Frauenbewegung im Wandel

Mitte Dezember erschien der vierte und vorerst letzte "Arabische Bericht über die Menschliche Entwicklung" (AHDR) zum Thema "Frauen in der arabischen Welt auf dem Weg nach oben". Einzelheiten von Sonja Hegasy

Schon der Titel des Berichts sorgte für viele Nachfragen und will zwei wichtige Botschaften vermitteln: Zum einen geht es nicht um "die arabische Frau", sondern um Frauen in der arabischen Welt, d.h. zum Beispiel auch Kurdinnen oder Berberinnen, aber auch ausländische Frauen, die in der Region leben und arbeiten.

Der Bericht verweist beispielsweise auf die entrechtete Lage asiatischer Haus-"Angestellter" in den Golfstaaten. Zum anderen impliziert der Untertitel "Frauen auf dem Weg nach oben" einen Prozess. So ist es den Herausgebern wichtig, zu zeigen, dass dieser Prozess schon Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen hat.

Frauenrechtsbewegung im historischen Kontext

Der Bericht bietet sowohl einen historischen Überblick über die Geschichte der Frauenrechtsbewegung in der arabischen Welt, als auch viele einzelne Beispiele von Vorreiterinnen in Kunst, Kultur und Politik. Dieser Teil ist insbesondere für Leser und Leserinnen aus dem Westen interessant.

Die arabischen Berichte werden seit 2002 vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) mit Finanzierung des "Arab Fund for Economic and Social Development" sowie des "Arab Gulf Programme for United Nations Development Organizations" herausgegeben.

Sie behandeln die wesentlichsten Defizite in der arabischen Welt: unzureichender Zugang zu Bildung und Wissen, Zukunftsfähigkeit, eingeschränkte bürgerliche Rechte und die geringe Teilhabe von Frauen.

Nader Fergany und sein Autorenteam sprechen von einer "arabischen Renaissance" (nahda), die sie in Gang setzen wollen – der gesellschaftliche Aufstieg der Frauen ist eine Grundvoraussetzung dafür.

Am 7. Dezember wurde der neue Report im jemenitischen Sanaa der arabischen Öffentlichkeit vorgestellt. In Berlin präsentierten ihn daraufhin die irakisch-kurdische Schriftstellerin Haifa Zangana und der ägyptische Soziologe Nader Fergany den Bericht. Haifa Zangana gehört dem Beirat des AHDR an und hat mehrere Romane sowie eine Autobiographie über Folter unter Saddam Hussein geschrieben.

Feldforschungen in vier arabischen Staaten

Der Bericht basiert unter anderem auf Feldforschungen in vier Ländern: Marokko, Ägypten, Libanon und Jordanien mit jeweils 1000 befragten Personen. Er verweist auf die hohen Gesundheitsrisiken, denen insbesondere Frauen ausgesetzt sind und die hohe Müttersterblichkeitsrate.

Im Durchschnitt beträgt die Analphabetenrate unter Frauen in der arabischen Welt 50 Prozent. Die Statistik für eine Region, die von Portugal bis Polen reicht, zeigt natürlich nicht, welche Staaten Fortschritte und hohe Investitionen in Bildungsprogramme für Frauen vorgenommen haben und welche mehr oder weniger im status quo verharren.

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Der Bericht stellt aber die grundlegenden, strukturellen Benachteiligungen dar: Frauen sind im Erwerbssektor benachteiligt. Häufig haben sie keine soziale Sicherung. Ihre Arbeit findet im informellen Sektor statt, der auch statistisch nicht erfasst wird.

Hierzu fordert der Bericht neue Methoden der statistischen Erhebung, die tatsächlich seit langem überfällig sind. Frauen haben ein geringeres Einkommen. Hier unterscheiden sie sich weltweit nicht von ihren Geschlechtsgenossinnen. Gewalt gegen Frauen werde von einem Mantel des Schweigens umhüllt.

Verjüngung der islamistischen Bewegungen

Auch die rechtliche Benachteiligung wird vom Bericht ausführlich dargestellt. Dies ist im Kontext der Politisierung von Religion zu sehen. Trotzdem attestieren die Autoren den islamistischen Bewegungen eine große interne Bandbreite von Meinungen.

"Die Hauptströmungen haben im Verlauf der letzten fünf Jahrzehnte bedeutende Entwicklungen durchlaufen, was ihre Haltung zu bestimmten gesellschaftlichen Fragen betrifft, wie z.B. die Achtung der Menschenrechte, gute Regierungsführung und Demokratie. Parallel dazu erleben die meisten dieser Hauptströmungen eine bemerkenswerte Verjüngung ihrer Führungsstruktur", heißt es in dem Bericht. Der Ruf nach mehr innerer Demokratie werde auch dort an der Basis laut.

Haifa Zangana berichtete, das Wortführerinnen der islamistischen Bewegung, wie Nadia Yassine, den neuen Bericht begrüßt haben. Nader Fergany verwies mehrmals darauf, dass Frauen Wahlfreiheit haben sollten, wenn es um das Kopftuch geht. Das gilt auch für Europa.

In dem Bericht wird zwar nicht der Zeigefinger erhoben, jedoch gibt es hierin genug Stellen, aus denen die deutsche und europäische Öffentlichkeit durchaus etwas lernen kann.

Interessant ist auch, wie der Bericht die Auswirkung der Kolonialzeit auf Frauen bewertet. "Aufgrund des sozialen Wandels in der Kolonialzeit durchlief die arabische Frauenbewegung eine Vielzahl von Veränderungen."

Hier zeigt sich, dass die Autoren eine nicht-ideologische Auseinandersetzung suchen – eine Herangehensweise, die man auch ihren Lesern wünscht.

Sonja Hegasy

© Qantara.de 2006

Eine deutsche Zusammenfassung des Berichts 2005 ist über die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen erhältlich.

Qantara.de

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