Blindflug ins Ausgeliefertsein

In einem kürzlich erschienenen Bericht thematisiert "Human Rights Watch" die Situation ausländischer Hausmädchen im Libanon, der die alarmierenden Ergebnisse der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen von 2005 bestätigt. Einzelheiten von Mona Sarkis.

In einem kürzlich erschienenen Bericht thematisiert "Human Rights Watch" die Situation ausländischer Hausmädchen im Libanon, der die alarmierenden Ergebnisse der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen von 2005 bestätigt. Einzelheiten von Mona Sarkis.

Flugzeug in Beirut; Foto: AP
Ankunft in Beirut: "Sie landen hier, ohne die leiseste Ahnung zu haben, was sie erwartet", so Ghada Jabbour von der NGO "Kafa" ("Genug").

​​Ramla kommt aus Äthiopien. Seit März ist sie Hausmädchen in Beirut. Sonntags fährt sie mit "Madame", ihrer Arbeitgeberin, in die Kirche. Sie hat ein eigenes Zimmer, bekommt keine Schläge und dafür pünktlich ihr Gehalt. Die 28-Jährige führt ein nahezu paradiesisches Leben, wenn man die Studien der UN oder der HRW als repräsentativ für das Schicksal ausländischer Hausmädchen im Libanon nimmt.

Genau das aber ist das Problem: Wie viele der schätzungsweise bis zu 200.000 Frauen ausgebeutet, ausgehungert, eingesperrt, geschlagen, vergewaltigt und von ihren Arbeitgebern sadistisch gequält werden, ist unklar. Klar ist lediglich: Zahlreiche durchleben einen Alptraum und alle betroffenen Frauen sind gesetzlich ungeschützt.

Von der Hausarbeit zur Zwangsarbeit

"Sie werden aus ihren Dörfern in Flugzeuge gesetzt und landen hier, ohne die leiseste Ahnung zu haben, was sie erwartet", erzählt Ghada Jabbour von der NGO "Kafa" ("Genug"), die sich der Problematik annimmt. Die beginnt bereits bei dem auf zwei Jahre ausgestellten Vertrag. Er ist auf Arabisch, das die Mädchen nicht sprechen.

Gehalt, Art der Tätigkeit, Arbeits- und Freizeit- oder sonstige Rahmenbedingungen wie das eigene Zimmer sind nicht eingetragen. Am Flughafen werden sie von einem Sicherheitsbeamten und dem Arbeitgeber empfangen. Ersterer nimmt ihnen den Pass ab und übergibt ihn Letzterem, der für sie fortan gegenüber dem Staat bürgt.

"Man könnte auch sagen: der sie fortan besitzt", meint Jabbour und weist darauf hin, dass ein unzufriedener Arbeitgeber einen Wechsel von der Vermittlungsagentur verlangen kann. Umgekehrt gilt das nicht – was viele Mädchen nicht wissen. Wer zu fliehen versucht, ist illegal, weil ohne Papiere.

Die Opfer werden zu Tätern, inhaftiert und nach spätestens zwei Monaten deportiert. Gegen die Arbeitgeber wird meist keine Untersuchung eingeleitet. Wozu auch? Bis zum Gerichtsverfahren sind längst zwei Monate vergangen.

Najla Tabet Chahda, Direktorin des "Caritas Migrants Center" in Beirut, befindet sich in einer misslichen Lage: Die Caritas erhielt von der Regierung das Mandat für die ausländischen Frauen. Ein Mandat, dem die Institution nachkomme, wie die Direktorin betont.

Seit 2003 führe sie in Kooperation mit den Botschaften der Herkunftsländer eine Sensibilisierungskampagne im Libanon durch. Für die Frauen stelle sie Berater in ihren Landessprachen zur Verfügung, worüber alle informiert würden. Die Behauptungen, die Mädchen wüssten nichts von der Caritas oder könnten sich aufgrund der Sprachbarrieren nicht mitteilen, sind Chahda offensichtlich bekannt.

Weshalb die Frauen mitunter ihren einzigen Ausweg im Tod sehen – erst im vergangenen August erhängte sich eine Sri Lankesin am Balkongitter des Hauses ihres Arbeitgebers, im letzten November stürzte sich eine Äthiopierin aus dem vierten Stock in den Tod – erklärt Chahda so:

Schuld trage nicht immer nur der Arbeitgeber. Die Mädchen seien allein, fremd und wenn dann noch eine psychische Instabilität hinzu käme, häuften sich die Probleme. Viel hänge auch mit der mangelhaften Kommunikation zusammen.

Kein Lohn und keine rechtliche Gleichstellung

Doch Chahda nennt auch die 412 Problemfälle, die die Caritas in den letzten drei Jahren registriert hat. 264 Frauen wurden geprügelt. 125 erhielten keinen Lohn. 72 wurden sexuell missbraucht. 69 durchlitten verbale Gewalt. 41 bekamen nichts zu essen. 29 wurden Schläge angedroht. 20 mussten nach Vertragsende noch ein Jahr umsonst weiterarbeiten.

Dass dies überhaupt möglich ist, liegt an den Gesetzen. "Für die Frauen gilt nicht das inländische Arbeitsrecht, weil ihr Status der eines Dienstmädchens und nicht etwa der einer Arbeiterin ist", stellt Arbeitsminister Trad Hamade fest.

Der im November 2006 zurückgetretene Hizbollah-Vertreter bemühte sich während seiner Amtszeit um Änderungen – von exakten Arbeitsverträgen bis zu einer Privatversicherung, die auch Arbeitsunfälle abdeckt. Ebenso wollte er durchsetzen, dass die Frauen ihr Gehalt von Banken beziehen. In die Praxis umgesetzt wurde hiervon bislang jedoch nichts.

Die Gründe verortet er im Lobbyismus der rund 400 libanesischen Vermittlungsagenturen. Pro Vertrag bekämen sie mindestens 1.000 US-Dollar, bei Vertragsverlängerungen weitere 700. Die Arbeitgeber, die vom Taxifahrer bis zum Banker reichen, seien durchaus generös, wenngleich manche von ihnen den Monatslohn von 100 (Sri Lankesinnen) bis 300 US-Dollar (Philippininnen) dann im Nachhinein doch verweigern.

Mona Sarkis

© Qantara.de 2008

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