Kolonialisten im eigenen Land

Die Kommunistische Partei Chinas reagiert stets mit Gewalt auf die Autonomiebestrebungen der muslimischen Minderheit der Uiguren - die strategisch wichtige Lage der Provinzen ist nur einer der Gründe dafür. Einzelheiten von Kai Strittmatter

Die Kommunistische Partei reagiert stets mit Gewalt auf die Autonomiebestrebungen der muslimischen Minderheit der Uiguren - die strategisch wichtige Lage der Provinzen ist nur einer der Gründe dafür. Einzelheiten von Kai Strittmatter

Uigurische Frau demonstriert auf den Straßen von Urumqi in der Provinz Xinjiang; Foto: AP
Zorn über die Zentralregierung in Peking: Die uigurische Minderheit fühlt sich von China gesellschaftlich ausgegrenzt und politisch unterdrückt.

​​ China ist ein Vielvölkerstaat, das Land selbst erkennt 55 ethnische Minderheiten an. Doch anders als in der ehemaligen Sowjetunion machen diese gerade mal acht Prozent der Bevölkerung aus.

Die Han-Chinesen stellen in fast allen Provinzen die erdrückende Mehrheit - außer in Tibet und in Xinjiang. Doch auch dort haben Chinesen die Macht fest im Griff. "Autonom" sind diese Regionen nur dem Namen nach.

Die Gouverneure dort mögen Tibeter oder Uiguren sein, die Parteisekretäre aber sind immer Han-Chinesen, und sie haben das Sagen. In den Schulen wird den Kindern die "nationale Einheit" eingebläut.

Ethnische Identität als Karneval

Die Zurschaustellung ethnischer Identität duldet Peking nur als Karneval: Beim Nationalen Volkskongress zum Beispiel wird es von den Abgeordneten aus Lhasa oder Urumqi geradezu erwartet, dass sie in farbenfroher Tracht auflaufen, um als Jubeltibeter und Klatschuiguren den Parteiführern ihre Huldigung zu erweisen.

Karte der Unruhe-Provinz Xinjiang; AP/Fotomontage
Urumqi, die Hauptstadt der westchinesischen Provinz Xinjiang, steht im Mittelpunkt der jüngsten uigurischen Proteste gegen die chinesische Zentralmacht.

​​ Nach blutigen Unruhen stellt sich immer wieder die eine Frage: Warum hat die KP solche Probleme mit wirklicher Autonomie? Warum fällt ihr als Reaktion immer nur Gewalt ein? Zum einen lässt sich das mit dem politischen System erklären. China ist eine Einparteien-Diktatur.

Wie alle Diktaturen versucht das System, alle Macht im Zentrum zu vereinen, und reagiert paranoid auf jede vermeintliche Herausforderung. Die KP wünscht auch unter Han-Chinesen keinen Pluralismus.

"Die natürliche Folge des fehlenden Respekts vor den Rechten des Individuums ist die Respektlosigkeit vor den Rechten der Minderheiten", schrieb 2008, nach der Gewalt in Tibet, eine chinesische Bloggerin.

Politik der Assimilation

Bei Tibetern und Uiguren kommt hinzu: Beide Völker sind in der Religion verwurzelt, im Buddhismus die einen, im Islam die anderen. Vom Gebet zur "illegalen religiösen Aktivität" aber ist es in China nur ein kleiner Schritt. Und Letztere ist für die Behörden oft synonym mit "Seperatismus" und "Terrorismus".

Auch der Han-Chauvinismus ist eine Erklärung für das, was nun geschieht. Chinesen hielten ihr Land immer für das Zentrum der Zivilisation und fanden es nur natürlich, dass selbst militärisch stärkere Eroberer - Mongolen und Mandschuren zum Beispiel - von ihrer überlegenen Kultur geschluckt und assimiliert wurden.

Auch heute gelten vielen Chinesen Völker wie Tibeter und Uiguren als rückständig, schmutzig, abergläubig und undankbar. Das führt zu einer "kolonialen Attitüde", wie sie der chinesische Autor Wang Lixiong in seinem Buch über das "Xinjiang-Problem" feststellt: einem System, das nichts dabei findet, wenn herbeiströmende Han-Siedler die besseren Jobs und die besseren Wohnungen zugeschanzt bekommen, während gleichzeitig die Rohstoffreichtümer von Xinjiang in den Westen abtransportiert werden.

Nationalismus und Chauvinismus

Rebiya Kadeer; Foto: AP
Die Regierung in Peking wirft der im Exil lebenden Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses, Rebiya Kadeer, vor, die jüngsten Aufstände angezettelt zu haben.

​​ Angehörige von Minderheiten klagen seit Jahren, dass mit dem Anheizen eines großchinesischen Nationalismus durch die KP auch der Han-Chauvinismus spürbar zunehme.

Die Uiguren beklagen als jüngsten Frevel den Abriss der Altstadt von Kaschgar. Die Chinesen nennen es "Stadterneuerung", aber es ist kein Geheimnis, dass für Polizei und Armee die Altstadt zu mühsam zu überwachen war.

Eine weitere Erklärung für die Reaktion der KP ist die strategische Lage der Provinzen: Tibet und Xinjiang erstrecken sich über riesige Gebiete an Chinas Flanken. Das chinesische Reich hat diese Gebiete einst zu seinem eigenen Schutz besetzt, und die Regierung heute glaubt aus dem gleichen Grund, dort nicht die geringste Schwäche zeigen zu dürfen.

Auch deshalb schickt Peking Siedler dorthin: um die Han-Chinesen zur Mehrheit zu machen. In Xinjiang, wo Han- Chinesen 1950 nur fünf Prozent stellten, sind es heute schon 45 Prozent.

Hinzu kommt die Angst Pekings vor einer Wirtschaftskrise. Und die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua befürchtete unlängst, 2009 könne das Jahr der "Widersprüche und Konflikte" überall im Land werden.

Kai Strittmatter

© Süddeutsche Zeitung 2009

Qantara.de

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