Kritisches Feuilleton gleich demokratisches Bewusstsein?

"Living Globality" – dieses Begegnungsprojekt der Heinrich-Böll-Stiftung möchte Kulturjournalisten aus Europa und der arabischen Welt ermöglichen, ihre Meinungen und Erfahrungen auszutauschen. Von Martina Sabra

"Living Globality" – dieses Begegnungsprojekt der Heinrich-Böll-Stiftung möchte Kulturjournalisten aus Europa und der arabischen Welt ermöglichen, ihre Meinungen und Erfahrungen auszutauschen. Martina Sabra hat mit Machern und Teilnehmern gesprochen.

Zeitung lesende Frau; Foto: AP
Arabischsprachige Feuilletons bedürfen einer dringenden Erneuerung, fordert der marokkanische Journalist Yassin Adnan.

​​25 Tage dichtes Programm liegen hinter den vier jungen Journalisten aus Ägypten, Libanon, Marokko und Palästina. Sie haben Kollegen getroffen, arabischsprachige Medien in Deutschland kennen gelernt, Kulturprojekte besucht, eine öffentliche Konferenz bestritten, und nebenbei viel über deutsche Geschichte erfahren.

"Für mich war der Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen sehr wichtig", sagt der junge Dichter Yassin Adnan aus Marokko, Kulturkorrespondent einer großen arabischen Tageszeitung und Mitherausgeber der unabhängigen Kulturzeitschrift "Zawaya".

"Wir sind in Marokko daran gewöhnt, den nationalsozialistischen Massenmord in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt und dem Leiden der Palästinenser zu sehen. Hier ist mir klar geworden, dass das nur eine Dimension ist."

Wenig Zeit für eigene Recherche

Yassin Adnan sagt, er hätte gern mehr Zeit gehabt, solche Themen zu vertiefen: "Wir hatten zu wenig Zeit für eigene Recherchen. Und ich hätte auch gern etwas mehr über die Arbeit meiner Kollegin von der Berliner Zeitung erfahren, die im Herbst zu mir nach Marrakesch kommt." Doch insgesamt, so Yassin, habe er sehr von der Informationsreise profitiert.

Najwan Darwish; Foto: Larissa Bender
Kulturberichterstattung in Palästina vermisst Najwan Darwish

​​Sein Kollege Najwan Darwish aus Jerusalem stimmt zu, palästinensische Kulturjournalisten bräuchten dringend Unterstützung: "Wir haben wegen der Ausgangssperren, Checkpoints und wegen der Mauer große Probleme zu kommunizieren. Künstler, Publikum und Journalisten kommen oft rein physisch nicht zueinander. Es werden Ausstellungen eröffnet, die keiner besucht. Aber es mangelt auch am Bewusstsein, vor allem in den Zeitungsredaktionen. Bei uns in Palästina kann man von Kulturberichterstattung gar nicht reden. Das Wort wäre viel zu groß".

Die Politologin und Kunsthistorikerin Alia Rayyan, die den deutsch-arabischen Kulturjournalisten-Austausch für die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit Thomas Hartmann koordiniert, ist überzeugt, dass kritische Kulturberichterstattung zu einer demokratischen und politischen Kultur beiträgt. Künstler seien in der arabischen Welt gegenwärtig am ehesten in der Lage, gesellschaftliche Probleme beim Namen zu nennen.

Künstler als Gesellschaftskritiker

"Was uns interessiert", so Rayyan, "sind die lokalen Gruppen, die sich im Gegensatz zum offiziellen Staat um Belange der Gesellschaft kümmern und Probleme zur Sprache bringen. Diese Funktion, die wir in Deutschland und Europa von den Medien kennen, übernehmen in der arabischen Welt teilweise die Künstler. Kulturjournalisten sind wichtig, weil sie die Möglichkeit haben, die kritischen Ideen einem breiten Publikum zu vermitteln."

Kulturjournalisten also als Motoren für eine kritische, wache Öffentlichkeit? Die Teilnehmer der Konferenz über "Medien, Kunst und Zivilgesellschaft", die im Rahmen des deutsch-arabischen Journalistenaustauschs in Berlin stattfand, wollten dem nur bedingt zustimmen.

Der Online-Journalist Rainer Meyer beklagt die zunehmende Kommerzialisierung der Kulturberichterstattung in Deutschland, in den Bereichen Film, bildende Kunst und besonders Literatur.

Immer häufiger würden Bücher in Zeitungen nicht wegen ihrer Qualität besprochen, sondern weil die Verlage gleichzeitig Anzeigenkunden seien, und viele Journalisten würden die Bücher, die sie empfählen, gar nicht mehr selbst lesen, sondern aus Zeitdruck oder Faulheit die Pressemitteilungen der Verlage abschreiben.

In der arabischen Welt, betont Aktham Suliman, Deutschlandkorrespondent von Al-Jazeera, seien schon die Ausgangsbedingungen viel schwieriger: im Durchschnitt könne gut ein Drittel aller Araber nicht lesen und schreiben. Die Auflagen der Zeitungen seien gering, und selbst gebildete Menschen könnten sich Zeitungen geschweige denn Bücher oft nicht leisten, weil ihnen das Geld fehle.

Konservativer Kunstbegriff

Yassin Adnan kritisiert, die panarabischen TV-Sender glaubten, mehr oder weniger ohne Kulturberichterstattung und Feuilleton auskommen zu können: "Statt dessen werden wir von den audiovisuellen Medien unaufhörlich mit Politik überschüttet. Aber wir sind doch nicht nur politische Wesen, sondern Menschen mit vielfältigen, auch kulturellen Interessen!"

Yassin Adnan; Foto: Larissa Bender
Frischen Wind für die arabischen Medien wünscht sich Yassin Adnan

​​Verschärft werde die Krise durch einen diffusen, tendenziell konservativen Kulturbegriff - vor allem in den arabischsprachigen Printmedien, meint der Marokkaner.

Während die französischsprachige Presse in Marokko auch neue Trends und marokkanische Jugendkultur aufgreife, wie HipHop und Breakdance, lehne die arabischsprachige Presse solche global inspirierten Entwicklungen als westlichen Kulturimport ab – obwohl Marokkos HipHopper auf Arabisch singen. In den arabischsprachigen Feuilletons, so Adnan, dominierten nach wie vor Dichtung, traditionelle Musik und seitenlange Essays über theoretische Fragestellungen.

Bei all dem gibt es aber durchaus Ansätze für eine professionellere, modernere Kulturberichterstattung. Unabhängige Publikationen, wie die in Beirut erscheinende Kulturzeitschrift "Zawaya", berichten über das Neueste aus arabischer und westlicher Kultur.

Immer mehr Künstler nutzen das Internet und sogar Mobiltelefone, um eigene Öffentlichkeiten zu schaffen und so Druck auf die etablierten Medien auszuüben.

Ein breites Publikum erreicht man aber auch in der arabischen Welt am ehesten via Leitmedium Fernsehen und über die Tageszeitungen. "Deshalb ist es wichtig, nicht nur die kleinen, inoffiziellen Medien und das Internet im Blick zu haben", meint Yassin Adnan. "Auch die offiziellen arabischen Medien brauchen frischen Wind."

Martina Sabra

© Qantara.de 2005

Qantara.de

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