Zeichen gegen Judenhass und Islamfeindlichkeit

Mit der Berufung eines Antisemitismus-Beauftragten will der Bundestag entschieden gegen antijüdische Ressentiments und Hetze vorgehen. Nötig wäre ein Antirassismus-Beauftragter, fordern Kritiker. Ulrike Hummel informiert.

Von Ulrike Hummel

Die Verbrennung einer israelischen Flagge während einer Demonstration in Berlin im vergangenen Dezember hatte über Parteigrenzen hinweg für große Empörung gesorgt. Als Reaktion darauf hat der Bundestag nun im Januar 2018 die Berufung eines Antisemitismus-Beauftragten durch die Bundesregierung beschlossen – ein Vorhaben, das angesichts wachsender Probleme antisemitischer Vorfälle schon seit Längerem auf der Agenda stand.

Insgesamt 16 Maßnahmen sind geplant, darunter auch die Förderung von Dialogprojekten zwischen Juden und Muslimen. Die Berufung eines solchen Beauftragten stößt allerdings auch auf Kritik: "Ich glaube, dass das nicht die richtige Maßnahme ist", sagt der jüdische Intellektuelle und Psychologe Rolf Verleger. Die Judenfeindlichkeit in Deutschland sinke seit Jahren, das gehe aus dem jüngsten Antisemitismusbericht hervor.

"Türken nicht als Nachbarn haben zu wollen oder Sinti und Roma, schlimmer noch Asylbewerber nicht als Nachbarn haben zu wollen – das sind die wahren sozialen Probleme in unserem Land." Vor allem aber sieht Verleger in der beschlossenen Maßnahme "eine gefährliche Ungleichbehandlung", weil andere Minderheiten sich in ihren Rechten nicht wahrgenommen fühlen.

Damit meint er vor allem Muslime, bei denen das Gefühl, nicht genug respektiert zu werden, eher noch verstärkt würde. Die klügere Variante wäre vielmehr die Berufung eines Antirassismus-Beauftragten, so Verleger. "Wir Muslime sind von Anfeindungen ziemlich betroffen in letzter Zeit. Wenn sich der Staat jetzt nur um das Problem des Antisemitismus kümmert, fühlt man sich als Muslim schon benachteiligt", sagt der in Köln lebende Deutsch-Libanese Said Hassan.

Moscheeübergriffe häufen sich

Während die Ablehnung gegenüber Italienern, Juden und Schwarzen als Nachbarn sehr gering ausfalle, steige die soziale Distanz gegenüber Osteuropäern, Muslimen, Asylbewerbern sowie Sinti und Roma immer stärker, heißt es im aktuellsten Antisemitismusbericht 2017. Die Anzahl der Übergriffe auf Muslime in Deutschland sei im zweiten Quartal letztes Jahr deutlich gestiegen, berichtet die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken. Und in einer aktuellen Pressemitteilung des Zentralrats der Muslime (ZMD) zu Schüssen auf eine Moschee in Halle heißt es weiter, dass es "beinahe jede Woche zu Moscheeübergriffen" in Deutschland komme.

Die Berufung eines Antisemitismus-Beauftragten begrüße man grundsätzlich seitens des Zentralrates der Muslime, sagt der Vorsitzende Aiman Mazyek. "Alle Menschen verachtenden Ideologien oder Rassismen sind es wert, bekämpft zu werden." Es gehe nicht darum, den Kampf gegen eine Form von Rassismus gegenüber der anderen als höherwertig zu bewerten. Richtig aber sei, dass die offen ausgetragene Islamfeindlichkeit, vor allem auch in den Sozialen Medien, stärker zum Vorschein komme, als die meist latente, aber erschreckend hohe Judenfeindlichkeit.

Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime; Foto: picture-alliance/NurPhoto/E. Contini
Aiman Mazyek: "Alle Menschen verachtenden Ideologien oder Rassismen sind es wert, bekämpft zu werden." Es gehe nicht darum, den Kampf gegen eine Form von Rassismus gegenüber der anderen als höherwertig zu bewerten. Richtig aber sei, dass die offen ausgetragene Islamfeindlichkeit, vor allem auch in den Sozialen Medien, stärker zum Vorschein komme, als die meist latente, aber erschreckend hohe Judenfeindlichkeit.

Gerade mit Blick auf die Aufklärung des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) habe der Zentralrat der Muslime bereits in der Vergangenheit einen Antirassismus-Beauftragten gefordert. Da sehe man auch weiterhin Bedarf. Allerdings nicht anstatt eines Antisemitismus-Beauftragten sondern als zusätzliche Maßnahme. "Vor dem Hintergrund unserer Geschichte in Deutschland und unserer Verantwortung finde ich es angemessen, einen Antisemitismus-Beauftragten zu installieren", sagt Mazyek.

