Pilgerreise nach Pakistan

In den letzten Jahren hat sich Saudi-Arabien von seiner langjährigen Schutzmacht USA zunehmend entfremdet. Das Königshaus setzt auf einen neuen außenpolitischen Kurs und sieht in Pakistan einen geeigneten strategischen Partner als Gegengewicht zum türkischen und iranischen Einfluss in der Region. Von Mai Yamani

Von Mai Yamani

Die Differenzen zwischen Saudi-Arabien und den USA haben in jüngster Vergangenheit zugenommen – angefangen bei der amerikanischen Unterstützung des Sturzes von Hosni Mubarak in Ägypten und der anschließende Anerkennung der Regierung der Muslimbruderschaft bis hin zur jüngsten Übergangsvereinbarung über das iranische Atomprogramm.

Saudi-Arabiens wachsendes Misstrauen gegenüber den USA ist insofern beachtlich, zumal das Königreich, wann immer es sich einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sah, sich zu seinem Schutz auf eine externe Macht gestützt hatte. Doch wenn sich das saudische Königshaus nicht mehr wie gewohnt auf die Vereinigten Staaten verlassen kann, an wen sollte sich das Land wenden, um künftig ausreichende militärische Stärke Unterstützung zu erhalten?

Die Antwort ist Pakistan, auch wenn der überwiegende Teil der internationalen Staatengemeinschaft Pakistan als "failed state" begreift.

Pakistan hat den Interessen des Königreichs bereits zu einem frühen Zeitpunkt entsprochen und in schwierigen Zeiten Militär- und Sicherheitshilfe geleistet. Während der Islamischen Revolution im Iran 1979 etwa wurden rund 30.000 pakistanische Soldaten nach Saudi-Arabien entsandt. Diese Truppen blieben auf der arabischen Halbinsel bis Mitte der 1980er Jahre.

Dem saudischen Königshaus zu Diensten

Auch während des Golfkriegs von 1991 setzten die Saudis tausende pakistanischer Soldaten ein. Und Anfang 2014 besuchten Außenminister Saud al-Faisal und Kronprinz Salman Islamabad, um die Militärübereinkommen zwischen beiden Ländern zur gemeinsamen Rüstungsproduktion zu verlängern. Dieser Besuch schuf zugleich die Basis für den Dienst von 30.000 pakistanischen Soldaten und Militärberatern im saudischen Königreich.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan; Foto: picture-alliance/RIA Novosti/dpa
Recep Tayyip Erdoğan als Rivale im regionalen Machtpoker: Die Türkei wird als Konkurrentin um die Führungsmacht der sunnitischen Muslime betrachtet. Die Führung in Riad glaubt, der türkische Ministerpräsident verfolge "neo-osmanische" Ambitionen im nahen und Mittleren Osten.

Die saudischen Herrscher betrachten Pakistan (neben dem Iran und der Türkei) als einen von drei regionalen Machtfaktoren im Nahen Osten. Ein Bündnis mit dem schiitischen Iran – dem ideologischen Erzfeind des Königreichs, der selbst regionale hegemoniale Ambitionen verfolgt – ist ausgeschlossen. Die Türkei ihrerseits wird als Konkurrentin um die Führungsmacht der sunnitischen Muslime betrachtet – und dies nicht erst seit heute, sondern bereits seit der Zeit des Osmanischen Reiches.

So wird denn auch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan als Machtpolitiker beschrieben, der "neo-osmanische" Ambitionen verfolge, was ein Schlaglicht auf die Rivalität beider Staaten wirft. Es waren die Osmanen, die die beiden historischen saudisch-wahabitischen Staaten stürzten. Der erste derartige Staat (1745-1818) wurde von Ägyptens Mohammed Ali Pascha mit osmanischer Unterstützung zerstört; der zweite (1824-1891) wurde ebenfalls von den Osmanen besiegt.

Mit Pakistan dagegen verbindet das Königreich keine problematische Geschichte. Im Gegenteil: Die Saudis erwiesen sich gegenüber dem pakistanischen Staat als großzügiger Finanzier und Gastgeber von Ministerpräsident Nawaz Sharif während dessen langen Exils nach dem Sturz seiner Regierung durch einen Militärputsch im Jahr 1999. Bereits kurze Zeit nach der Unabhängigkeit Pakistans hatte Saudi-Arabien intensiv in das Land investiert. Da Pakistan 1947 auf religiöser Basis gegründet wurde, verwundert es nicht, dass seine Führung sich um die Unterstützung der "Quelle des Islams" – dem damals unter saudischer Herrschaft stehenden Mekka – bemühte. Das Königreich wiederum exportierte seine wahhabitischen Lehren nach Pakistan und heizte damit letztlich den islamischen Extremismus und die sektiererische Gewalt der Taliban an.

