Die Kunst und das Recht auf Bewegungsfreiheit

Eine Ausstellung in einer arabisch-israelischen Kleinstadt, mit Künstlern aus Deutschland, Israel und Palästina - kann so ein Projekt überhaupt gut gehen? Durchaus! Cornelia Rabitz erklärt, warum dies bei "29 Kilometer" der Fall ist.

Eine Ausstellung in einer arabisch-israelischen Kleinstadt, mit Künstlern aus Deutschland, Israel und Palästina - kann so ein Projekt überhaupt gut gehen? Durchaus! Cornelia Rabitz erklärt, warum dies beim Projekt "29 Kilometer" der Fall ist.

Hinweisschild der Kunstgalerie in Umm El Fahem; Foto: Jürgen Hube
Raum für Begegnungen von israelischen, arabischen und palästinensischen Künstlern - "The Art's Gallery" in Umm El Fahem

​​Schließlich hat es doch noch geklappt: Die Skulpturen von Oliver van den Berg aus Berlin sind rechtzeitig in Umm El Fahem eingetroffen – ein kleines Wunder angesichts der Umstände.

Denn Umm El Fahem ist eine arabische Stadt im Osten Israels, nur etwa 90 Kilometer von Tel Aviv entfernt, aber doch eine völlig andere Welt. Die Menschen sind arm, die Straßen schmutzig, die Grenze, die die palästinensischen Gebiete vom israelischen Kernland abtrennt, ist nah.

Kunst und Begegnung

In Umm El Fahem hat man also andere Sorgen als die Kunst – und doch gibt es hier die "Art Gallery", entstanden aus der Privatinitiative einer ortsansässigen Familie. Gründer und Direktor Said Abu Shakra weiß, dass die Menschen in seiner Heimatstadt sich vor allem um Arbeit, Lohn und Brot für ihre Kinder kümmern müssen.

Dennoch ist es ihm gelungen, die Galerie zu einem wichtigen Zentrum zeitgenössischer Kunst zu machen - sogar aus Tel Aviv pilgern Kunstinteressierte hierher. Denn Said Abu Shakra und sein Team tun etwas ganz Ungewöhnliches: Sie schaffen Raum für Begegnungen von israelischen, arabischen und palästinensischen Künstlern.

Über Grenzen hinweg

Sperranlage zwischen Israel und Palästina in der Nähe von Umm El Fahem; Foto: Jürgen Hube
"Während in Europa Grenzen fallen, wird die palästinensische Bevölkerung in den israelisch besetzten Gebieten immer weiter eingeschränkt", meint Kuratorin Shlomit Baumann.

​​Jetzt ist es nach zweijähriger Vorbereitungszeit und mit Unterstützung des Goethe-Instituts sogar gelungen, ein Projekt zusammen mit deutschen Malern und Bildhauern zu verwirklichen.

"29 Kilometer" lautet der Titel der Ausstellung und er bezeichnet genau die Strecke, die Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten zurücklegen können, ohne auf einen Checkpoint oder eine Grenzbefestigung zu stoßen.

"Während in Europa Grenzen fallen und die Mobilität immer größer wird, wird die palästinensische Bevölkerung in den israelisch besetzten Gebieten immer weiter eingeschränkt: Überwachung, Abgrenzung, Kontrolle der Ressourcen, Abhängigkeit von Passierscheinen", sagt Kuratorin Shlomit Baumann. Die Ausstellung thematisiert diese Problematik.

Gemeinsame Recherche

Die 13 Künstler haben sich intensiv vorbereitet. "Wir wollten nicht einfach irgendwelche Sachen zeigen, sondern vorher die Situation hier im Land kennen lernen" – sagt der Berliner Sven Kalden, Mitinitiator des Projekts.

Ein Symposium brachte im Herbst 2008 die Beteiligten in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten zur Recherche zusammen. Dann kam der Gaza-Krieg. Die Gemälde, Fotos, Videos und Installationen, die jetzt in Umm El Fahem zu besichtigen sind, sprechen von Gewalt, Krieg, Not und unüberwindlichen Sperranlagen.