Ein Antirassismus-Beauftragter wäre klüger

Notwendig sei jetzt eine Sensibilisierung der Gesellschaft dahingehend, dass jede Form von Menschenverachtung abzulehnen ist. Der 45-jährige Said Hassan, der sich parteipolitisch engagiert, warnt: "Wenn man sich in Zeiten anhaltender Islamfeindlichkeit eher um den Antisemitismus kümmert, könnte der Schuss sogar nach hinten los gehen." Das Gefühl der Benachteiligung könne bei dem einen oder anderen Bürger muslimischen Glaubens dazu führen, Ressentiments gegen Juden zu entwickeln.

Ein Großteil antisemitischer Straftaten in Deutschland kommt noch immer von Rechtsaußen. Vorurteile gegenüber Juden sind unter Muslimen in Deutschland jedoch stärker verbreitet, als bei der Restbevölkerung. Das hat mit dem Nahostkonflikt zu tun. "Ein von der Bundesregierung Beauftragter, der sich gegen jede Form von Rassismus wendet, würde hier mehr zum gesellschaftlichen Frieden beitragen", findet Hassan.

Rechtsaußen: Hass gegen Juden und Muslime

Können Antisemitismus und Islamfeindlichkeit überhaupt miteinander verglichen werden? Klar gäbe es Unterschiede, sagt Rolf Verleger. Einen Vergleich aber findet der Psychologieprofessor nicht abwegig: "Wenn man sich Studien anschaut, die beides abfragen, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, zeigt sich, dass beide Ressentiments immer gemeinsam auftreten."

In der Kempf-Studie zu Antisemitismus und Israelfeindlichkeit etwa werde deutlich, dass bei menschenrechtsorientierten Gruppen Ressentiments gegenüber Juden und Muslimen kaum ausgeprägt seien. In rechten Gruppen hingegen, seien Judenhass und Islamfeindlichkeit gleichermaßen stark ausgeprägt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière; Foto: picture-alliance/dpa
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte sich im vergangenen Dezember nach den israelfeindlichen Demonstrationen in Berlin für einen Antisemitismus-Beauftragten des Bundes ausgesprochen. „Nicht nur aufgrund der jüngsten Vorfälle halte ich es für richtig, einen Antisemitismus-Beauftragten einzusetzen“, sagte der CDU-Politiker. Dies hatte auch die unabhängige Expertenkommission beim Innenministerium empfohlen. „Jede antisemitisch motivierte Straftat ist eine zu viel und eine Schande für unser Land. Judenfeindlichkeit darf in Deutschland nie wieder um sich greifen“, so Thomas de Maizière.

"Das heißt, beide Ressentiments treten immer gemeinsam auf", so Verleger. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime sieht das differenzierter: "Ich würde da eher zurückhaltend sein mit Vergleichen, weil der Antisemitismus eine ganz schreckliche Geschichte mit unserem Land verbindet und wir da eine ganz besondere Verantwortung haben." Menschenverachtung, Hass, und bestimmte Ideologien aber seien Haltungen, die sowohl mit Judenhass als auch der Islamfeindlichkeit einhergingen, so Aiman Mazyek.

Vergleichen heißt nicht gleichsetzen

Schon früher hat es teils heftige Debatten darüber gegeben, ob Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in einem Atemzug genannt werden dürften. Im Dezember 2008 veranstaltete das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung unter der Leitung des renommierten Historikers Wolfgang Benz eine Tagung über das Verhältnis von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit.

Benz befand unter anderem, dass "mit Stereotypen und Konstrukten, die als Instrumentarium des Antisemitismus geläufig sind, Stimmung gegen Muslime" erzeugt werde. Von einer Autorengruppe, zu der auch Henryk M. Broder gehörte, wurde der Wissenschaftler schwer angegangen. Antisemitismus und Islamophobie zu vergleichen übersehe – so die Kritiker –, dass die Judenfeindlichkeit im Unterschied zur Islamophobie in Auschwitz zu einem weltgeschichtlich einmaligen Verbrechen geführt hat. Somit sei der Judenhass seinem Wesen nach eine sehr viel destruktivere Einstellung, als etwa einfache Vorurteile gegenüber Muslimen. Kritiker der Autorengruppe wiederum argumentierten, dass ein Vergleichen von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit keine Gleichsetzung bedeute und den Holocaust keineswegs verharmlose.

Ulrike Hummel

© Qantara.de 2018