Investitionen in die "sunnitische Bombe"

Saudi-Arabien investierte zudem in Pakistans Atomwaffenprogramm, die sogenannte "sunnitische Bombe", indem es die Forschungen von A. Q. Khan, dem Vater der pakistanischen Atombombe, unmittelbar finanzierte. Die Hoffnungen des Königreichs, dass es direkt von Pakistans Nuklearkapazitäten profitieren würde, zerschlugen sich jedoch im Jahr 2003, als die USA von den saudischen Ambitionen für einen solchen Wissenstransfer erfuhren.

Pakistans Ministerpräsident Nawaz Sharif mit Vertretern des Militärs; Foto: Reuters
Rückendeckung für den 1999 abgesetzten Premier: "Die Saudis erwiesen sich gegenüber dem pakistanischen Staat als großzügiger Finanzier und Gastgeber von Ministerpräsident Nawaz Sharif während dessen langen Exils nach dem Sturz seiner Regierung im Jahr 1999", schreibt Mai Yamani.

Die von Pakistan über die Jahre ins Königreich entsandten Truppen wurden allerdings als allgemein als loyal wahrgenommen. Obwohl bis zu 30 Prozent der pakistanischen Armee Schiiten sind, akzeptieren die Saudis nur sunnitische Soldaten, und Pakistan hatte diese Kräfte gern als Söldner zur Verfügung gestellt.

Heute ist ein Teil des saudischen Plans, die Pakistani als Rückgrat einer neuen gemeinsamen Streitmacht des Golf-Kooperationsrates einzusetzen. Pakistanische Streitkräfte unter saudischem Kommando wurden bereits bei der Unterdrückung eines schiitischen Aufstandes in Bahrain 2011 eingesetzt, und jetzt wollen die Saudis eine stehende Truppe einrichten, um islamistische und schiitische Provokationen zu unterdrücken, wann und wo immer diese am Golf auftreten. Im Falle einer existenziellen Bedrohung in der Region, insbesondere einer Konfrontation mit dem Iran, würde Pakistan dem Königreich eine Form von "tödlichem Schutz" bieten, die ihm der Westen stets versagt hatte.

In welchem Umfang kann Pakistan die Sicherheit Saudi-Arabiens nun wirklich schützen, insbesondere im Falle eines Krieges gegen den Iran? Pakistan ist ein stark zersplittertes Land, in dem der Terrorismus aufblüht. Seinem Militär fehlen die Kapazitäten, um zur Verteidigung Saudi-Arabiens einzugreifen und zugleich nicht nur die Sicherheit im eigenen Lande, sondern auch die Bereitschaft für einen Krieg gegen Indien (eine Obsession der pakistanischen Generäle) aufrechtzuerhalten.

Fragwürdiger militärischer Pakt

Zudem könnte Pakistans beträchtliche schiitische Bevölkerung die Unzufriedenheit weiter schüren, sollte das Militär die Saudis in einem Krieg zwischen den Glaubensrichtungen unterstützen. Und die "Pakistanische Volkspartei" – die derzeit in der Opposition ist, aber noch immer eine mächtige nationale Kraft darstellt – teilt gemeinsame Interessen mit dem Iran.

Obwohl der strategische Wert engerer militärischer Beziehungen zu Pakistan hochgradig fragwürdig erscheint, hat Saudi-Arabien kaum eine andere Wahl. Tatsächlich ist der Kooperationsrat nach dem Rauswurf Qatars wegen dessen Unterstützung der Muslimbrüder und Omans freiwilligem Austritt aus der Gruppe im Begriff, zu zerfallen.

Dies heizt – zusammen mit dem sich vertiefenden Misstrauen gegenüber den USA – ein zunehmendes Gefühlt der Isolation an. Pakistan mag nicht dem Idealbild eines Verbündeten entsprechen, der einem auch im Falle einer existentiellen Bedrohung beisteht, doch für Saudi-Arabien ist das Bündnis eine Idee, deren Zeit offenbar gekommen ist.

© Project Syndicate 2014

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de