Wer kennt die Wahrheit?

Auch in diesem Jahr konnte ein iranischer Film die Berlinale-Jury überzeugen. Asghar Farhadis spannendes Gesellschaftsdrama "About Elly" wurde mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie ausgezeichnet. Ariana Mirza hat den Film gesehen.

Seit Jahren gelten iranische Filme als Geheimtipp bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin. Auch diesmal konnte eine iranische Produktion die Berlinale-Jury überzeugen. Asghar Farhadis spannendes Gesellschaftsdrama "About Elly" wurde mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie ausgezeichnet. Von Ariana Mirza

Asghar Farhadi; Foto: dpa
Preisgekrönter Film: Der Silberne Bär für die beste Regie ging auf der Berlinale 2009 an den iranischen Regisseur Asghar Farhadi

​​"About Elly" ist ein Verwirrspiel um Verdacht und Verleumdung, das Farhadi grandios inszeniert. Die Geschichte beginnt ebenso harmlos wie hoffnungsvoll: Eine Gruppe von Teheraner Studienfreunden startet mit ihren Familien zu einem Wochenendausflug ans Meer.

Mit von der Partie sind auch zwei Singles. Der in Europa lebende Ahmad hat soeben eine gescheiterte Ehe mit einer Deutschen hinter sich und ist nun auf der Suche nach einer iranischen Frau.

Über die 20-jährige Elly wissen die Ausflügler nur, dass sie als Erzieherin arbeitet. Die junge Frau wurde überraschend von der umtriebigen Sepideh eingeladen. Sepideh möchte Elly, die sie als liebevolle Betreuerin ihrer Kinder schätzt, mit Ahmad verkuppeln.

Abkehr von der Wahrheit

Es ist zunächst eine unspektakuläre, lebensnahe Geschichte, die jedoch zunehmend dramatische Züge entwickelt und in deren Verlauf die Protagonisten ihre persönliche Integrität verlieren. Einer nach dem anderen verstrickt sich in ein Netz aus Mutmaßungen und Schutzbehauptungen – bis die Grenze zur Lüge überschritten wird.

​​ Als letzte der kleinen Gruppe wird die tatkräftige Sepideh dieser Dynamik folgen. Doch mit der Abkehr von der Wahrheit geht für sie auch der Verlust von Lebensfreude und Selbstachtung einher.

Trotz aller gesellschaftlichen Bezüge zur Situation im Iran besitzt Farhadis Film eine universelle Dimension. "Ich zeige, wie Menschen sich in einer schwierigen Situation verhalten", sagt der 36-jährige Regisseur, der auch das Drehbuch für "About Elly" verfasste. "Die Geschichte könnte auch an einem anderen Ort spielen, doch nicht zu einer anderen Zeit."

Keine plakative Botschaften

Der Gegenwartsbezug der Handlung, auf den Farhadi so großen Wert legt, spiegelt sich auch in der mutigen, modernen Inszenierung. Radikal verweigert der Film dem Zuschauer mehr Informationen als die Protagonisten zeitgleich besitzen.

Letztlich wird das Rätsel um die tatsächlichen Vorgänge nicht gelöst. Diese Leerstellen

Asghar Farhadi; Foto: Stephan Schmidt
Asghar Farhadi: "Die Aufgabe des Kinos besteht darin, ständig Änderungen herbeizuführen und uns zu verändern!"

​​ müssen die Zuschauer für sich selbst füllen – ebenso wie die in die Enge getriebenen Filmfiguren.

"Die Zuschauer von heute sind nicht mehr nur passive Konsumenten sondern verlangen nach Freiräumen, in denen sie eigene Interpretationen entwickeln können", meint Asghar Farhadi. Ihm läge als Filmemacher nichts daran, plakative Botschaften zu verbreiten oder den Kinobesuchern seine persönliche Deutung der Dinge aufzuzwingen. "Ich erzähle bewusst nur die eine Hälfte der Geschichte, die zweite Hälfte entsteht im Kopf des Betrachters."

Ausgezeichnet wurde "About Elly" jedoch nicht nur für den intellektuellen Ansatz des Regisseurs. In seinem vierten Spielfilm beweist Farhadi einmal mehr wie virtuos er mit den Mitteln des Kinos umzugehen weiß. Er vermag es, mit wenigen Strichen komplexe Charaktere zu zeichnen und einen fesselnden Spannungsbogen aufzubauen.

Metaphorische Bilder und dokumentarische Nähe

Die hervorragende Kameraarbeit von Hossein Jafarian kombiniert eindrucksvolle metaphorische Bilder mit einer geradezu dokumentarischen Nähe zum Geschehen. Und auch bei seinen Schauspielern beweist Farhadi eine glückliche Hand.

Nicht nur Golshifteh Farahani liefert in der Rolle der Sepideh eine darstellerische Glanzleistung; das gesamte Ensemble überzeugt durch ein ebenso zurück genommenes wie intensives Spiel.

Durch den Gewinn des Silbernen Bären erhöhen sich die Chancen, dass "About Elly" demnächst weltweit in die Kinos kommt. In Iran feierte der Film bereits zeitgleich zur Berlinale einen großen Publikumserfolg beim Fajr Film Festival.

Farhadi hofft, dass "Darbareye Elly" wie der Film im Original heißt, noch dieses Jahr in seinem Heimatland anläuft. Bislang gab es keine Einwände seitens der Zensurbehörde, so dass der mit einem privat finanzierten Mini-Budget von 350.000 Euro realisierte Film gute Chancen hat, seine Produktionskosten wieder einzuspielen.

Farhadi könnte das Geld gut gebrauchen, denn er beschäftigt sich derweil schon mit neuen Filmideen.

Ariana Mirza

© Qantara.de 2009

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