gegenüber denen sind, die zu Gewalt, Mord und Hass aufrufen.

Schließlich können Toleranz und Mitgefühl keine verhängnisvollen Folgen nach sich ziehen, während Hass und Gewalt allzu oft eine gefährliche Spirale des immer Gleichen auslösen.

Der Koran sagt, dass Mohammed der ganzen Menschheit als Gnade gesandt wurde. Wie aber können wir Aasia Noreen in Pakistan davon überzeugen, dass dies tatsächlich der Fall ist?

Muqtedar Khan

© Common Ground News Service 2011

Dr. Muqtedar Khan ist Dozent an der Universität von Delaware und Fellow am Institute for Social Policy and Understanding. Er ist Herausgeber der Website www.ijtihad.org.

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Qantara.de

Frauenrechte in Pakistan
Kampf zweier mutiger Schwestern
Die beiden Schwestern Asma Jahangir und Hina Jilani setzen sich seit 25 Jahren für die Einhaltung von Menschenrechten, insbesondere der Rechte der Frauen, in Pakistan ein. Ihre Anwaltskanzlei in Lahore ist heute eine der bekanntesten im Land. Bernard Imhasly informiert

Blasphemie-Gesetz in Indonesien
Staatlich verordneter Glaube
In Indonesien hat das Verfassungsgericht das umstrittene Blasphemiegesetz bestätigt, das nach Meinung vieler liberaler Politiker und Menschenrechtsaktivisten ein Relikt der Vergangenheit darstellt und die religiösen Spannungen weiter verschärfen könnte. Aus Jakarta berichtet Christina Schott.

Interview mit Franz Magnis-Suseno
"Religionsfreiheit muss auch für für Minderheiten gelten"
Franz Magnis-Suseno ist ein deutscher Jesuitenpriester und Professor für Philosophie in Indonesien. Anett Keller sprach mit dem indonesischen Staatsbürger über das umstrittene Antipornografie-Gesetz in Indonesien, religiöse Toleranz und die Definition von Blasphemie.

www

Webseite Ijtihad.org (engl.)