Diktator oder Nationalheld?

Für Menschenrechtler war der indonesische Präsident Suharto ein rücksichtsloser Diktator, für viele Indonesier steht er für den wirtschaftlichen Aufschwung. Zwei Jahre nach dem Tod des Langzeitherrschers setzt im Land die Aufarbeitung ein. Von Jochen Buchsteiner

Suhartos Staatsbegräbnis in Zentral-Java; Foto: AP/Irwin Fedriansyiah
Tausend Tage nach dem Tod des langjährigen Herrschers Haji Mohamed Suharto beginnt die Aufarbeitung seines umstrittenen Regimes.

​​ Vor tausend Tagen starb der langjährige Herrscher Suharto, und weil die Javaner zahlenverliebt und abergläubisch sind, arrangierten die Hinterbliebenen am vergangenen Freitag eine Zeremonie.

Eine Marmor-Krone, mit der das Mausoleum geschmückt werden sollte, glitt dem Träger dabei aus der Hand und fiel zu Boden. Doch dank des weichen Teppichs blieb sie ganz. Nun sind Indonesiens Zeichendeuter verunsichert: Steht das Gedenken an Suharto unter einem schlechten oder unter einem guten Stern?

Diese Frage wird derzeit so ähnlich auch auf der politischen Ebene diskutiert. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren arbeitet Indonesien das Wirken seines Dauerherrschers auf.

Angestoßen wurde die Debatte von einem Antrag, den verstorbenen Autokraten in das Pantheon der "Nationalhelden" aufzunehmen. Vorgeschlagen hatten dies Lokalpolitiker aus dem Distrikt, in dem Suharto geboren und begraben wurde. Entschieden werden muss es von einem Gremium im Sozialministerium, dem eine Liste mit zehn Kandidaten vorliegt.

Vielschichtiges Vermächtnis

Viele Namen sind unumstritten, darunter mehrere Unabhängigkeitskämpfer oder auch der frühere Präsident Abdurrahman Wahid ("Gus Dur"), der bis zu seinem Tod im vergangenen Dezember die überragende Stimme des liberalen Islam gewesen war. Doch das Vermächtnis Suhartos, der das Land 32 Jahre lang politisch prägte, ist vielschichtiger.

Menschenrechtsaktivisten sehen ihn als korrupten Diktator, der die Öffentlichkeit manipulierte, ein Pogrom gegen Kommunisten anzettelte und seine Kritiker mundtot machte. Erst mit dem Rückenwind der "Asien-Krise", die Indonesiens Wirtschaft schwer zugesetzt hatte, gelang es der Reform-Bewegung, den Diktator 1998 zum Rücktritt bewegen.

Weihnachtsbaum aus 850.000 LEGO-Steinen in der Senayan City Shopping Mall in Jakarta; Foto: AP
Suharto ist für viele der "Vater der Entwicklung" und des wirtschaftlichen Aufschwungs.

​​ Viele Indonesier blicken mit wachsendem Abstand milder auf ihren früheren Herrscher, der fast immer lächelte. Auf dem Land, wo Suhartos ehemalige Staatspartei Golkar stark verankert ist, wird er weiterhin als "Vater der Entwicklung" verehrt.

Auch in den Städten, zuweilen selbst unter jungen, freiheitsliebenden Indonesiern, ist Wohlwollen zu hören. Suhartos eiserne Faust, heißt es, hätte dem Land Stabilität gegeben und nicht zuletzt das Erstarken der Islamisten verhindert, die seit der Einführung der Demokratie von den neuen Freiheiten profitieren.

Fremdeln mit der Demokratie

Die Diskussion spiegelt tiefer sitzende Unsicherheiten gegenüber der immer noch gewöhnungsbedürftigen Demokratie wider. Trotz steigenden Wohlstands wächst der Verdruss über das korrupte Gebaren der Institutionen. Nach den Strafverfolgungsbehörden ist vor allem das – mit weitreichenden Rechten ausgestattete – Parlament in die Kritik gerückt. Übersehen wird dabei gelegentlich, dass die Korruption nicht in jedem Fall auf eine schwindende Moral zurückzuführen ist. Vetternwirtschaft gab es immer, wird aber erst jetzt, mit Hilfe einer investigativen freien Presse aufgedeckt.

Gleichwohl unternimmt das Parlament wenig, um die Bedenken zu zerstreuen. Seit dem Beginn der Legislaturperiode vor einem Jahr hat es erst sieben Gesetze verabschiedet, die meisten davon in eigener Sache. Die Abgeordneten wollen sich ein neues, luxuriöses Gebäude genehmigen und Sonder-Fonds auflegen, die ihnen persönlich zugute kommen.

Protestkundgebung gegen die Regierung in Jakarta; Foto: AP
"Trotz steigenden Wohlstands wächst der Verdruss über das korrupte Gebaren der Institutionen", schreibt Jochen Buchsteiner.

​​ Ins Visier geraten sind auch die Reisespesen von mehr als zweitausend Euro pro Tag. Vor dem Abflug des "Ethik-Ausschusses" nach Athen – er studiert dort gerade nach eigener Auskunft die "Ethik des griechischen Parlaments" – belagerten Demonstranten den Flughafen in Jakarta.

Laut "Transparency International" ist das Parlament die korrupteste Institution des Landes. Eingeweihte berichten von käuflichen Entscheidungen und einem Desinteresse an Gesetzgebungsinhalten, die nichts mit finanziellen Investitionen zu tun haben. Als "Schwarzmarkt politischer Transaktionen" apostrophiert der Politikwissenschaftler Rocky Gerung das Parlament in Jakarta. Die Menschen vertrauten ihm nicht mehr.

Aber noch scheint die Kritik weder in Systemverdruss, noch in Geschichtsvergessenheit zu münden.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts LSI bezeichneten in der vergangenen Woche siebzig Prozent der Befragten – mehr als je zuvor – die Demokratie als beste Staatsform für Indonesien. Und eine Mehrheit führte die aktuellen Schwierigkeiten, vor allem die Korruption, auf das politische Erbe Suhartos zurück.

Jochen Buchsteiner

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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