Alles ist möglich

Pakistans Ex-Premierministerin Benazir Bhutto lässt sich nach ihrer Rückkehr aus dem Exil als Hoffnungsträgerin für Demokratie und Wohlstand feiern. Doch kann sie die Erwartungen aus dem In- und Ausland erfüllen? Zweifel sind angebracht. Von Annette Meisters

Benazir Bhutto bei ihrer Ankunft in Karatschi; Foto: AP
Benazir Bhutto - nach acht Jahren im Exil Ankunft in Karatchi

​​Es sollte der rauschende Auftakt zu einem triumphalen Wahlkampf werden: Aus weiten Teilen des Landes hatte Benazir Bhuttos Volkspartei PPP hunderttausende Anhänger nach Karatschi gebracht, um die Parteivorsitzende nach acht Jahren Abwesenheit in der Heimat willkommen zu heißen.

Ihre politischen Gegner sollten wissen: Hier ist die Frau, deren Partei die Parlamentswahl Anfang nächsten Jahres gewinnen und dann zum dritten Mal die Regierungschefin stellen wird.

Doch es kam anders: Nach stundenlangen Freudenfesten entlang Bhuttos Konvoi vom Flughafen in die Innenstadt sprengte sich in der Menge ein Selbstmordattentäter in die Luft. Bhutto selbst blieb unversehrt, doch 139 Menschen wurden getötet und mehr als 500 verletzt. Es war der blutigste Anschlag in der Geschichte Pakistans.

Seither macht in der Bevölkerung ein makabrer Scherz die Runde: Bhuttos Forderung "Remove poverty" (Armut beseitigen) wurde umgewandelt in "Remove poor people" (Arme Leute beseitigen).

Denn die bei dem Anschlag getöteten PPP-Anhänger waren mehrheitlich mittellose Menschen aus ländlichen Gegenden, von der Partei in Bussen nach Karatschi gekarrt, gegen ein paar Rupees Essensgeld als Dankeschön fürs Jubeln.

Kritiker wie Bhuttos Nichte Fatima werfen Benazir Bhutto vor, sie habe den Tod dieser Menschen bewusst in Kauf genommen. Trotz Morddrohungen habe ihre Tante auf der "großen Show" und dem "Theater um ihre Person" bestanden, so die 25-jährige Fatima. "Sie trägt die Verantwortung für die vielen Toten und Verletzten".

Vom Anschlag profitiert?

Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass der Bombenanschlag Benazir Bhutto politisch schaden wird. Im Gegenteil: "Die Tragödie unterstreicht nur ihre Forderung, entschieden gegen Gewalt und Extremisten in Pakistan vorzugehen", erklärt Ghazi Salahuddin von The News International, einer der großen englischsprachigen Tageszeitungen im Land.

Trauerzug in Karatchi; Foto: AP
Beerdigung eines Jungen, eins von 139 Opfern des Anschlags auf Bhutto

​​Vor dem Attentat lag Bhuttos Volkspartei in Meinungsumfragen mit 28 Prozent nur auf Platz zwei der Popularitätsskala – hinter der Partei des ebenfalls zweimaligen Premierministers Nawaz Sharif. Nach dem Anschlag, da ist sich Salahuddin sicher, werde die Reihenfolge sich umkehren.

Die Kernwählerschaft der Volkspartei PPP sind die breite Masse der Unterschicht, religiöse Minderheiten und Frauen, für die Bhutto einzutreten verspricht. Hinzu kommen Wähler mit gemäßigt-liberaler Weltanschauung, die nirgendwo anders eine politische Heimat finden.

"Für sie gibt es einfach keine andere Wahl", sagt Ghazi Salahuddin. "Die PPP ist die einzige Partei in Pakistan, die für Pluralismus, Volksnähe und Schutz von Minderheiten einsteht."

Unter Korruptionsverdacht

Darüber verdrängen die Wähler offenbar, dass Benazir Bhutto bereits zweimal als Regierungschefin gescheitert ist und sich auf Kosten des Staates bereichert haben soll. Diversen Korruptionsvorwürfen entzog sie sich vor acht Jahren durch die Flucht ins Exil.

Den Heimflug nach Karatschi trat sie erst an, nachdem sie mit Präsident Musharraf Anfang des Monats ein Abkommen getroffen hatte: Gemäß dem "Nationalen Aussöhnungserlass" sollen alle Verfahren gegen sie eingestellt werden.

Auch andere Politiker dürften von dem Erlass profitieren. Nur Bhuttos Erzrivale Nawaz Sharif, der ebenfalls gerne zum dritten Mal Premierminister werden würde, wird sich aufgrund einer Klausel weiter für seine Vergehen verantworten müssen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

So ist der Weg bereitet für eine politische Konstellation, auf die auch Mitglieder der US-Regierung immer unverhohlener drängen: Benazir Bhutto als Premierministerin, Musharraf als Staatsoberhaupt. Von diesem Tandem verspricht sich Washington ein wirksameres Vorgehen im Kampf gegen Terror und Extremismus in Pakistan. Das ist auch bitter nötig.

Wie bei den Taliban

Aus der Nordwestgrenzprovinz und den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan berichten die Zeitungen täglich über Zustände, wie sie im Nachbarland unter den Taliban herrschten:

Musikläden und Friseurgeschäfte, in denen sich Männer die Bärte schneiden lassen können, werden in die Luft gesprengt. Schuldirektoren weisen die Mädchen an, nur noch in Burka zum Unterricht zu erscheinen – nach Bombendrohungen von Fundamentalisten.

Und vor Wochen schon haben militante Kräfte rund 300 pakistanische Soldaten gekidnappt, die gegen die Taliban vorgehen sollten. Bis heute hat die Armee es nicht geschafft, die Männer zu befreien.

Benazir Bhutto; Foto: AP
Dem Anschlag entkommen - Benazir Bhutto spricht mit Medienvertretern

​​Vor allem aber wird der Chef des Terrornetzwerkes Al Qaida, Osama Bin Laden, im pakistanischen Grenzgebiet vermutet.

Benazir Bhutto hat sich diesbezüglich weit hervorgewagt und angekündigt, sie würde als Regierungschefin auch amerikanische Angriffe auf pakistanischem Boden zulassen, um Bin Laden zu fassen.

Musharraf hingegen lehnt ausländische Operationen in seinem Land dagegen strikt ab. Aber nicht nur wegen dieser Meinungsverschiedenheit ist es fraglich, ob Bhutto und Musharraf erfolgreich zusammen arbeiten würden. Keiner der beiden ist es gewöhnt, Macht zu teilen.

Ein letzter Trumpf

Bis Mitte November will Musharraf sein Amt als Armeechef angeblich niederlegen und dann als ziviler Präsident den Übergang zu einer – wie er sagt – "echten" Demokratie ebnen.

Doch vielleicht kommt auch alles ganz anders. Sollte der Oberste Gerichtshof in den nächsten Tagen urteilen, dass Musharraf Anfang Oktober gar nicht noch einmal zur Präsidentschaftswahl antreten durfte, könnte der 64-jährige seinen letzten Trumpf spielen:

unter einem Vorwand den Ausnahmezustand verhängen, die Parlamentswahl verschieben und Präsidentengeneral bleiben. Ohne Benazir Bhutto an seiner Seite. Möglich ist in Pakistan dieser Tage alles.

Annette Meisters

© Qantara.de 2007

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