Gemeinsam gegen rechtliche Diskriminierung

Eine Gruppe von Frauenrechts-Aktivistinnen aus dem Maghreb befand sich auf einer Informations- und Fortbildungsreise in Deutschland. Martina Sabra hat die Frauen begleitet.

Teilnehmerinnen der Delegation, Foto: Martina Sabra

​​Das Patriarchat und die daraus resultierende Gewalt gegen Frauen und Kinder werden sowohl in der westlichen als auch in der arabisch-islamischen Welt zunehmend als Problem gesehen.

Und die Frauen, die sich hier wie dort für die Gleichberechtigung der Geschlechter und gegen Männergewalt engagieren, können trotz unterschiedlicher kultureller und ökonomischer Rahmenbedingungen viel voneinander lernen.

Das waren zwei wichtige Ergebnisse eines intensiven Austauschs zwischen Frauenrechtsaktivistinnen aus Nordafrika und Deutschland, der auf Initiative der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, Köln und Duisburg stattfand.

Die Heinrich-Böll-Stiftung (vormals Buntstift e.V.) unterstützt im Rahmen des Projektes "Gesellschaftliche Demokratisierung im Maghreb" seit 1994 unabhängige Frauenorganisationen in Algerien, Marokko und Tunesien, mit dem Ziel, die rechtliche Stellung von Frauen und die Hilfsangebote für weibliche Gewaltopfer in den jeweiligen Ländern zu verbessern.

Insgesamt acht Mitarbeiterinnen von Frauennotrufzentren und Frauenhäusern in Algier, Casablanca und Tunis hatten jetzt die Möglichkeit, sich in Deutschland über die allgemeine Situation von Frauen zu informieren, hiesige Ansätze zur Prävention bzw. Bekämpfung von Männergewalt gegen Frauen und Kinder kennenzulernen, und – "last not least" - deutsche Frauenorganisationen über ihre Projektarbeit sowie über die rechtliche und soziale Situation von Frauen im Maghreb und in der arabischen Welt zu informieren.

Marokkos Feministinnen wehren sich

Wie wichtig gerade letzteres ist, daß in Deutschland viel zu wenig über die Situation von Frauen, die Frauenbewegung und den Feminismus im Maghreb bekannt ist, wurde im Verlauf der zehn Tage immer wieder deutlich.

Die EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer, die von den Besucherinnen unter anderem nach den Auswirkungen des Mauerfalls auf Frauen in Deutschland gefragt wurde, wollte ihrerseits etwas über die Situation in Nordafrika erfahren, und war überrascht, daß nun auch in Marokko religiöse Fanatiker im Namen der islamischen Moral immer häufiger Frauen attackieren, von verbaler Belästigung bis hin zum Mord.

Marokkos Feministinnen wehren sich; doch in Deutschlands Medien wird darüber kaum berichtet. Mit Erstaunen registrierten deutsche Gesprächspartnerinnen auch, daß der Zugang von Frauen zu politischen Posten in Nordafrika zum Teil kontraproduktiv ist. Im marokkanischen Parlament wurde zwar im Sommer 2002 eine Quote für Frauen eingeführt; doch die dreißig Frauen, die im September 2002 ins Parlament gewählt wurden, gehören mehrheitlich zum konservativen und islamistischen Lager.

Anstöße zur Reform des frauenfeindlichen islamischen Familienrechtes (Mudawwana) sind von ihnen nicht zu erwarten – im Gegenteil, sie beharren sogar auf der männerdominierten Auslegung der heiligen islamischen Texte. Andere Gesprächspartnerinnen in Berlin und Köln hatten sich nicht vorstellen können, daß in arabisch-islamischen Ländern überhaupt Feministinnen und feministische Projekte existieren.

Um so überraschter waren sie zu erfahren, daß die Geschichte der Frauenbewegung in Tunesien bis in die vierziger Jahre zurückreicht, daß das erste Frauenhaus in Algerien 1993 eröffnet wurde und daß in Marokko mehr als ein Dutzend Frauenorganisationen den "Frühling der Gleichberechtigung" ins Leben gerufen haben, eine landesweite Kampagne zur Abschaffung des islamischen Familienrechtes.

Die Besucherinnen aus Nordafrika ihrerseits waren erstaunt, daß Frauenhandel und Zwangsprostitution in Deutschland stark zugenommen haben und daß neben osteuropäischen Frauen immer häufiger auch Maghrebinerinnen zur Prostitution gezwungen werden.

Ebenso neu war für sie die Tatsache, daß in Deutschland seit dem 1. Januar 2002 gewalttätige Männer aus der ehelichen Wohnung verbannt werden können, im Rahmen des sogenannten "Gewaltschutzgesetzes".

