Meinungsfreiheit und die Stimmen von außen

Einmischung ist oft legitim, kontert Bielefeldt: Dort, wo oppositionelle Stimmen in einem Lande zum Schweigen gebracht werden, dürfen Menschenrechtsorganisationen ihnen ihre Stimme leihen. Bahmanpour antwortet mit einer Gegenfrage.

Heiner Bielefeldt: Sie haben recht: Unsensible unilaterale Eingriffe in die inneren Entwicklungen eines Landes und seine Diskurse können dazu führen, dass das Land sich noch mehr dagegen sträubt, sich mit Themen wie Menschenrechten, Religionsfreiheit oder Gleichberechtigung von Mann und Frau auseinanderzusetzen. Wir alle wissen, dass die Menschenrechtsdebatte nicht nur einfach eine Debatte ist - sie hat sehr viel mit Machtpolitik zu tun.

Dennoch bin ich skeptisch, wenn Sie die 'natürlichen' Entwicklungen in den fraglichen Ländern so stark betonen. Was soll das denn bedeuten? Machtpolitik ist schließlich nicht nur ein Merkmal internationaler Beziehungen. Sie spielt auch für die interne Situation von Ländern eine Rolle. Sehr oft werden einzelne Elemente einer Gesellschaft zum Schweigen gebracht.

Was sollte die internationale Gemeinschaft in einem solchen Fall tun? Ich fühle mich dem Menschenrechtsgedanken sehr verpflichtet: Nach meinem Verständnis haben Menschenrechtsorganisationen die Verpflichtung, jenen ihre Stimme zu leihen, die auf irgendeine Weise zum Schweigen gebracht werden. Damit meine ich nicht, dass sich Leute von außen zu Anwälten machen und für andere sprechen sollten - ich stimme Ihnen zu, dass Gesellschaften ihren je eigenen Weg finden müssen. Aber wenn eine natürliche Entwicklung nicht möglich ist, weil Teile der Gesellschaft zum Schweigen gebracht werden, dann zumindest sollten Leute von außen auf diesen Sachverhalt aufmerksam machen. Und die internationalen Menschenrechtsstandards geben uns die Möglichkeit, zu beobachten und zu sagen, wenn etwas schiefgeht.

Mohammad Saeed Bahmanpour: Ich stimme Ihnen zu, dass wir das Recht auf freie Meinungsäußerung in jeder Gesellschaft verteidigen müssen. Aber ich möchte Sie wiederum etwas fragen: Der Begriff des politischen Säkularismus ist seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich propagiert worden, und auch Islamische Länder haben diesen Begriff zu
Teil 6 (letzter Teil): Heiner Bielefeldt: Identität und Spielräume
Beginn des 20. Jahrhunderts - neben manchen anderen - eigentlich reibungslos angenommen. Sie haben ihren Lebensstil umgestellt, ihre Rechtssysteme geändert und die Scharia abgeschafft. Aber im ausgehenden 20. Jahrhundert kehrten sie zur Scharia, zum Islamischen Gesetz, ebenso zurück wie zur Idee einer Islamischen Gesellschaft und zur Hukuma, der Islamischen Regierungsform. Unter der Voraussetzung einer sich gleichmäßig entwickelnden Weltordnung und deutlicher Verbesserungen des Lebensstandards ist das ein bisschen merkwürdig, nicht wahr? Warum, glauben Sie, ist das geschehen?