"Kreuzzug" gegen Dschihadisten

Der IS mag zwar dafür bekannt sein, Ausländer für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Doch gibt es auch religiöse Eiferer aus dem Westen die sich militärisch gegen das Pseudo-Kalifat der Dschihadisten wenden – wobei einige ihren Kampf als christliche Pflicht ansehen. Von Manar Ammar

Von Manar Ammar

Über die Gründe, die ausländische Kämpfer dazu bewegen, gegen den "Islamischen Staat" (IS) im Irak und in Syrien zu kämpfen, wird in den Medien wenig berichtet. Trotzdem ist es wichtig, die Ursachen hierfür genau zu beleuchten – insbesondere deshalb, weil die Anzahl der willigen Rekruten immer mehr steigt. Manchen Schätzungen zufolge sind momentan hunderte Ausländer an einem Krieg beteiligt, der hauptsächlich von Freiwilligen geführt wird.

Laut einer vorsichtigen Schätzung, die in einem kürzlich erschienenen Ermittlungsbericht von Bellingcat veröffentlicht wurde, geht man davon aus, dass etwa 180 Amerikaner in den Irak oder nach Syrien gereist sind, um den IS zu bekämpfen, darunter auch eine Frau. Andere Quellen sprechen von über 200 Freiwilligen. Laut dieser Studie kommt der höchste Anteil der amerikanischen Kämpfer aus Texas – etwa 16 Personen oder etwa 15 Prozent der untersuchten Gruppe. An zweiter Stelle rangiert Kalifornien mit acht Kämpfern.

Zur Realität des Krieges gehören auch die zahllosen Todesopfer: Ein 36-jähriger Mann aus Massachusetts, Keith Broomfield, wurde im vergangenen Juni vom US-Außenministerium für tot erklärt. Er hatte an der Seite kurdischer Truppen gegen den IS gekämpft. Broomfields Mutter erklärte gegenüber NBC-News, ihr Sohn sei mit der Überzeugung in den Krieg gezogen, es sei "Gottes Wille", dass er in Syrien gegen den IS kämpfe.

Auch Broomfields Mangel an militärischer Vorerfahrung ist nicht ungewöhnlich. Im Bericht ist die Rede davon, dass zehn (neun Prozent) der amerikanischen Kämpfer keine vorherige militärische Erfahrung hatten, während 73 (68 Prozent) von ihnen zuvor beim US-amerikanischen Militär gedient hatten. Über den militärischen Hintergrund der restlichen 25 Kämpfer (23 Prozent) lässt sich anhand der Datenlage keine Aussage treffen.

An vorderster Front

Dutzende von Amerikanern haben sich an die Kriegsfront begeben – in der Hoffnung, gemeinsam gegen das zu kämpfen, was einige politische Führer als "die gefährlichste terroristische Organisation" beschrieben haben, die die Welt je gesehen hat. Für Ryan Young aus Indianapolis, seit vier Jahren Veteran der US-Küstenwache, ging es darum, wieder die "Action" zu erleben, die ihn ursprünglich angezogen hatte. Dann allerdings wurde er von der Wirklichkeit seiner Erfahrungen eingeholt.

A Krudish sniper surveys the devastation of Kobani (photo: picture alliance/AP)
Kobani, site of some of the fiercest clashes against IS. "A lot of the Americans ... believed they were doing this for God and supporting their faith. It wasn't about helping people fight an enemy, it was about defeating the Muslims"

"Ich dachte wirklich, ich gehe ein bisschen kämpfen und werde wieder aktiv, aber als ich dort war, wurde es wirklich schwierig. Die Verwüstung, die ich dort sah, war schrecklich. Das hat mich erschüttert. Ich war wütend und wollte etwas tun, aber danach fühlte es sich nicht mehr richtig an", gab Young zu, der zu Hause Frau und Familie hat.

Nachdem er 2012 die Küstenwache verlassen hatte, arbeitete er in seiner Heimatstadt, als sich die Idee in seinem Kopf festsetzte, auf das Schlachtfeld zurückzukehren. Anfang dieses Jahres entschied sich Young dafür, in die Türkei zu gehen, um dort gemeinsam mit anderen Freiwilligen den Vormarsch des IS zu stoppen.

Er räumte ein, von den Untertönen einiger der Amerikaner, die er in der Türkei getroffen hatte, abgeschreckt worden zu sein. Anstatt gegen einen Feind zu kämpfen, sagte er, hätten sie die ganze Situation unter rein religiösen Gesichtspunkten betrachtet. "Viele der Amerikaner, die ich dort traf, hingen wirklich dieser 'Weltretter'-Idee an. Sie glaubten, sie täten dies für Gott und für ihren Glauben. Es ging ihnen nicht darum, anderen bei ihrem Kampf gegen einen Feind zu helfen, sondern darum, die Muslime zu besiegen. Dies war viele Jahre lang so, aber ich habe mich nie wirklich damit wohl gefühlt", fuhr er fort.