Kein gesetzlicher Rahmen für Frauenhäuser

Überrascht stellten die Maghrebinerinnen fest, daß Beratungsstellen für weibliche Opfer von Gewalt in Deutschland zum Teil ähnliche Probleme haben wie im Maghreb: was eine Vertreterin des Berliner Modellprojektes SIGNAL über die mangelde Ausbildung von Ärzten und sonstigem Krankenhauspersonal im Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt erzählte, kam den Besucherinnen aus Nordafrika nur zu bekannt vor.

Beim Besuch des Frauenhauses und der Frauenberatungsstelle des Vereins BORA erfuhren die Teilnehmerinnen, daß wie in ihren Heimatländern auch in Deutschland kein gesetzlicher Rahmen für Frauenhäuser existiert, was sich unter anderem negativ auf die Finanzierung auswirkt.

Sehr beeindruckt waren die Besucherinnen aus dem Maghreb von der Arbeit der Berliner Interventionszentrale gegen häusliche Gewalt (BIG), ein Modellprojekt, das seit 1995 in enger Kooperation mit dem Berliner Landeskriminalamt aufgebaut wurde, und das darauf abzielt, die Zusammenarbeit zwischen Frauennotrufen, Polizei und städtischen Behörden zu verbessern.

Neben Seminaren über telefonische Erstberatung und Krisenintervention sowie über institutionelle Vernetzung und Strategiebildung stand ein zweistündiges Gespräch mit der Kriminaldirektorin Ursula Falkenstern auf dem Programm, die beim Landeskriminalamt Berlin ein großes Fortbildungs-Projekt zur Bekämpfung häuslicher Gewalt koordiniert, in dessen Rahmen bereits mehr als 4000 Polizeibeamte fortgebildet wurden.

Die Chancen der Anwendbarkeit in ihrem eigenen Land beurteilte Fella Bourahmani vom Frauennotruf in Algier vorsichtig optimistisch: "Wir wollen gern enger mit der Polizei zusammenarbeiten, aber für die meisten Menschen bei uns symbolisiert die Polizei den Unterdrückungsapparat, und das Gros der Beamten hat kein Interesse, bedrängten Frauen zu helfen. Wenn es uns einmal gelingt, doch einen guten Kontakt zur Polizei aufzubauen, wird der oder die Beamte oft schon bald wieder versetzt. Dann fangen wir von vorn an. Trotzdem macht uns dieses Beispiel Mut."

Sehr aufmerksam registrierten die Besucherinnen die starke Verankerung der deutschen Frauenbewegung in den Institutionen, und die enorme Ausdifferenzierung der feministischen Unterstützungs- und Beratungsangebote für Frauen.

"Die autonome Frauenbewegung ist in Deutschland seit über 35 Jahren aktiv. Wir dagegen stehen noch ganz am Anfang, aber wir können von den Erfahrungen der Frauen in Deutschland eine ganze Menge lernen," sagte Zahra Azirae, Mitarbeiterin des Frauenberatungs- und Dokumentationszentrums CIOFEM in Casablanca.

Zusammenarbeit möglich

Die Teilnehmerinnen aus Nordafrika und ihre deutschen Kolleginnen betrachteten ihren Besuch in Deutschland insgesamt als sehr informativ und fruchtbar, zumal viele Organisationen inzwischen mehrsprachiges Informationsmaterial herausgeben und die Sprachbarriere nicht mehr so stark ist wie früher.

"Ich finde es großartig, daß die Organisationen wie "Zartbitter" (gegen sexuellen Mißbrauch), BORA, BIG und viele andere Beratungsstellen in Deutschland Broschüren in Französisch und sogar in Arabisch bereithalten," freute sich Halima Jouini aus Tunesien.

Und beim Studieren der Broschüren allein wird es wohl nicht bleiben: "Ich bin sehr froh, daß wir endlich Ansprechpartnerinnen in Marokko persönlich kennengelernt haben", meinte Schwester Leonie, Mitarbeiterin der Organisation SOLWODI in Duisburg. SOLWODI setzt sich gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution ein.

"Es kommen immer häufiger auch Marokkanerinnen zu uns. Oft stehen wir dann mit unseren Fragen allein da. Jetzt kennen wir in Marokko Organisationen, an die wir uns wenden können."

Martina Sabra

© 2003, Qantara.de

Kontakte
• Heinrich-Böll-Stiftung: www.boell.de
• BIG Berlin: www.big-interventionszentrale.de (Info-Broschüre auf Arabisch)
• ZARTBITTER: www.zartbitter.de (Tipps für Kids auf Arabisch)
• Frauennotruf/Frauenhaus Algier (SOS Femmes en Détresse): c_cejp@hotmail.com
• Frauennotruf Casablanca (Association Marocaine de lutte contre les Violences à l'égard des Femmes): ecoute@casanet.net.ma
• Dokumentations- und Beratungszentrum CIOFEM in Casablanca: lddf@iam.net.ma
• Frauennotruf Tunis (Association Tunisienne des Femmes Démocrates): atfd@planet.tn