​​"Der Krieg in Gaza hat mich sehr traurig gemacht, ich wollte sogar die Kunst ganz aufgeben", sagt Nasrin Abu Baker, eine junge Künstlerin aus Umm El Fahem. Die Bilder von verletzten und getöteten Kindern gehen ihr nicht aus dem Kopf.

Sie hat ihre Installation "Babies" den jüngsten Opfern von Gaza gewidmet. Nasrins israelischer Kollege David Goss bezeichnet sich als dezidiert politischen Künstler und kritisiert die Regierung seines Landes. Er zeigt graubraunes Mauerwerk. Die Farben für seine beiden Bilder hat er mit Betonpartikeln vermischt – mit Beton, so sagt David, werde in Israel Politik gemacht.

Historisches Gedächtnis

Sven Kalden hat aus Berlin eine Videoprojektion mitgebracht. "Meine Arbeit hier heißt 'Occupation Museum Ramallah', es ist der Entwurf für einen Museumskomplex.

In Ramallah gibt es keinen Ort, der die Geschichte der Palästinenser und die israelische Besatzung dokumentiert." Der palästinensische Künstler Shareef Sarhan musste sein Video per Internet schicken. Er durfte, wie seine Kollegen in Ramallah, nicht zur Ausstellungseröffnung nach Israel ausreisen.

Sein Film "Stop, you are from Gaza" zeigt eine rasende Autofahrt, die abrupt an einem Metallgitterzaun endet. Ines Schaber hat in der Kongressbibliothek in Washington ein Foto von 1944 gefunden. Es zeigt das Treffen der "Arabischen Frauenunion" in Jerusalem. Die deutsche Künstlerin sucht nun nach näheren Informationen über diese Begegnung.

​​Spurensuche und historisches Gedächtnis sind dazu ihre Stichworte. Das Foto möchte sie gerne einem Museum in der Region zur Verfügung stellen. In einem Brief, adressiert an eine fiktive Teilnehmerin, wirft sie dazu Fragen auf.

Eine Provokation

Auf Fiktion, Irritation, vor allem aber Sarkasmus setzt Georg Klein mit seinem Projekt "Ramallah-Tours". Mitten in Umm El Fahem steht ein knallgelbes Taxi, so wie es sie zu hunderten an den Checkpoints auf palästinensischem Gebiet gibt.

Über eine Webseite kann man angeblich Fahrten nach Ramallah buchen – eine Provokation, denn die Grenze ist für Israelis wie Palästinenser praktisch unüberwindbar.

Für Georg Blochmann, den Leiter des Goethe-Instituts Tel Aviv, ist die Ausstellung nicht nur ein großer Erfolg, sondern auch Ausdruck eines wechselseitigen Lernprozesses aller Beteiligten. "Hier tut Kunst das, was sie tun soll: nämlich Hoffnung geben und die Möglichkeit einer neuen Welt aufzeigen."

Die Art Gallery in Umm El Fahem versucht, mit Workshops für Kinder diesen Lernprozess schon bei den Jüngsten anzuregen. Ein geradezu "abenteuerliches" Unterfangen, angesichts des zwiespältigen Verhältnisses der islamischen Kultur zur bildenden Kunst, meint Georg Blochmann und ist von der Initiative begeistert.

Erst kürzlich haben arabische und israelische Kinder sich hier gemeinsam mit dem Thema Mauer und Grenze beschäftigt und Steine bemalt. Das Goethe-Institut hat sie dabei unterstützt. Jetzt stehen die Steine auf dem Dach der Galerie.

Dem Galeriedirektor fällt es dennoch schwer, optimistisch zu bleiben. "Wir wollen so gerne eine Brücke bilden zwischen Israelis und Palästinensern", sagt er.

Dies sei aber unmöglich. "Statt Brücken haben wir Grenzen und Krieg". Said Abu Shakra und sein Galerieteam werden sich trotzdem weiter um den Brückenschlag bemühen.

Cornelia Rabitz

© Deutsche Welle 2009

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