Schmelztiegel der Kulturen und der Edelmetalle

Eine Amsterdamer Ausstellung will das andere, unbekannte Afghanistan zeigen: Insgesamt sind 250 Objekte von vier verschiedenen archäologischen Fundorten zu sehen, die ein Schlaglicht auf den einstigen Glanz der afghanischen Herrscherdynastien werfen. Nasim Saber informiert.

Aphrodite von Baktrien; Quelle: National Museum of Afghanistan © musée Guimet/Thierry Ollivier
Die baktrische Aphrodite: Eine Synthese aus griechischen, persischen und indischen Motiven.

​​Ob eine baktrische Aphrodite mit Engelsflügeln und indischem Hochzeitsmal zwischen den Augenbrauen, eine zusammenklappbare, mobile Krone einer Nomadenprinzessin aus purem Gold oder eine theatralische Gargoyle-Maske als Fontäne, die um die Zeitenwende Wasser des antiken Oxus-Flusses (heute Amu Darya) aus ihrem Mund spie – all diese mannigfaltigen Exponate gibt es derzeit in einer Ausstellung in der Amsterdamer Nieuwe Kirk zu sehen.

Der baktrische Schatz ist von seiner Bedeutung und von seinem Umfang her durchaus mit den Grabbeigaben des Tutanchamun in Ägypten vergleichbar. Er besteht aus über 20.000 Einzelstücken und zeugt von fortgeschrittenen Zivilisationen im antiken Afghanistan.

Baktrisches Gold

In Folge des Alexanderfeldzugs waren immer mehr Griechen und Makedonier in die antike Kulturlandschaft Baktrien gezogen, wo sie eine Hochkultur begründeten. Nomadenvölker aus Zentralasien, die Kuschanas, errangen die Oberherrschaft, siedelten sich an und übernahmen sogar die griechische Schrift, in der sie fortan ihre eigene Sprache, das Baktrische, schrieben.

Die Kuschana-Fürsten kamen durch die Kontrolle dieser strategisch wichtigen Region an der Seidenstraße und durch den Handel zu enormem Reichtum. Die Verschmelzung der Kulturen schlug sich in den Öfen der Goldschmiede nieder und nahm eine erstaunlich feine und komplexe materielle Form an. Die Synthese zentralasiatisch-nomadischer, hellenistischer, iranischer und indischer Kulturen spiegelt sich wieder in der Fülle der Motive in der Amsterdamer Ausstellung.

Der Goldhügel am Hindukusch

Die Exponate haben eine sehr lange Reise hinter sich. Gefunden wurde das Baktrische Gold vor genau 30 Jahren nördlich des Hindukusch von einem griechischen und russischen Archäologenteam unter der Leitung von Victor Sariyannidis. Der Hügel, aus dem die Schätze ausgegraben wurden, ist seither als Tilla Tepe (Goldhügel) bekannt.

Krone einer Kuschana-Prinzessin; Quelle: National Museum of Afghanistan © musée Guimet/Thierry Ollivier
Diese Krone gehörte einer Nomadenprinzessin. Sie ließ sich zusammenfalten für die langen Reisen von Residenz zu Residenz.

​​Der Schatz von Tilla Tepe blieb nach seiner Untersuchung und Katalogisierung durch die Sowjets ab 1978 in Kabul. Die Rote Armee marschierte im Jahr darauf in Afghanistan ein und beendete die Besatzung erst zehn Jahre später. Das kommunistische Regime in Kabul konnte sich noch weitere vier Jahre halten. In der Zeit der sowjetischen Okkupation wurden zahlreiche Kunstschätze entwendet.

Nach dem Sturz des Regimes brachen 1992 Kämpfe zwischen den rivalisierenden Mujahidin-Fraktionen aus; die Hauptstadt Kabul wurde dabei in Schutt und Asche gelegt. Plünderungen und grausame Kriegsverbrechen auf allen Seiten begleiteten diese Kämpfe, Kunstdiebe boten afghanische Kunstgegenstände vermehrt im Ausland an.

1994 betraten die Taliban die politische Bühne und eroberten 1996 die Hauptstadt des Landes. Der Schatz, der sich die ganzen Jahre über in Kabul befand, schien nun für immer verloren.

Nach dem Sturz der Taliban keimte Hoffnung in Afghanistan auf: auf den Straßen machten Gerüchte die Runde, der Schatz sei gut erhalten und in Sicherheit. Tatsächlich wurden die Schätze im Jahre 2004 der Weltöffentlichkeit präsentiert und von ihrem Entdecker, dem Russen Victor Sariyannidis auf ihre Echtheit hin überprüft und bestätigt.

Der Präsidentenpalast als Versteck?

Das Gold soll die ganze Zeit über in den Tresoren der Nationalbank direkt unter dem Präsidentenpalast aufbewahrt worden sein. Engagierte Mitarbeiter des afghanischen Nationalmuseums hatten sich wagemutig für den Erhalt der Kunstgegenstände eingesetzt.

Tönernde Maske aus Ai Khanum; Quelle: National Museum of Afghanistan © musée Guimet/Thierry Ollivier
Überreste einer Plastik: Zeugnis der griechischen Hochkultur in Zentralasien.

​​Der Chef des Nationalmuseums, Omara Khan Massoudi, wurde 2004 für die Rettung der Kunstgegenstände mit dem Prinz Claus Preis des 2002 verstorbenen deutschstämmigen Prinzgemahls von Königin Beatrix der Niederlande ausgezeichnet.

Nach Paris und Turin ist die Ausstellung der baktrischen Fundstücke nun schließlich in die Amsterdamer "Nieuwe Kerk" (Neue Kirche) gelangt und wird hier bis zum 20.April 2008 noch bleiben und gezeigt werden. Von Europa aus geht es dann in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo das Gold aus Afghanistan ebenfalls in mehreren Städten zur Schau gestellt wird.

Immerhin haben sich die Initiatoren, mehrere französische, italienische und niederländische Museen und Stiftungen vorgenommen, ein anderes, unbekanntes Afghanistan zu zeigen.

Der antike Glanz Afghanistans wirft ein faszinierendes, neues Licht auf das Land am Hindukusch – ein Afghanistan, das eine Wiege der Zivilisation und ein Schmelztiegel der Edelmetalle und Kulturen war. Doch dieser alte Glanz kann die aktuelle, harte Realität im Land kaum überstrahlen.

Zu sehr besteht die Gefahr, dass das Land erneut im Chaos versinkt und die Kunstgegenstände in Afghanistan wieder auf ihren rein materiellen Wert reduziert werden und somit für immer verloren gehen.

Nasim Saber

© Qantara.de 2008

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