"Wir spielen hier für den Frieden"

Während draußen Bomben explodieren, spielen sie drinnen Geige. Für junge Musiker aus Syrien und anderen arabischen Ländern ist das Alltag. Nun gab das "Arab Youth Philharmonic Orchestra" in Berlin ein Konzert. Gero Schließ informiert.

Von Gero Schließ

"Berlin is so great", rufen Rhamres Nooselhuda und Baghiani Redha beinahe gleizeitig aus. Ihnen gefällt es in der Stadt. Sie sei so ruhig und entspannt, ganz anders als das hektische Leben in Batna, ihrer Heimatstadt im Nordosten Algeriens. Rhamres und Baghiani kennen sich von dort und waren überglücklich, als sie eine Einladung für die Konzertreise des "Arab Youth Philharmonic Orchestra" zum Young Euro Classic Festival erhielten. Jenem Festival, das in diesem Jahr zum 17. Mal Jugendorchester aus der ganzen Welt nach Berlin eingeladen hat. Das arabische Orchester ist nun schon zum zweiten Mal dabei.

Proben statt feiern

63 junge Musiker aus acht arabischen Ländern haben in Berlin eine Woche lang zusammen geprobt. Für Rhamres und Baghiani war das harte Arbeit. Von morgens bis abends bereiteten sie sich mit dem Dirigenten Heiner Buhlmann in einer alten Schule im idyllischen Berliner Villenvorort Grunewald auf ihren Auftritt im Konzerthaus vor. Zeit zum Ausgehen oder für Clubbesuche wollten sich die beiden nicht gönnen, obwohl die 27-jährige Cellistin und der 25-jährige Kontrabassist in einem Alter sind, in dem es ihre Berliner Altersgenossen abends nur selten zu Hause hält.

Dr. Fawzy El-Shamy, Gründer des AYPO; Foto: DW/G. Schließ
Erfüllter Traum: Fawzy El-Shamy ist Gründer des Arab Youth Philharmonic Orchestra. Er war Dekan des Musikkonservatoriums in Kairo. Wichtig ist Fawzy El-Shamy, dass die Musiker aus verschiedenen arabischen Ländern kommen und lernen, miteinander auszukommen: Von Syrien über Ägypten bis Algerien, Irak und Kuweit sind die unterschiedlichsten arabischen Kulturen vertreten.

Neben zeitgenössischen Kompositionen von Amir Khalaf und Ali Osman steht auch die prestigeträchtige Symphonie Nr. 2 von Johannes Brahms auf dem Programm. Das verlangt eben vollen Einsatz. Vor allen Dingen, wenn es um mehr geht als nur die Musik: "Wir spielen hier für den Frieden", erklärt Rhamres. Und fügt an, sie und ihre Mitstreiter wollten mit dem Konzert ein anderes Bild des Nahen Ostens zeigen, der ansonsten vor allem mit Nachrichten über Terror und Tod wahrgenommen würde.

Urlaub vom Schrecken

Hasan Obaid kommt genau daher, wo Terror und Blutvergießen den Menschen seit vielen Monaten keine Atempause lassen: aus Damaskus. Hasan ist 21 Jahre alt und studiert Geige an der dortigen Hochschule für Musik und Theater.

"Ich bin pausenlos gestresst von diesem Krieg", sagt Hasan. Kämpfe, Zerstörung und der Krach von detonierenden Bomben verbreiten ihren tödlichen Schrecken. "Meine Geige ist mit mir und das hilft." Plötzlich versteht man, wie es Hasan in einem solchen Umfeld gelingt, sich auf Musik und Kunst zu konzentrieren: Die Musik ist sein Überlebensmittel. Berlin ist für ihn so etwas wie Urlaub vom Schrecken. "In Deutschland sieht man das Leben", versucht Hasan seine Eindrücke in Worte zu fassen. Während er nur für die Proben und das Konzert nach Deutschland geflogen ist, lebt sein gleichaltriger Freund Kais schon länger hier. Er ist vor einem Jahr als Flüchtling nach Deutschland gekommen und wohnt nun gemeinsam mit seinem Bruder im norddeutschen Cuxhaven bei einer Gastfamilie auf einem Bauernhof.

Kais erzählt, dass er damals nicht nur vor dem Krieg floh, sondern auch vor der miserablen Ausbildungssituation in seiner Heimat. War das Hochschulkollegium vor dem Krieg fest in russischer Hand, so verließen mit Beginn der Kriegshandlungen nahezu alle russischen Professoren die syrische Hauptstadt. Der Hochschulbetrieb brach zusammen. Umso mehr schätzen Kais und Hasan jetzt die einwöchige Phase der Proben. "Syrer haben keine Erfahrung mit ausländischen Musikern", sagt Kais. Es sei das erste Mal, dass sie jetzt mit Musikern "auf einem anderen Niveau" zusammenarbeiteten.

Musiker aus verschiedensten arabischen Kulturräumen

Junge arabische Musiker des "Arab Youth Philharmonic Orchestra" auf der Bühne des Berliner Konzerthauses; Foto: DW
Junge arabische Musiker auf der Bühne des Berliner Konzerthauses.

Die meisten der 63 Musiker kommen aus Ägypten. Auch der Gründer des Orchesters, Fawzy El-Shamy, stammt aus Kairo. Er war Dekan des dortigen Musikkonservatoriums. Mit der Orchestergründung im Jahre 2006 habe er sich einen großen Traum erfüllt, sagt er.

Wichtig ist ihm, dass die Musiker aus verschiedenen arabischen Ländern kommen und lernen, miteinander auszukommen: Von Syrien über Ägypten bis Algerien, Irak und Kuweit sind die unterschiedlichsten arabischen Kulturen vertreten. Fawzy El-Shamy ist überzeugt, dass seine Musiker mit den anderen Jugendorchestern beim Young Euro Classic Festival mithalten können.

Nach einer Woche harter Arbeit ist es dann soweit: Im Berliner Konzerthaus spielt das "Arab Youth Philharmonic Orchestra" vor fast ausverkauftem Saal. Viele Jugendliche sind im Publikum. Die Begeisterung bei ihnen ist groß. Und ebenso der Stolz, mit dem die jungen Orchestermusiker auf der Bühne den Beifall entgegennehmen.

Doch bald heißt es Abschied nehmen. Kais wird zurückfahren auf den Bauernhof in Cuxhaven und hat fest vor, in Hamburg Geige zu studieren. Hasan fliegt zurück nach Damaskus - in den gefürchteten Alltag aus Terror und Krieg. Dort will er dafür kämpfen, dass Kunst und Kultur trotz des Krieges in seiner Heimat überleben. Mit nach Hause nimmt er die Erfahrung der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten aus anderen arabischen Ländern. Und den innigen Wunsch, sobald wie möglich zurückzukehren in das Land, in dem er den Krieg für kurze Zeit vergessen konnte. Als Student an einer deutschen Musikhochschule.

Gero Schließ

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