Lackmustest für die Demokratie

Die seit Januar 2007 herrschende Übergangsregierung in Bangladesch hat die Parlamentswahlen auf nächstes Jahr verschoben. Bis dahin will sie das Land von der grassierenden Korruption gereinigt haben. Sonja Ernst berichtet.

Die beiden Ex-Premierministerinnen Sheikh Hasina und Khaleda Zia; Foto: AP/Collage DW
Die beiden Ex-Premierministerinnen Sheikh Hasina und Khaleda Zia

​​Tausende Anhänger jubelten der Ex-Premierministerin Sheikh Hasina zu, als sie am Flughafen von Dhaka eintraf. Sie trommelten und warfen Rosenblätter. "Es ist mein Land, es ist mein Zuhause", sagte Sheikh Hasina. Eigentlich sollte es ein Schlussstrich werden – nun wurde ein großer Auftritt daraus.

Die Übergangsregierung wollte die beiden Ex-Premierministerinnen Sheikh Hasina und Khaleda Zia ins politische Exil schicken. 16 Jahre standen die beiden Erzfeindinnen abwechselnd an der Regierungsspitze Bangladeschs.

Doch das Einreiseverbot gegen Sheikh Hasina wurde aufgehoben. Und auch ihre Gegenspielerin Khaleda Zia ist noch im Lande. Die Kehrtwende brachte beiden Auftrieb, und so titelte The Daily Star "From Zero to Hero." Der Reformprozess muss nun trotz der beiden weitergehen.

Rivalität zweier Frauen

Im Januar waren die geplanten Parlamentswahlen aufgehoben worden. In den Wochen zuvor hatten sich Parteianhänger Straßenschlachten geliefert, Steine und Brandsätze waren geflogen. Es ging um Wahlmanipulation und Wahlboykott, falsche Wählerlisten tauchten auf.

Am 11. Januar wurde der Notstand ausgerufen. Seitdem ist die Stimmung ruhig, die Leute atmen auf und blutige Proteste und Generalstreiks blieben aus, die sonst die politische Kultur Bangladeschs prägen. Euphorie und Hoffnung machen sich breit, dass sich endlich etwas ändern könnte.

Die Leute wollen sich vor allem von der alten dynastischen Herrschaft beider 'Damen' befreien", so Professor Ataur Rahman, Politologe an der Dhaka Universität.

Dr. Fakhruddin Ahmed, Chef der Übergangsregierung in Bangladesch; Foto: DW
Dr. Fakhruddin Ahmed, Chef der Übergangsregierung in Bangladesch

​​Jahrelang bestimmten Rivalität und Hass zwischen Khaleda Zia und Sheikh Hasina die Politik Bangladeschs. Ihre Macht verdanken sie den politischen Dynastien, denen sie angehören. Anders ist dies kaum möglich in einem Land, in dem Frauenrechte nur wenig gelten.

Khaleda Zia (61) steht der "Bangladesh National Party" (BNP) vor. Sie ist die Witwe des 1981 ermordeten Militärgenerals und ehemaligen Präsidenten Bangladeschs. Nach seinem Tod wurde sie auf den politischen Schild ihres Mannes gehoben.

Ihre Gegenspielerin Sheikh Hasina (59) führt die "Awami League" (AL). Sie ist Tochter des Unabhängigkeitsführers und ersten Premiers, Sheikh Mujibur Rahman. Auch er und fast seine ganze Familie wurden bei einem Militärputsch 1975 getötet.

Kampf gegen Korruption

Beiden politischen Lagern gemeinsam sind Nepotismus und Korruption. Auf der Rangliste 2006 von Transparency International findet sich das Land einmal mehr ganz hinten – als eines der korruptesten weltweit.

Bangladesch ist eines der Armenhäuser der Welt und der Staat sorgt sich schlecht um seine 140 Millionen Menschen. Rund 40 Prozent leben in Armut. In den zahlreichen Textilfabriken schuften junge Frauen bis zu zwölf Stunden täglich, bis zu sieben Tage die Woche, für 20 Euro. Oft werden Gehälter nicht bezahlt, es gibt praktisch kein Arbeitsrecht, Vergewaltigung ist ein Mittel der Einschüchterung.

"Sheikh Hasina und Khaleda Zia haben den Menschen weder Wohlstand noch Recht und Ordnung gebracht. Mit der neuen Regierung verbindet sich die Hoffnung auf eine Zukunft Bangladeschs", sagt Rahman. Die Übergangsregierung unter Führung des Ökonoms Fakhruddin Ahmed muss nun viele Hoffnungen einlösen. Sie hat sich das Ende der Korruption auf ihre Fahnen geschrieben.

