Ein klarer Blick auf die Tragödie des Terrors

Der israelische Autor Assaf Gavron erzählt in seinem dritten Roman die Geschichte eines Israelis, der innerhalb kürzester Zeit drei Attentate überlebt. Gleichzeitig schildert "Ein schönes Attentat" auch das Leben eines radikalen Palästinensers. Eine atemberaubende Parallelmontage, findet Volker Kaminski.

Von Volker Kaminski

​​In Assaf Gavrons Roman geht es um Zeit. Zeit, die wir brauchen, um zu telefonieren, Auto zu fahren, zu essen, fern zu sehen. Da unser Leben nur eine begrenzte Zeitspanne umfasst, ist jede Minute kostbar, wir sollten möglichst viele Stunden, Minuten, Sekunden unnütz verschwendeter Zeit einsparen. Daran arbeitet Eitan Einoch, Mitarbeiter der Firma "Time's Arrow", einem Start-Up-Unternehmen in Tel Aviv, das Software für Zeitersparnis anbietet. "Wir leben in einer Welt, in der jede Sekunde, sogar jede Zehntelsekunde Geld wert ist", lautet die Überzeugung seines Chefs. Doch was – so muss sich Einoch im Verlauf des Romans fragen – bedeutet Zeit in einer grausamen Welt, in der Attentate verübt werden, bei denen ein Menschenleben innerhalb eines Wimpernschlags ausgelöscht wird?

Eine Geschichte von Opfern und Tätern

Drei brutale Anschläge palästinensischer Extremisten hat Einoch überlebt. Doch obwohl er fast unverletzt blieb, ist sein Leben zerstört. Die Beziehung mit Dutschy, seiner Lebensgefährtin, kriselt und zerbricht schließlich. Durch die Attentate ändert sich Einoch, er kann sicht nicht mehr konzentrieren, ist traumatisiert, muss immer weitere persönliche Schicksalsschläge hinnehmen und wird absurderweise als Überlebender der Anschläge zum Medienstar. Diese Geschichte wäre allein schon Stoff genug für einen spannenden Roman. Doch Assaf Gavron, der 1968 in Jerusalem geboren wurde, drei Romane und einen Erzählband veröffentlicht hat und in Israel ein Bestsellerautor ist, beschränkt sich nicht auf die Darstellung der israelischen Sicht der Dinge. Parallel zu Einochs Erzählung kommt der im Koma liegende Attentäter Fahmi zu Wort. Der Palästinenser stammt aus einem Lager in der Westbank.

Eigentlich ist Fahmi ein vernünftiger junger Mann, doch auch sein Leben ist durch die widrigen Umstände ruiniert. Durch seinen älteren Bruder Bilal, einem glühenden Fanatiker und überzeugten Gegner der israelischen Besatzer, wurde der sanfte Fahmi zur lebenden Bombe. Wie sich diese beiden miteinander verfeindeten Welten langsam aufeinander zu bewegen, ist packend erzählt: Einochs unaufhaltsame persönliche Demontage, sein zweifelhafter Ruhm als Symbol des israelischen Widerstands gegen den arabischen Terror – und demgegenüber Fahmis zerrissenes Leben als ohnmächtiger Lagerbewohner, seine Zweifel am bewaffneten Widerstand, seine Versuche, der Umklammerung seines terroristischen und bis ins Mark fanatisierten Bruders zu entkommen – diese Parallelmontage ist von der ersten Seite an atemberaubend.

Eine ausgewogene Darstellung

​​Gavron lässt uns in eine Welt der Gewalt blicken, die wir so nicht kennen, er zeigt uns anhand glaubhaft entwickelter Charaktere die Tragödie des Terrors, welcher erzeugt wird durch die Arroganz israelischer Soldaten, die die Bewohner der arabischen Gebiete schikanieren, aber auch durch die fundamentalistische Verwirrung, den Hass der Lagerbewohner selbst. Gavron hat ganz eigene Worte und exakte Bilder, um die Emotionen auf beiden Seiten zu verdeutlichen. Es erschüttert den Leser mitzuerleben, wie sich junge Männer in Selbstmordattentäter verwandeln, sich am Tag ihres Attentats vorbereiten, rasiert, gewaschen und frisch eingekleidet mit einem Sprengstoffgürtel am Leib ins Auto steigen, um sich auf ihre kurze Reise ins vermeintliche Paradies zu machen.

Verdrängung des Terrors

Die überzeugendste Figur ist Einoch, das Krokodil, das alle Anschläge überlebt, doch miterleben muss, wie andere ihr Leben lassen. Er kann sich nicht von diesen Geschehnissen lösen, beginnt nach Spuren zu suchen, die die Getöteten hinterlassen haben, versucht detektivisch deren Geheimnisse herauszufinden, während das Leben um ihn herum weitergeht, die Menschen den alltäglichen Terror verdrängen, in Quizsendungen die Gewalt herunterspielen, Terrorwetten abschließen und sogar über Anschläge spotten, bei denen "nur" zwei Tote zu beklagen waren. Es gibt hinreißend erzählte Passagen, eine davon ist der Moment, in dem Einoch auf Informationen stößt, die Gueta, ein Anschlagsopfer, auf seinem Taschencomputer hinterlassen hat. Einoch beginnt nachzuforschen, was Gueta an dem Tag seines Todes in Tel Aviv gemacht hat. Er kann die Zeit nicht anhalten, jagt ihr weiter hinterher, obwohl er längst weiß, dass nur derjenige wirklich lebt, der die Zeit vorübergehend anhält, wie in den seltenen Momenten der Liebe. Einoch rast auf das Ende zu, an dem es zu einer gefährlichen Begegnung mit Fahmi kommt – er merkt zu spät, dass Fahmi, der ihm streckenweise bei der Recherche geholfen hat, auf ihn angesetzt ist. "Ein schönes Attentat" ist ein spannender Roman, voll erschütternder Konflikte und anrührender, bewegender Momente. Unbedingt lesenswert.

Volker Kaminski

© Qantara.de 2008

Assaf Gavron: Ein schönes Attentat. Aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner. Luchterhand Literaturverlag, München 2008. 352 Seiten.