Young bekräftigte, er habe nie wirklich gekämpft, doch einige andere Ausländer seien sogar bis an die Front gezogen. Einige von ihnen sind in Särgen heimgekehrt. Aber Young ist nicht der Meinung, die Kämpfer seien geistig instabil gewesen, selbst diejenigen nicht, die sich als Teil eines Kreuzzuges verstanden. Er glaubt, die Kämpfer hätten "nur in der Ansicht festgesteckt, dies sei ihre Pflicht als Amerikaner und Christen".

Anti-muslimische Gefühle befeuert

Als Reaktion auf den Erfolg des IS während der letzten zwölf Monate haben Politiker in Washington D.C. das Feuer der anti-muslimischen Gefühle angefacht. Einige Staaten haben Gesetze erlassen, die jegliche Anwendung der Scharia, des islamischen Gesetzes, in ihren Gerichtssälen untersagten. Im Land gab es einen fast exponentiellen Anstieg der Angriffe auf Muslime. Dem FBI zufolge ist die Anzahl der Angriffe gegen Muslime gegenwärtig fünfmal höher als vor den Anschlägen vom 11. September 2001.

Christopher Ingraham kommentierte die Studie und die angespannte Situation im Land in der Washington Post folgendermaßen: "Die Tatsache, dass die Verbrechen gegen Muslime gegenüber dem Niveau von vor 9/11 immer noch hoch sind, wirft ein Schlaglicht darauf, dass wir auch an der 'religiösen Front' noch viel Arbeit vor uns haben".

Kurdish Pershmerga at Kirkuk in Iraq (photo: Getty Images)
Das Verhältnis der Peschmerga zur PKK und zur YPG ist traditionell angespannt. Trotzdem unterstützten nordirakische Kurden die YPG-Kämpfer im Kampf gegen den IS um die syrische Grenzstadt Kobane. Es gab zahlreiche Hinweise, wonach auch ausländische Kämpfer sich mit den Streitkräften der KRG zusammengeschlossen haben.

Nun scheint eine Handvoll Amerikaner sogar noch einen Schritt weiter gehen zu wollen: Young erklärte, die Kämpfer, die er getroffen hat, hätten "auch geglaubt, es sei Amerikas Mission, die Welt vor den Muslimen zu schützen".

Verwicklung des "Ersten Nordamerikanischen Expeditionskorps"

In einigen Medienberichten wird das "Erste nordamerikanische Expeditionskorps" (1stNAEF) zitiert, das auf seiner Webseite von sich behauptet, es sei "von Sicherheits- und Unternehmensprofis gegründet worden, die der Ineffektivität des Humanismus, der Katastrophenhilfe und den Stabilisierungsbemühungen" in aller Welt überdrüssig seien, und die deshalb ausländische Kämpfer dabei unterstützten, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen.

Der Mediensprecher der Organisation, ein Veteran der kanadischen Streitkräfte, der anonym bleiben wollte, erklärte, er würde seine Zeit nur zur Verfügung stellen, „wenn es möglich ist“. Er wollte nicht über die Rolle sprechen, die das 1stNAEF dabei spielt, Ausländer bei der Kontaktaufnahme zu den „Volksverteidigungseinheiten Kurdistans“ (YPG) zu unterstützen, obwohl einige Berichte – darunter auch solche von CNN – die zentrale Rolle der 1stNAEF bei der betont haben.

Der Medienvertreter erläuterte, dass zu den Operationen des 1stNAEF "Analysen zu Kapazität, Systemen, Bedrohungen, Risiken und Verletzlichkeit en(TRV) sowie die Verbindung und Koordination mit Vertretern der Peschmerga gehörten. Neben umfassenden regionalen Analysen bilden diese Operationen die Grundlage unser Planungs- und Koordinationsphasen".

Die Peschmerga der KRG stellen die halbautonome kurdische Regierung von Irak-Kurdistan. Sie sind eine der führenden Gruppen im Kampf gegen den Vormarsch des IS. Es gab zahlreiche Hinweise, wonach ausländische Kämpfer sich mit den Streitkräften der KRG zusammengeschlossen hätten.

Was Young während seiner kurzen Zeit in der Nähe der Front erlebte, ging über die bloße Unterstützung gegen einen Feind hinaus: Bei zumindest einigen der Fremden, darunter auch den Amerikanern, grenzte das Engagement schon fast an Religiosität.

"Ich glaube, es ist den Medien zuzuschreiben, dass viele sich dort aufhielten", so Young. "Allzu oft wird die Sache so dargestellt, als handle es sich um einen Kampf zwischen ihnen und uns. Und das hat mich sowie viele andere wirklich angesprochen. Und das war auch der Grund dafür, warum ich letztlich dorthin ging. Aber am Ende habe ich daraus viel gelernt und erkannt, dass es falsch ist, zum Kämpfen irgendwo hinzuziehen, wo ich nicht hin gehöre."

Auch wenn Young seinen Kampfeinsatz nicht direkt als Kreuzzug bezeichnete, so räumte er doch ein, dass es viele an der Front gegen den IS ganz anders sehen. "Sie betrachten den Islam und die Muslime als die eigentlichen Feinde. Und das ist wirklich beängstigend."

Manar Ammar

© Qantara.de 2015

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff