Eriwan – Berlin: Netzwerke der Kunst

Von "Schnarch-Performance" im Auto bis zu Utopien einer besseren Welt – was eine Armenierin beim Kulturmanagement-Training des Goethe-Instituts erleben kann, klingt mitunter ungewöhnlich. Aya Bach berichtet.

Von Aya Bach

Die Armenierin Eva und Schottin Catriona bei der gemeinsamen Arbeit am Computer; Foto: DW
Fortbildung für Kulturmanager: Das Programm des Goethe-Instituts besteht aus einem Theorieteil sowie praktischer Mitarbeit an einem Kulturprojekt in Deutschland. Zielgruppe sind Mitarbeiter der Kulturszene in Zentralasien und Osteuropa.

​​Neuerdings hat Eva Khachatryan viel mit penetrantem Schnarchen zu tun. Denn ein geräuschvoll schlafendes Pärchen ist ihr ständiger Begleiter geworden. Es ist Teil einer raumfüllenden Videoinstallation, die gerade bei der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) zu sehen ist - ein Roadmovie, das ironisch auf die USA blickt: von unendlichen Highway-Panoramen bis zu finsteren nächtlichen Motels. Hier geht Eva Khachatryan (33) aus Eriwan nun ein und aus. Mit zeitgenössischer Kunst ist sie vertraut. In ihren zehn Berufsjahren hat sie schon etliche Ausstellungen kuratiert – zu Hause, aber auch in Städten wie Wien oder Basel. Auch in Berlin hat sie schon öfter gearbeitet und freut sich, wieder hier sein zu können. "Berlin ist ein Zentrum der zeitgenössischen Kunst", sagt sie, "darum war es mir sehr wichtig, hierher zu kommen – nicht nur wegen der Theorie, sondern auch wegen der Praxis, die ich hier in der NGBK bekomme". Damit meint sie die Bausteine ihres Trainings, das vom Goethe-Institut für Kulturmanager aus Zentralasien und Osteuropa ausgerichtet wird. Die Fortbildung in Deutschland umfasst einen Monat Theorie und einen Monat praktische Arbeit an einer deutschen Kulturinstitution. Im Anschluss muss dann jeder Teilnehmer im eigenen Land ein Projekt realisieren, das mit dem Praxisteil in Deutschland verknüpft ist.

Abgedreht: spontanes Roadmovie

Eva und Catriona vor dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin; Foto: DW
Kunstvermittlung mal anders: NGBK-Mitarbeiterin Catriona (r.) und Eva (l.) nehmen Ausstellungsbesucher mit auf eine Autofahrt durch Berlin und drehen ein spontanes Roadmovie.

​​

Darum setzt sich Eva heute mit Catriona Shaw ins Auto und kurvt mit ihr durch die Berlin. Die junge Schottin ist bei der NGBK zuständig für Kunstvermittlung – und betreibt das auf ungewöhnlich kreative Art. Statt den Besuchern der USA-Ausstellung trockene Führungen zu verpassen, kutschiert sie mit ihnen durch die Stadt und sorgt dafür, dass alle zusammen ein eigenes Roadmovie inszenieren. Da wird auf den Spuren der Amerikaner in Berlin gefilmt, da werden Texte aus der Ausstellung mit verteilten Rollen gelesen, Lieder gesungen – und manchmal sogar kollektiv geschnarcht. Und dann herzlich gelacht. Plötzlich entsteht eine eigene Performance, die die Besucher wahrscheinlich näher zur Kunst bringt als jeder theoretische Vortrag. Eva Khatchatryan ist mit Begeisterung dabei, filmt und liest und singt und schnarcht, was das Zeug hält. Und lacht sich schlapp – zusammen mit Catriona. Trotzdem ist die launige Fahrt für Eva Teil ihres Arbeitsprogramms. Denn neben ihrer Arbeit als Kuratorin ist sie auch selbst in der Kunstvermittlung aktiv und sucht immer wieder nach attraktiven Konzepten. Darum überlegt sie nun, ob sie nicht Catriona nach Eriwan einladen könnte. So etwas Abgefahrenes, glaubt sie, käme gut an. "Vor allem junge Leute fänden das toll! Wir würden aber ein ganz anderes Auto nehmen, eins aus sowjetischen Zeiten, ganz simpel, ohne Fenster hinten! Das wäre mal was Anderes in unserem postsowjetischen Land!"