Tarique Rahman, Sohn von Khaleda Zia; Foto: DW
Tarique Rahman, Sohn der Ex-Premierministerin Khaleda Zia, wurde im März 2007 wegen Korruptionsverdacht verhaftet

​​"Seit Januar wurden rund 150 Politiker und Geschäftsleute festgenommen. Darunter auch die Drahtzieher der korrupten Machenschaften, wie der älteste Sohn von Khaleda Zia. Er war als politischer Thronfolger vorgesehen.

"Der Kampf gegen Korruption, insbesondere 'politische Korruption' wird die entscheidende Herausforderung für die Regierung", so Rahman. Die Justiz soll entpolitisiert und effizienter werden.

Doch, so Rahman weiter: "Falls die Strafprozesse nicht zügig stattfinden und es zu übermäßigen Verzögerungen kommt, kann die Situation kippen, was einen katastrophalen Rückschlag für die jetzige Situation von Recht und Ordnung bedeutet."

Zweifel am Militär

Die Übergangsregierung muss nicht nur das Versprechen einlösen, die Übel der Korruption zu beenden. Sie hat für 2008 freie und allgemeine Wahlen angekündigt: Der Lackmustest, ob sie an den Grundfesten der Demokratie festhält. Sie genießt das Vertrauen des Militärs, das federführend für die Verhängung des Notstands im Januar war.

Äußerungen des Armeechefs, eine "Wahldemokratie" sei für ein instabiles Land wie Bangladesch ungeeignet, ließen erstes Misstrauen aufkommen. Bangladesch hat bereits zwischen 1975 und 1990 wechselnde Militärdiktaturen erlebt.

Heute stellt die Armee Bangladeschs mit 30.000 Mann das größte Blauhelm-Kontingent der Vereinten Nationen. Damit verbunden sind Einfluss und hohe Gehälter der Generäle. Um ihr Ansehen nicht zu verspielen, müssen sie zeigen, wie sehr sie mit der Demokratie verhaftet sind.

Islamisten im Aufwind

Die neue Regierung muss sich auch der zunehmenden Islamisierung Bangladeschs stellen. Die fundamentalistische "Jamaat-e-Islami" gehörte der letzten Regierung unter Khaleda Zia und ihrer BNP an.

Vor dem Hintergrund der ausufernden Korruption und der wachsenden Armut präsentiert sich die "Jamaat-e-Islami" als "moralische Alternative". Religiöse Terrorgruppen gewinnen an Zulauf, die extreme Armut bietet den besten Nährboden dafür.

Zuletzt explodierten am 1. Mai zeitgleich drei Bomben in verschiedenen Bahnhöfen des Landes. Sie galten der muslimischen Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyyas, die Extremen als "unislamisch" gilt.

Rückzug des Nobelpreisträgers

Der Reformprozess Bangladeschs wird ohne Unterstützung der politischen Lager der BNP und der AL keine Chance haben. Das bekam auch der Nobelpreisträger Muhammad Yunus zu spüren. Der Bangladescher und Gründer des Mikrofinanz-Gedankens rief im Februar die Partei "Macht den Bürgern" ins Leben, die viel Resonanz und Zustimmung im In- und Ausland fand.

Doch dann fehlte es an tatkräftiger Unterstützung: Die Bevölkerung scheint bereit für einen Neuanfang, aber nicht die politische Klasse. "Mit wem soll ich ein starkes Team gründen?", so Yunus auf seiner Website. Vergangene Woche zog der Nobelpreisträger mit Bedauern sein politisches Engagement zurück.

Friedensnobelpreisträger des Jahres 2006 Muhammad Yunus; Foto: AP
Friedensnobelpreisträger des Jahres 2006 Muhammad Yunus

​​Auch Rahman sieht die Notwendigkeit, alle mit ins Boot zu holen. "Durch die Herausforderungen und den Imperativ einer neuen Politik wird sich die aktuelle Übergangsregierung umgestalten, sie könnte zu einer erweiterten Regierung werden, die die wichtigsten politischen Kräfte bündelt bis zu den Wahlen 2008", so Rahman.

In einem Weblog junger Bangladescher schrieb der Blogger AsifY Ende April: "Die Demokratie ist nicht eingestürzt, weil das Militär interveniert hat, sondern weil die 'demokratischen Akteure' sie eingerissen haben."

Welche Rolle die beiden politischen Galionsfiguren, Sheikh Hasina und Khaleda Zia, künftig spielen werden, ist noch offen. Am Montag jubelten ihre Anhänger Sheikh Hasina auf ihrem Weg bis zu ihrem Haus in der Innenstadt von Dhaka zu, von den Straßen und von den Dächern der Häuser. Sheikh Hasina forderte die Übergangsregierung auf, die Reformpläne auf den Tisch zu legen.

Die Übergangsregierung muss nun ihr Demokratieversprechen einlösen und mit dem Kampf gegen die Korruption darf kein neues "Bedienungssystem" entstehen.

Sonja Ernst

© Qantara.de 2007

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