Enthusiasmus für die Kunst

Eva in der NGBK-Ausstellung 'Snoring in the USA'; Foto: NGBK
Eva Khachatryan aus Eriwan in Armenien hat bereits langjährige Erfahrung als Kuratorin und Kunstvermittlerin. Mit den bei der NGBK gewonnenen Ideen möchte sie in ihrer Heimat neue Projekte anstoßen.

​​

Der Hunger nach Innovation in der Kunst-Ausbildung ist groß in Armenien, erzählt Eva. An den Hochschulen gibt es keinerlei Studiengänge für zeitgenössische Kunst; Klassen für Neue Medien, Video, selbst Fotografie existieren nicht. Wer aktuelle Kunst macht, ist mehr oder weniger Autodidakt. Umso stärker ist der Wille in der Szene der zeitgenössischen Künstler, etwas zu verändern. "Alle, die in Armenien in diesem Bereich arbeiten, sind völlig enthusiastisch", sagt Eva. "Ich würde auch niemals sagen, das ist mein Job. Das ist mein Leben! Und nicht nur für mich, sondern für all meine Kollegen und Freunde aus der Szene!" Eva arbeitet bei einer Einrichtung namens "Suburb" in einem Vorort Eriwans. Sie ist angedockt an eine Kunstschule und hat noch informellen Charakter - wie so viele junge Initiativen im Land. Sie alle sind nun dabei, sich zu vernetzen und suchen den Austausch mit vergleichbaren Einrichtungen im Ausland. Einige davon werden demnächst nach Berlin zur NGBK kommen: "Other possible Worlds" ("Andere mögliche Welten") heißt das Projekt, das Ausstellung und Diskussionsforum zugleich sein wird und neue Modelle für Kultur und Gesellschaft entwickeln will.

Kunst, Politik und Veränderung

Eva vor der NGBK in Berlin; Foto: DW
Zeitgenössische Kunst, wie sie die NGBK vermittelt, hat in Armenien häufig politischen Charakter. Eva hofft darauf, mit ihrem Einsatz Veränderungen in der armenischen Gesellschaft bewirken zu können.

​​

Das ist genau das, was Eva sucht – und sie ist begeistert, dass auch die russische Gruppe Chto Delat ("Was tun?") kommt, eine Vereinigung von Künstlern und Intellektuellen, die Kunst mit politischer Theorie und Aktion verbinden. Eva hat schon viel von ihnen gehört und gelesen. Nun brennt sie darauf, den Kontakt aus Berlin zu nutzen, um Chto Delat nach Eriwan zu bringen. "Mir ist das sehr wichtig. Denn Armenien war auch ein Teil der Sowjetunion, und ich glaube, die können vieles mit uns teilen. " Die Chancen dafür, dass das gelingt, stehen nicht schlecht. Denn Eva wird bald in Eriwan ein eigenes Projekt kuratieren, das direkt an den Berlin-Aufenthalt anknüpft: "Other possible worlds" ist als Langzeit-Unternehmen angelegt, das sich an anderen Orten weiterentwickeln soll. Das Thema könnte passender nicht sein, denn die Künstler in Armenien sehnen sich dringend nach anderen möglichen Welten in ihrem Land, sie sind treibende Kraft einer breiten politischen Bewegung. Mangelnde Achtung der Menschenrechte, politische Gefangene, niedrige Löhne, Korruption - die Liste dessen, was sie kritisieren, ist lang. "Wir sind auch Patrioten", konstatiert Eva nachdrücklich, "Die Situation bei uns ist ziemlich schlimm. Ich hoffe sehr, dass wir schließlich ein paar positive Veränderungen in unserem Land hinkriegen-"

Aya Bach

© Deutsche Welle 2011